Online-VerbraucherAm vergangenen Freitag lud die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen dazu ein, über aktuelle Herausforderungen im Verbraucher- und Datenschutz zu debattieren. Vor dem Hintergrund der Digitalisierung vielfältiger Lebensbereiche und Konsumgüter wurden auf der Konferenz „Verbrauchermacht in der digitalen Gesellschaft“ Themen wie Big Data, Urheberrecht oder die informationelle Selbstbestimmung diskutiert. An Bewusstsein für den Ernst der Lage mangelte es nicht, stattdessen zeigte die Debatte zentrale Schwierigkeiten bei der gesetzlichen Umsetzung handfester Lösungsansätze auf.
In Zeiten Daten erzeugender und verarbeitender Endgeräte steht der Verbraucherdatenschutz vor gewaltigen Herausforderungen: Ob Konsum, Arbeitswelt oder Verkehr, in sämtlichen Lebensbereichen werden Daten produziert, ausgewertet und angewendet, mit oft weitreichenden Konsequenzen für Nutzer und Gesellschaft, wie jüngst auch hier zu lesen war.  Prof. Dr. Sarah Spiekermann vom Institut für BWL und Wirtschaftsinformatik an der Wirtschaftsuniversität Wien, schilderte in ihrer kurzweiligen Keynote zur Veranstaltung die gegenwärtigen Entwicklungen im Bereich der Informationstechnik und skizzierte auch  künftige Szenarien sowie die vor diesem Hintergrund zu diskutierenden gesellschaftlichen Fragestellungen. Dabei verwies sie auf eine zentrale Problematik: Der technologische Wandel sei nicht nur in vollem Gange, sondern verlaufe auch immer schneller. Politik und Gesellschaft hinkten in diesem Wettrennen zunehmend hinterher, weshalb die auftretenden Konflikte weiter an Steuerbarkeit verlören.
Dabei sei die ökonomische Färbung des gesellschaftlichen Fortschritts in vielerlei Hinsicht fatal, so die Wissenschaftlerin. Die großen Wirtschaftsakteure hätten sich schon frühzeitig auf die Möglichkeiten der Datenanalyse eingestellt und den Konsumenten die Gratiskultur im Internet jahrelang teuer bezahlen lassen: mit seinen Daten. Angesichts der weitreichenden Veränderungen im Bereich des Arbeitsmarktes, der Robotik oder der Datenanalyse sei es an der Zeit, diesen Kreislauf zu unterbrechen. Es bedürfe Privacy-freundlicher Dienste und des Rechts auf Anonymität und Transparenz. Nutzer sollten die Möglichkeit zur informierten Zustimmung haben, also ihre Daten kontrollieren können und dann mit den Unternehmen über deren Weitergabe und Verwendung verhandeln.  Auch iRights-Autor Jan Schallaböck betonte im anschließenden Workshop „Datenschutz modernisieren!“, dass man sich von den IT-Unternehmen nicht die Rahmenbedingungen im Netz diktieren lassen dürfe. Nutzer müssten qua Gesetz dazu ermächtigt werden, zu erfahren, was mit ihren Daten passiert, wohin diese gehen, wozu sie gesammelt und verwendet werden.

Viele Instrumente, wenig Einigkeit

Im Laufe des Tages zeigte sich jedoch auch, dass die Meinungen bezüglich der politischen Umsetzung durchaus weit auseinander gehen können. Ein Ampelsystem für Online-Dienste beispielsweise, das den Nutzer wie ein Gütesiegel auf die Datenfreundlichkeit eines Anbieters hinweisen könnte, wurde wiederholt gefordert. Dem wurde jedoch entgegen gebracht, dass die Menschen in vielen Bereichen nicht ohne hohe soziale Kosten auf bestimmte Online-Dienste verzichten könnten (Beispiel Facebook) und zum anderen oft auch kein Interesse daran hätten,  da sie die Kosten, die ihr freizügiger Umgang mit Daten gesamtgesellschaftlich verursacht, nicht direkt und selbst zu spüren bekommen würden.
Einen Schritt weiter ging Peter Schaar, ehemaliger Bundesdatenschutzbeauftragter und heute Vorsitzender der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz, in der abschließenden Podiumsdiskussion. Er forderte gar ein Datenpreisschild für die Dienste im Internet. Allerdings blieb unklar, wie sich die Kosten abstrakter und immaterieller Konstrukte berechnen ließen.
Auch über die AGBs von Online-Diensten wurde viel diskutiert. Schon lange ist klar, dass diese zu komplex und auch für kundige Benutzer kaum überschaubar oder bearbeitbar sind.  Renate Künast forderte in diesem Zusammenhang, die Regelwerke verständlicher zu fassen. So könnten zum Beispiel Kernpunkte herausgehoben werden oder bildliche Darstellungen genutzt werden. Allerdings bleibt durchaus zu hinterfragen, wie dies rechtskräftig umsetzbar wäre  und  wie Konsumenten letzten Endes mit den so gewonnen Informationen umgehen würden. Wären sie bereit zu bezahlen, auf Dienste zu verzichten, Nachbesserungen einzufordern? Stattdessen bedürfe es angesichts zunehmend überforderter Nutzer keiner neuen Gesetze, sondern vor allem Verbesserungen in der Kontrolle der geltenden und einer Stärkung der institutionellen Interessenvertretung der Bürger.  So zumindest forderten es Verbraucherverbände in den Diskussionen ein.

