In Zusammenhang mit der Digitalisierung der Bildung wird auch viel über die Lehrer und Lehrerinnen geredet. Kommen sie mit dem Wandel gut klar? Wollen sie überhaupt irgendwas ändern? Um diese Mutmaßungen zu beenden, haben wir nachgefragt. Im Gespräch mit dem Schweizer Deutschlehrer Philippe Wampfler geht es um seinen eigenen digitalen Unterricht, Tipps für Neueinsteiger und das Mädchen-Jungen-Klischee.

In Ihrem Buch schreiben Sie “Medienkompetenz ergibt sich aus einer Kombination von Wissensaufbau, Mediennutzung und Medienreflexion”. Können Sie dies näher erläutern?

Medienkompetenz erlangt man nicht nur darüber, dass jemand vor einem steht und einen Vortrag hält. Um medienkompetent zu werden, muss man die Medien benutzen. Der Umgang mit diesen muss ausprobiert und verankert werden. Gleichzeitig muss man immer wieder die Auswirkung des Einsatzes der digitalen Medien auf einen selber und seine Umgebung reflektieren.

Was bedeutet das für die Lehrkräfte?

Jeder und jede, die unterrichtet, muss auch jedes Mal wieder dazu lernen. Zu belehren ohne zu lernen führt zu einer sehr einseitigen Angelegenheit. Gerade wenn es um Medien und Mediennutzung geht, muss man sich speziell als Lehrkraft ständig mit neuen, sich wandelnden Trends und Tools auseinandersetzten, mit denen die Schülerinnen und Schüler eventuell besser umgehen können. Passiert dies nicht, kommt es oft dazu, dass Lehrkräfte glauben, ihre Schülerinnen und Schüler vor den Gefahren schützen zu müssen, die das Internet mit sich bringt. Dabei verpassen sie aber oft die richtige Ansprache.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Ein Paradebeispiel ist die Aktion von vielen Lehrkräften, die ihren Schülerinnen und Schülern etwas über Internetsicherheit beibringen wollen. Dabei rufen sie dazu bei Facebook auf, ihr Bild zu teilen, auf dem sie ein Schild hochhalten mit der Aufschrift „Bitte teilt dieses Bild, damit meine Schülerinnen und Schüler sehen können, wie schnell ein Foto bei vielen Menschen auf der ganzen Welt gesehen werden kann“. In dem Fall hat das nicht wirklich viel mit der Realität zu tun. Man erzeugt einen Effekt, der auf die Schülerinnen und Schüler persönlich so nicht zutrifft und verfehlt dabei über Dinge zu reden, die für die Jugendlichen wirklich wichtig sind.

Kommen wir auf Ihren eigenen Unterricht zu sprechen. Ist Ihr Unterricht immer digital?

Wenn in meinem Unterricht die Möglichkeit besteht, etwas digital zu bearbeiten, dann versuche ich das auch umzusetzen. Auch die Schülerinnen und Schüler arbeiten dann an ihren Laptops. Wir nehmen jetzt einen neuen Roman im Unterricht durch. Den versuchen wird biographisch aufzuarbeiten. Dazu sollen die Schülerinnen und Schüler im Internet recherchieren, in Schreibprogrammen dokumentieren und sich dann in Gruppen austauschen.

Spielen Stift und Zettel da überhaupt noch eine Rolle?

Teilweise greifen wir noch zu Stift und Zettel. Aber das, was geht, versuchen wir am Laptop zu erledigen. Dazu muss man sagen, dass dieses Konzept nur umsetzbar ist, da die meisten ihren eigenen Laptop mitbringen. Anders würde es gar nicht gehen.

Abgesehen vom Unterschied zwischen Stift und Tastatur, was ist die Besonderheit Ihres digitalen Unterrichts?

