Pressebild Godspot 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche Wittenberg. 95 Thesen, die die (christliche) Welt vor etwa einem halben Jahrtausend vollständig veränderten. Nun rückt der 500. Jahrestag von Martin Luthers Thesenschlag am 31. Oktober 1517 immer näher. Aber wie geht die evangelische Kirche mit den neuen Thesen unserer Zeit um, erwartet uns etwa eine neue (digitale) Reformation?

Dass ein einziger Mensch – Martin Luther – mit einem einzigen Blatt Papier und 95 Thesen den Anstoß zur Spaltung des Christentums in Konfessionen und der größten kirchlichen Erneuerungsbewegungen geben könnte, hatte die römisch-katholische Kirche Anfang des 16. Jahrhunderts sicher nicht erwartet. Lange Zeit hatte man den Ablasshandel forciert, Korruption gebilligt und die Käuflichkeit kirchlicher Ämter ignoriert. So unterstützten die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technologischen Umwälzungsprozesse der Zeit revolutionäre Strömungen und säten den Nährboden für Neues. Dabei nahm der Buchdruck, der sich seit Mitte des 15. Jahrhunderts als neustes Verbreitungsmedium etablierte, die zentrale Rolle bei der Vervielfältigung von Luthers Texten ein.

Auch heute begegnen wir sozialen Umwälzungen, werden stetig von immer neuen technologischen Revolutionen zum Fortschritt gedrängt. Ebenso wie der Buchdruck die Verbreitung des Reformationsgedankens unterstützte, ist heute das Internet das revolutionäre Medium unserer Zeit. Kontinuierlich wird unserer Gesellschaft von einer (digitalen) Reformation verändert. Alles ist vernetzt, jegliche Information online abrufbar, Thesen werden in 140 Zeichen jede Sekunde an unsere Timelines geschlagen. Das Internet bestimmt unser Leben. Wo bleibt dabei unser Glaube, wo bleibt Gott?

Das Netz auswerfen!

Begeben wir uns heute im Internet auf die Suche nach dem Glauben, gibt uns Suchmaschinengigant Google ungefähr 51.100.000 Ergebnisse in ca. 0,52 Sekunden. In derselben Zeit weist uns der digitale Wegweiser die Richtung zu weiteren 1.840.000 Ergebnissen zum Thema „evangelische Kirche“. Da erscheint es fast unmöglich sich noch zu orientieren, Glaube und Kirche verlieren sich in den Weiten digitaler Entitäten.

So ist die christliche Kirche zunehmend mit einem steigenden Bedeutungsverlust konfrontiert. Hat der Glaube gar seine Anziehungskraft verloren, büßt Religion an Leuchtkraft in den unendlichen Weiten des Internet ein? Genauso wie der Apostel Paulus zu Beginn des ersten Jahrtausends Briefe als neues Medium für sich entdeckte, um seine christlichen Botschaften zu verbreiten, engagiert sich deshalb auch die evangelische Kirche seit dem Spätherbst 1995 im Netz.

Die evangelische Kirche hat ebenso wie andere Religionen und Konfessionen erkannt, dass das Internet nicht nur offenlegen und anprangern kann, sondern dass digitale Glaubensangebote auch vermitteln, verknüpfen und vor allem anziehen können. Dabei werden Grenzen überwunden und neue (Glaubens-)Welten eröffnet. So erscheint auch Jesu Botschaft an Petrus, „Fürchte dich nicht! Du wirst jetzt keine Fische mehr fangen, sondern Menschen für mich gewinnen“, in einem ganz neuen Licht. Heute können Kirchen dabei aber ein anderes Netz nutzen, um Halt und Orientierung zu bieten, Kontakt zu Gemeinden zu halten und die evangelische Botschaft zu vermitteln.

Cyber-Church?

Nicht nur bei der virtuellen 3D Tour in der Dresdner Frauenkirche kann man die evangelische Kirche heute online entdecken. Christliche Inhalte, Tageslosungen, Predigten, die 10 Gebote, das Vater unser, Andachten, Bibelausgaben, Pressemitteilungen aber auch interaktive Angebote für Seelsorge werden von kirchliche Medienfachleute aufbereitet und stellen einen professionellen kirchlichen Internetauftritt sicher: Protestantismus 2.0.

