Wäre Tucholsky heute ein Weblogger? Verbreitet Wikipedia Falschinformationen? Der Einfluss des Internets auf den Journalismus, die Wissenschaft und die Weltbilder in unseren Köpfen wächst stetig. Neunzehn Journalistik-Studenten der Universität Hamburg haben Netz-Journalisten, Blogger, Medienwissenschaftler und Trend-Gurus befragt, um herauszufinden, welche Umwälzungen der Informationsgesellschaft bevorstehen. Ada von der Decken, selbst Teilnehmerin an dem Projekt Webwatching, hat einige Ergebnisse der am 1. Februar gestarteten Netzzeitung für politik-digital.de zusammengefasst.

Welchen Einfluss hat das Internet auf den klassischen Journalismus genommen? Welche Chancen und Risiken birgt das Medium, das aus dem Korsett strikt linear organisierter Präsentation ausbricht? Neunzehn Journalistik-Studierende der Universität Hamburg begaben sich auf die Suche nach Antworten auf Fragen, die sich in Zeiten schwindender Auflagen der Printmedien und zunehmender Bedeutung von Online-Medien und Weblogs stellen. Das wöchentliche Seminar wurde zur Redaktionssitzung erklärt und nach drei Monaten ist im Netz eine Trendbeobachtung über das Netz entstanden – das Interviewmagazin Webwatching.

Auskunft geben unter anderem der Bildblogger Christoph Schultheis, Spiegel-Online Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron, Don Alphonso, Blogger der ersten Stunde, der Schriftsteller Peter Glaser, der Wikipedianer Erik Möller und der Journalistikprofessor Dr. Siegfried Weischenberg.

Webwatching wird dem Anspruch, die Trends der Netzkultur abzubilden, gerecht, indem es in den Interviews vielfältige und gegensätzliche Meinungen zu Wort kommen lässt – anekdotisch und ernst, streitbar und scharfzüngig.

Zahlreiche Experten widmen sich der Frage, ob die „Blogosphäre“ als Themengeber und Kontrollinstanz die klassischen Massenmedien bereichert oder sie kontaminiert, da sie die traditionellen Trennungslinien zwischen journalistischer Berichterstattung und subjektiven Kommentaren unterlaufen. Einig sind sich die Befragten darin, dass die Formel Journalismus = Blog nicht aufgeht.

Weblogs sind zwar einerseits als „Schmarrn“, „Modeerscheinung“ oder „Pseudojournalismus“ verschrien, sie gelten andererseits aber auch als „Frühwarnsystem für den Journalismus“, von dem die klassischen Massenmedien profitieren können.

Durch die Blogs bestehe ein Rückkanal, der den traditionellen Massenmedien ein Feedback gibt auf das, was geschrieben oder gesendet wurde, stellt Prof. Dr. Hans Jürgen Bucher fest. Man käme anders an Themen heran, als es „in der klassischen selbstreferentiellen Art des Journalismus“ der Fall sei. Blogger können Journalisten „Impulse und Ideen für die öffentliche Kommunikation liefern“ und somit eine Informationsquelle und Kommunikationsbasis darstellen“ meint Chefreporter des Südwestfunk Dr. Thomas Leif.

Das Internet biete durch den Online-Journalismus Möglichkeiten, die andere Medien nicht bieten, sagt Prof. Dr. Klaus Meier. Zum einen könnten Text, Bild, Ton und Video in allen möglichen Varianten zum multimedialen Erzählen kombiniert werden, zum anderen könnten die Leser direkt partizipieren. Durch Quotentools sei sehr genau ermittelbar, welche Artikel am häufigsten gelesen werden. Für die Recherche ergäben sich durch das Internet auch negative Tendenzen: „Dass Journalisten sich aus Zeit- und Geldmangel zunehmend auf die Ergebnisse der Suchmaschinen verlassen“, wertet Prof. Dr. Marcel Machill als Gefahr. „Eine gute Recherche kann bei Google beginnen, aber sie darf nicht bei Google aufhören.“

Rainer Meyer, der unter dem Pseudonym Don Alphonso in der Bloggerszene bekannt geworden ist, prognostiziert den Untergang des Journalismus, weil der heutige Journalist nur „in seinem Büro auf seinen fünf Buchstaben“ sitze und die Welt draußen nicht mehr mitbekomme. Bucher glaubt sogar, dass Journalismus mittlerweile gar kein spezieller Beruf mehr sei, sondern Element der Allgemeinbildung. Jeder müsse ein Mobile an journalistischen Kriterien entwickeln, um Informationen selbst prüfen und filtern zu können. Anderer Meinung ist wiederum Prof. Dr. Siegfried Weischenberg, für den der konventionelle Journalismus als Kuturgut nach wie vor unersetzbare Professionalität verkörpert.

Dadurch, „dass jeder im Internet publizieren kann, wird das Spektrum der Meinungsvielfalt erweitert“, sagt Florian Rötzer von Telepolis. Dennoch dominiere der Eindruck, dass „sich im Netz nur von einander abgekoppelte Unteröffentlichkeiten herausbilden“, beschreibt Goedart Palm das Phänomen. Eine deutlich vernehmbare öffentliche Meinung, „die sich aus dem Stimmengewirr der Millionen von Statements heraushören ließe“, entstehe „nur in und über die Massenmedien“, so Prof. Dr. Norbert Bolz. Es sei ihre Aufmerksamkeit, um die sich das Magazin Webwatching bemühen müsse, um erfolgreich und „ein Synonym für seriös recherchierte Information“ zu werden, rät der Medienphilosoph.

Das Projekt Webwatching entstand unter der Leitung von Dr. Bernhard Pörksen, der als Professor am Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft in Hamburg lehrt. In einem minimalistischen Design präsentiert sich die Seite
Webwatching mit dem Anspruch eine lesefreundliche Darstellungsform für die 19 Interviews gefunden zu haben.