Was ich versuche ist, dass alles, was die Schülerinnen und Schüler schreiben, in irgendeiner Form veröffentlicht wird. Auf einem Blog beispielsweise. So merken die Schülerinnen und Schüler, dass ihre Texte tatsächlich auch wichtig sind, dass es Außenstehende lesen können. Sie bekommen ein Publikum. Dies steigert natürlich auch die Motivation ungemein.

Gab es auch schon Situationen, in denen etwas gar nicht funktioniert hat?

Natürlich funktioniert mal was nicht. Das kommt immer wieder vor. Aber nur so kann man neue Sachen ausprobieren. Manchmal klappt es und manchmal eben nicht. Der Einsatz von digitalen Medien an sich ist noch lange kein Selbstläufer. Daher ist die Reflexion, wie vorhin schon angesprochen, ein sehr entscheidender Schritt.

Sie integrieren auch die Sozialen Medien in Ihren Unterricht. Sind diese unbedingt notwendig?

Für vieles, was man im Unterricht machen möchte, ist der Einsatz von Sozialen Medien nicht direkt notwendig. Dennoch gibt es zwei wesentliche Punkte, weswegen es auch sinnvoll sein kann, Soziale Medien in der Schule zu behandeln. Zum einen ist es für Jugendliche wichtig, die Nutzung von Sozialen Medien zu reflektieren. Beispielweise ist es interessant, sich mit den Schülerinnen und Schülern YouTube-Videos anzugucken, um herauszuarbeiten, welche rhetorischen Mittel benutzt werden. So lernen sie auch diese einzuschätzen und zu bewerten. Zum anderen sind Soziale Medien oft mit dem Image behaftet, dass sie sehr unprofessionell und oberflächlich sind und eigentlich nur der Unterhaltung dienen. Hier ist es mir wichtig aufzuzeigen, wie man die Medien professionell nutzen kann.

wampflerPhilippe Wampfler unterrichtet Deutsch, Philosophie und Medienkunde an der Kantonsschule Wettingen (Schweiz). Als Autor und Berater arbeitet er zu digitaler Bildung. Zudem ist er als Dozent für Fachdidaktik Deutsch an der Uni Zürich in der Lehrerausbildung tätig.

Was können Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen mitgeben, die gerade überlegen digitale Technologien und Medien im Unterricht zu benutzen? Was sind die drei wichtigsten Regeln für das Digitalisieren des Schulunterrichts?

Das erste ist, dass man es einfach mal ausprobiert. Natürlich muss man auch damit rechnen, dass es nicht gleich funktioniert, dass es auch demotivierend am Anfang sein kann. Davon sollte man sich aber nicht entmutigen lassen.

Dies führt dann zur zweiten Regel: Die Interessierten sollten vorerst nicht mit dem größten Projekt anfangen. Sondern sich in kleinen Schritten herantasten. Angefangen eventuell mit der kleinstmöglichen Teststufe: ein Projekt mit einem kleinen Blog zu begleiten. Ganz wichtig ist hierbei natürlich wieder das Reflektieren seitens der Lehrkräfte.

Als drittes ist es natürlich extrem hilfreich, sich mit anderen Lehrkräften zu connecten. Der Austausch mit anderen Lehrerinnen und Lehrern, die sich in ähnlichen Situationen befinden, kann sehr hilfreich sein.

Wo findet dieser Austausch statt?

Für mich ist beispielsweise Twitter da am entschiedensten. Über verschiedene Hashtags kann man sich mit vielen Lehrkräften austauschen und neue Ideen gewinnen. Aber ich weiß auch, dass Twitter nicht bei allen gut ankommt. Muss es auch nicht, denn es gibt auch zahlreiche Gruppen auf Facebook. Dort unterstützen sich die Lehrer gegenseitig und helfen einander. Vor allem auch für Referendare kann das der anfänglichen Überforderung Abhilfe schaffen.

In dem Zusammenhang: unterstützen Sie den Ansatz von Open Educational Resources (OER), Materialien generell zugänglich zu machen?