Trotzdem bestehen an vielen Stellen Gestaltungshemmnisse oder es fehlt an ausreichenden Mitteln, um attraktive Angebotsmöglichketen und Internetauftritte umzusetzen. So wird das Internet vielerorts lediglich dazu genutzt, die kirchliche Printpublizistik digital zu spiegeln. Dienststellen und Gemeinden erledigen den Job oft „nebenbei“, sind schnell mit zu viel Arbeit belastet. Webbasierte Angebote können dann häufig nicht fokussiert betrachtet und bespielt werden, versauern lieblos für dürftige Imagepflege und vereinzelter Informationsverbreitung. Wenn es dann an Koordinationsstellen und einer konzeptionellen Entwicklung von Internetangeboten fehlt, besteht besonders für kleinere Gemeinden die Gefahr, den Anschluss an die digitale Revolution und den Kontakt zu Gläubigen zu verlieren.

„Auf Online-Baukästen und Sozialen Medien will ich meine Kirche bauen!“

Das Evangelische Medienhaus setzt deshalb gezielt auf eine zeitgemäße Verbindung von Kirche und Medien, unterstützt Gemeinden mit diversen Angeboten, Seminaren und Dienstleistungen. Mit dem Internetgemeindebaukasten soll es zum Beispiel leichter gemacht werden, das Potential interaktiver Kommunikationsmöglichkeiten voll auszuschöpfen. Mit dem Baukasten können schnell und einfach Webseiten erstellt werden. Unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten bieten individuelle Anpassungen, Bilder und Inhalte können eingespielt werden, um eine ansprechende Webpräsenz zu schaffen. Dabei werden auch direkt optimierte Ansichten für mobile Endgeräte angeboten. Gläubige können den Kontakt zur evangelischen Kirche und zu Gott also direkt von ihren Smartphones, Tablets und Co. ansteuern.

Dennoch besteht vor allem im Bereich Sozialer Medien weiterhin Nachholbedarf. Obwohl Landeskirchen wie die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (EKBO) bereits Vorreiterrollen eingenommen haben und ein attraktives und vor allem aktuelles Angebot auf Facebook, Twitter und YouTube anbieten, hinken andere Stellen hinterher. Als zusätzlicher Service scheint die EKBO beispielsweise Mails direkt an Gott weiterzuleiten. Schade nur, dass diese Kommunikation dann eher einseitig ist. Gottes Wege sind eben manchmal einfach unergründlich.

Um in der digitalisierten Welt Gläubige kontinuierlich zu erreichen, ist es deshalb notwendig, Kirchen, Gemeinden und Beratungsstellen zu vernetzen und Ansprechpersonen einzubinden. Hier kommt auch besonders PfarrerInnen eine besondere Rolle in der Internetarbeit zu. Gerade bei geistigen Fragen und beim Thema Seelsorge müssen sie online aktiv werden und den Kontakt über digitale Medien suchen, sich der breiten Gesellschaft öffnen, den „verlorenen“ Schäfchen nachgehen.

Soziale Medien bieten dabei Verknüpfungspunkte, um Gläubige zusammenzubringen, die sonst nie zueinander gefunden hätten. Ein großartiges Potential für die evangelische Kirche. Denn die Zahl der Gläubigen, die sich im Sonntagsgottesdienst unter die Kanzel setzen, sinkt stetig. Mehr und mehr Menschen können nur noch über andere Kanäle erreicht werden. Soziale Medien sind einer dieser Kanäle. Im Gegensatz zu einseitigen Kommunikationsmöglichkeiten von Hörfunk und Fernsehen, bieten sie außerdem Partizipations- und Dialogmöglichkeiten, fördern einen intensiven Diskurs mit der evangelischen Kirche und Religion insgesamt.

Mit der Emoji-Bible auf Spur8 ins Land des Glaubens

Damit kirchliche Angebote in der Gemengelage der Internetinhalte nicht untergehen, setzt die evangelische Kirche auf „Relitainment“. Kirchliche Produktionsgesellschaften laden deshalb auch vermehrt zu digitalen Denk-, Spiel- und Entdeckungsreisen oder Online-Bibelkreisen ein. Eine Schnittstelle von Protestantismus im Netz und Glaube in der realen Welt bietet dabei die App Kulturkirchen. Interessierten werden Hinweise zu aktuellen Veranstaltungen gegeben und der Weg zu ortsnahen evangelischen Kirchen in ganz Deutschland gewiesen. So hält die Digitalisierung der Kirche auch mit der persönlichen Digitalisierung zunehmend Schritt.

