Bild_Steffen_KommentarBeugen wir uns einer vermeintlichen Terrorgefahr indem wir uns selbst terrorisieren lassen? Ein Aufruf.
„Wie wollen wir zusammenleben?“ fragte die Bundeskanzlerin Angela Merkel im vergangenen Jahr im Rahmen ihres Zukunftsdialogs die deutschen Bürgerinnen und Bürger. Damals regten sich viele über die Bürgerbeteiligungsplattform auf, weil islamkritische Beiträge oder die Forderung nach der Legalisierung von Haschisch die Diskussion dominierten. Nachdem letzte Woche das NSA-Überwachungsprogramm PRISM von dem Computerspezialisten Edward Snowden geleakt wurde, würde ich mir wünschen, die Bundeskanzlerin würde sich selbst diese Frage einmal stellen.
Hoffentlich brachte der BILD-Kolumnist Franz Josef Wagner die Gefühlslage vieler Deutscher nicht auf den Punkt, als er den Balanceakt zwischen Terrorprävention und Bürgerrechten auf ein er sei “lieber überwacht als tot” verkürzte. Alles nicht so schlimm? Ja, ja, das haben wir doch sowieso schon immer alles gewusst: der Staat horcht mit, das war nicht nur in der DDR so, die Amis sind am schlimmsten oder wer sich nichts vorzuwerfen hat, kann auch alles preisgeben. Willkommen am Stammtisch.
Wie wollen wir zusammenleben? So jedenfalls nicht. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem der Chef der deutschen Polizeigewerkschaft erklärt, das wertvollste Bürgerrecht sei der Schutz vor Terror und Kriminalität. Sascha Lobo hat diese Legitimierung von Schnüffeleien in seiner SPON-Kolumne „das Recht, vor dem die anderen verblassen“ genannt. Ich werde es nicht hinnehmen, dass meine im Netz oder anderswo hinterlassenen Daten von staatlicher Seite gespeichert, interpretiert und zu einem Profil zusammengefügt werden. Ich erwische mich immer wieder bei dem Gedanken, manche Postings nicht zu tätigen oder bestimmte Gruppen in sozialen Netzwerken vielleicht doch besser zu meiden. Jetzt weiß ich warum. Es ist ein Gespenst, das wir schon zu lange mit uns herumtragen. Mit PRISM hat es jetzt ein Gesicht bekommen.
Deswegen liebe Frau Bundeskanzlerin, lieber Herr Steinbrück und wer sonst noch etwas zu sagen hat und vielleicht in der nächsten Woche dem Präsidenten der USA die Hand schütteln möchte: Machen Sie deutlich, dass wir so nicht zusammenleben wollen! Der Überwachungsstaat ist keine Alternative zum Terror, sondern dessen Produkt.
Was können wir selbst tun? Wer heute noch die Freiheit im Internet verteidigen möchte, kämpft längst gegen Windmühlen, ist in den Augen vieler ein hoffnungsloser Romantiker. Das Internet hat immer noch den Vorteil, dass es Alternativen gibt oder man diese selbst schaffen kann.
Und wir können noch einen Schritt weiter gehen. Wir Medienschaffenden können und sollten den Besuch des amerikanischen Präsidenten boykottieren. Es wäre ein starkes Signal, wenn Mr. Obama und Frau Merkel sich die Hände schütteln und kein Blitzlichtgewitter zu sehen ist und keine Mikrofone und Kameras aufgebaut sind. Natürlich können wir von politik-digital.de das einfacher fordern und umsetzen als andere Medien. Dennoch, es ist Zeit für eine klare Haltung. Wir können nicht weiter hinter der Fassade des unabhängigen Journalismus verstecken. Vielleicht ist das nicht im Sinne von Hajo Friedrichs, der den Leitsatz für Journalisten geprägt hat, dass sich ein guter Journalist mit keiner Sache gemein macht, auch nicht mit einer guten. Aber wer nach PRISM wieder ins business as usual verfällt, wird einer schlechten Sache nicht Einhalt geboten haben. Deswegen sollten wir uns lieber an Benjamin Franklin erinnern, der vor über zweihundert Jahren festhielt: “Diejenigen, die bereit sind grundlegende Freiheiten aufzugeben, um ein wenig kurzfristige Sicherheit zu erlangen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.”
 
Bild: Dominik (CC BY-NC-2.0)