Generell bin ich der Meinung, dass alle Materialien für alle zugänglich sein sollten. Ich selbst veröffentliche meine Materialien, außer eventuell die, die ich schnell mal in kürzester Zeit und auf den letzten Drücker konzipiert habe. Meine Schülerinnen und Schüler können dann darauf zurückgreifen. Aber so können sich auch andere Kolleginnen und Kollegen Ideen oder Anreize holen.

Ist es mehr oder weniger Arbeit, digitale Medien im Unterricht einzusetzen?

Ich würde nicht sagen, dass das eine mehr oder weniger Arbeit mit sich bringt. Die Arbeitsaufteilung ist aber eine andere. Wenn man digitale Medien im Unterricht einsetzt, ist dabei sehr entscheidend, dass man immer am Ball bleiben muss. Ein konstantes Lernen und sich mit neuen Dingen auseinanderzusetzen, ist sehr wichtig. Denn die Jugendwelt generell, aber vor allem auch in Hinblick auf die digitalen und sozialen Medien verändert sich ständig.

Wenn man jedoch weiß, wie man die Medien einsetzen kann, dann ergeben sich daraus viele Möglichkeiten, den Unterricht effektiv und abwechslungsreich zu gestalten. Dies verschafft einem dann schon eine große Erleichterung.

Sie befassen sich auch mit dem Thema Gender. Können Sie für den Einsatz digitaler Medien schon Bilanz ziehen, ob überhaupt ein Unterschied zwischen Mädchen und Jungen in der Annahme der neuen Unterrichtsmethoden besteht?

Da Mädchen und Jungen unterschiedlich sozialisiert werden, kann man in Bezug auf Technologien schon verschiedene Muster erkennen. Ganz plakativ gesagt tendieren Jungs dazu, die Möglichkeiten zum Spielen oder Video gucken zu nutzen. Bei den Mädchen kann ich feststellen, dass sie sich vor allem mit dem kommunikativen Aspekt der Medien auseinandersetzen. Dies sind grobe Tendenzen, die mir auffallen. Hier ist auch wichtig, diese zu reflektieren. Was ich immer wieder versuche, ist die Mädchen anzuregen, sich auch mal mit einem Computerspiel auseinanderzusetzen und dieses zu spielen. Andersherum gilt das natürlich genauso für die Jungs, denen ich vorschlage, sich an Foren oder Chats zu beteiligen. 

Nun wird den Lehrerinnen und Lehrern oft vorgehalten, dass sie nicht digital-affin sind. Was machen Sie für Erfahrungen mit ihren Kolleginnen und Kollegen?

Natürlich lastet dieses Image auf dem Lehrerbild. Aber ich würde nicht meinen, dass man das so einfach sagen kann. Es gibt viele Lehrkräfte, die sehr motiviert sind, Neues dazu zu lernen und sich Kompetenzen in diesem Bereich aneignen wollen. Natürlich gibt es auch andere, die sehr verunsichert sind. Sie empfinden es als große Herausforderung, einen Unterricht mit digitalen Medien glaubwürdig zu gestalten.

Vor allen bei jungen Lehrkräften sollten digitale Medien aber keine Hürde sein, die sie nicht überwinden können. Wichtig ist hier, Schritt für Schritt Erfahrung zu sammeln und so Verunsicherungen abzubauen.

Können dabei Weiterentwicklungen in der Lehrerausbildung helfen?

Es gab dazu jüngst einen Beitrag. Darin wurde festgestellt, dass es unbestritten ist das sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Lehrkräfte Medienkompetenzen erwerben müssen. Auch das dies in der Ausbildung verankert sein muss, ist akzeptiert. Nicht einig ist man sich jedoch darüber, wie dies in der Ausbildung beigebracht werden sollte. Obwohl es schon Angebote zum Einsatz von digitalen Medien im Unterricht gibt, ist dieses Thema in den einzelnen Fachdidaktiken noch zu wenig präsent. Dies sollte geändert werden.

 Titelbild: Read von Wokandapix via pixabay CC0 Public Domain