Sich schrittweise dem Glauben nähern, ist auch das Thema von Spur8-Online. Auf der digitalen Entdeckungsreise ins Land des Glaubens können Interessierte das oftmals weitgehend unbekannte Land erkunden und vielleicht selber heimisch werden. Damit schafft die evangelische Kirche eine digitale Pforte für Menschen, denen der Zugang zu Glaube und Religion verwehrt ist, die keinen Kontakt finden können. Als „altehrwürdig“ und „nur schwer zugänglich“ beschreibt die EKD den Glauben selbst. Dennoch zeigt dieser Ansatz, dass „erklären statt verklären“ die Faszination für das Land des Glaubens bei einigen Menschen erhöhen kann.

Wer noch weiter ins Land des Glaubens vordringen und Digitales und Evangelisches in seiner Symbiose erleben möchte, kann die Heilige Schrift, das Buch der Bücher, jetzt auch als Emoji-Bible „lesen“. Ob die Bibel mit Emoji wirklich so viel besser ist, bleibt den Gläubigen selbst überlassen. Begeisterung und Freude beim Lesen schafft das eBook auf jeden Fall. Denjenigen, bei denen sich nach dem Lesen Unsicherheit verbreitet, oder die sich fragen was sie überhaupt noch sind und wie sie zum evangelischen Glauben stehen, hilft evangelisch.de. NutzerInnen bietet dort der Protestant-o-Mat die Einordnungshilfe: „Du bist evangelisch wie…“.

Mit Godspots zur digitalen Erleuchtung!

Die evangelischen Kirchen Berlins, Brandenburgs und der schlesischen Oberlausitz gehen ab sofort sogar noch einen Schritt weiter. Hier geht es in Zukunft direkt mit Gott ins Netz. Mit insgesamt 220 sogenannter „godspots“ will die EKBO Vorreiter in Sachen religiöser Digitalisierung werden und auch infrastrukturell vorlegen. Langfristiges Ziel ist es, alle 3.000 Kirchen und kirchlichen Gebäude mit kostenlosen WLAN-Verbindungen auszustatten. NutzerInnen gelangen beim Einloggen in den jeweiligen godspot zunächst auf eine landing page zum Thema Glaube und Leben der jeweiligen Gemeinde. Von dort aus eröffnet die EKBO dann aber ein direkter Zugriff auf alle digitalen Inhalte des World Wide Web; und das innerhalb und außerhalb der Kirchen.

Die Präsenz des Internet führt dazu, dass Menschen zunehmend oder auch ausschließlich über digitale Wege den Kontakt mit dem Glauben, Religion und Kirche suchen. Besonders junge UserInnen haben das Bedürfnis, sich im Internet über religiöse Fragen auszutauschen, wollen in Foren, Sozialen Medien und Blogs über Glaubensinhalte diskutieren. Das Internet und Soziale Medien eröffnen der evangelischen Kirche dabei die Möglichkeit, Gläubige für sich zu gewinnen und die protestantische Botschaft zu verbreiten. Die vielen Anknüpfungspunkte, die die evangelische Kirche zwischen Internet und Kirche bereits entdeckt hat, zeigen, dass man dies verstanden hat und nicht im Konflikt mit „neuen Medien“ steht. Genauso wie es bereits in der Offenbarung des Johannes heißt: „[…] ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann“, scheint die evangelische Kirche auch die Tür zum Internet schon weit aufgestoßen zu haben und sich der digitalen Reformation zu öffnen.

Alle Artikel der Sommerreihe

Prolog: Religion und Internet: Glaube im digitalen Wandel
Teil 1: Auf einer Wellenlänge mit Gott? Zwischen Godspots und Social Media
Teil 2: Ecclesia 2.0 – Ein Like für die frohe Botschaft
Teil 3: Judentum und Internet – 613 Mitzwot und einen digitalen Sabbat
Teil 4: Fatwas on the Internet – Wenn der Glaube digital wird
Teil 5: Glaube in Korea: Digitalisierte Traditionen
Teil 6: Glaube in Indien und China: Von Mantren und Tablets als digitalem Höllengeld
Teil 7: Der Gottesalgorithmus? – Digitale Suche nach dem „Göttlichen“ 
Teil 8: Sterben 2.0 – Auf dem Weg zur (digitalen) Unsterblichkeit?

 

Titelbild: Pressebild Godspot, © EKBO

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