Mahnende Worte aus der Wirtschaft

Selbstverständlich kam die Diskussion auch auf die vom Europäischen Parlament auf den Weg gebrachte Datenschutz-Grundverordnung zu sprechen. Während die meisten der Redner und Teilnehmer das Regelwerk erwartungsgemäß sehr begrüßten, gab Jana Moser, Juristin bei Axel Springer, durchaus zu bedenken, ob ein verschärfter Datenschutz sich nicht auch zu einem Wettbewerbsnachteil für deutsche oder europäische Unternehmen entwickeln könnte. Sie sprach sich entsprechend für internationale Anstrengungen aus, um die heimische Industrie nicht zu schädigen. Auch Dr. Joachim Bühler vom Wirtschaftsverband Bitkom e.V., auf dessen Mitgliederliste sich so bekannte Namen wie Google, Facebook und Apple wiederfinden, wollte die Verordnung in ihrer jetzigen Form nicht mittragen. Auch wehrte er sich gegen den Ausbau von „Marktwächtern“ und die Euphorie über das EuGH-Urteil. Stattdessen deutete der Unternehmensvertreter routiniert mit dem Finger auf die NSA, deren Machenschaften natürlich viel gefährlicher seien, als die der Wirtschaft.
Längst ist es die Öffentlichkeit jedoch gewohnt, dass sich Geheimdienste und IT-Konzerne gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben, während letztlich an keiner Front nennenswerte Fortschritte gemacht werden. Und auch die besonderen Gefahren, die durch die IT-Monopolisten und deren Verfügung über gewaltige Datenmengen entstehen, schienen den meisten Teilnehmern durchaus bewusst zu sein, und so kam die Debatte am Thema „Google“ nicht gänzlich vorbei. Dabei wurde auch die branchenübergreifende Marktmacht des Konzerns problematisiert und der immense Wettbewerbsvorteil durch die Verknüpfung der gesammelten Daten. Peter Schaar forderte „strukturelle Fairness“ und die Bedingungen für einen fairen Wettbewerb im Internet. Die Politik hinke den Marktentwicklungen und Innovationen jedoch systematisch hinterher und könne nicht in ausreichendem Maße ihrer Kontroll- und Regulierungsfunktion nachkommen.

Verbale Aufgeschlossenheit bei anhaltender Verhaltensstarre

Doch der Staat ist nicht nur in vielerlei Hinsicht überfordert, sondern sei im Falle der deutschen Bundesregierung auch oftmals nicht willens, die erforderlichen Schritte zu unternehmen. Wie es sich für eine Veranstaltung einer Oppositionspartei gehört, wurde an Regierungskritik nicht gespart. Bereits in seinen Grußworten hob der netzpolitische Sprecher der Fraktion Konstantin von Notz deren „Totalversagen“ hervor und geißelte, wie zu erwarten, die quälende Untätigkeit der Bundesregierung. Entsprechend lang war dann auch die Liste an Bemühungen und Initiativen der Grünen, die dem Handeln der Bundesregierung gegenüberstünden. Renate Künast ärgerte sich über die Diskrepanz zwischen Reden und Handeln: „Verbale Aufgeschlossenheit bei anhaltender Verhaltensstarre“ lautete ihr Vorwurf. Tatsächlich steht das öffentliche Bekenntnis in gewaltigem Widerspruch zur operativen Politik des Kabinetts, das die Verabschiedung des Entwurfs der Datenschutz-Grundverordnung im Ministerrat weiterhin entscheidend blockiert.
Politischer Stillstand jedoch, so die grundlegende Botschaft der Veranstaltung und ihrer Teilnehmer, sei in der gegenwärtigen Situation alles andere als angebracht. Vielmehr müsse unser Datenschutz an die veränderten technologischen Möglichkeiten angepasst und besser implementiert und kontrolliert werden. Rückblickend zeigte der Nachmittag allerdings auch zahlreiche Konfliktlinien auf und verwies dabei u.a. auf die Schwierigkeiten politischer Handlungsfähigkeit in der gegenwärtigen Netzpolitik. Auch die Opposition, Verbraucherschützer und Netzaktive verlieren sich häufig im Kleinklein der konkurrierende Vorschläge und Interessen. Profitieren werden davon vor allem die IT-Konzerne, die sich nichts sehnlicher wünschen können, als dass alles genau so bleibt, wie es im Moment ist.

„Wir können jede Menge tun“

Aber es braucht eine Vision und politische Tatkraft. Der viel beschworene Wissensvorsprung der IT-Konzerne und das stete Hinterherlaufen der Politik sind kein neues Phänomen und können weder mit Resignation noch mit Pessimismus beantwortet werden. Vielmehr bedarf es eines politischen Diskurses, der konkrete Lösungen anbietet und vertritt, anstatt über Einzelheiten zu streiten oder die Ideen gegenseitig zu disqualifizieren. Denn jede politische und rechtliche Lösung, so mangelhaft und unausgereift sie heutzutage fast schon systematisch wirken mag, ist besser als der Status Quo der Netzpolitik. Entsprechend konstatierte Gerd Billen, seinerseits Grüner und Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: „Wir können jede Menge tun!“
Bild: flickr/ Tim Reckmann (CC BY-NC-SA 2.0)
CC-Lizenz-630x1101