Foto Überwachungskamera an einem ZaunEigentlich klingt es ganz einfach: Sachsen-Anhalt will seine Polizei auf den neuesten technischen Stand bringen. Mit einer Änderung des „Gesetzes für öffentliche Sicherheit und Ordnung“ soll den Innovationen der letzten zwei Jahrzehnte Rechnung getragen werden.
Bisher wurden die polizeilichen Befugnisse von dem „Gesetz für öffentliche Sicherheit und Ordnung“ (kurz: SOG, auch Polizeigesetz genannt) aus dem Jahr 1990 geregelt – einer Zeit, als „Bomben noch mit einem Wecker gezündet wurden“, wie Innenminister Holger Stahlknecht es bei der Lesung im Magdeburger Landtag am vergangenen Mittwoch formulierte. Heute könne jedes Handy als Zünder umfunktioniert werden; Online-Kommunikationsformen generell könnten als Mittel zur Planung und Ausführung von Terrorangriffen genutzt werden.
Diesen Gefahren der neuen Technologie will die Regierungsmehrheit aus CDU und SPD zukünftig mit der Abschaltung von Mobilfunknetzen und der präventiven Überwachung von privater Online-Kommunikation begegnen. Die entsprechenden Punkte wurden am Mittwoch im Magdeburger Landtag gegen den Protest von der Linken und Bündnis 90/Die Grünen beschlossen; beide Oppositionsfraktionen hatten bis zuletzt auf eine Änderung dieser sowie zweier weiterer Punkte des Gesetzesvorschlags gedrängt, scheiterten aber an der Regierungsmehrheit. Das Gesetz wird also kommen, doch was wird es bringen?

Überwachungsstaat oder Polizeipsychose?

Die Möglichkeiten zur Überwachung werden durch das neue Polizeigesetz erheblich erweitert. Unter richterlicher Zustimmung dürfen fortan personenbezogene „Telekommunikationsinhalte und –umstände“ zur Gefahrenabwehr ausgespäht werden (§17a Nr. 4). Die Anbieter von Telekommunikationsdiensten wie Twitter oder Skype stehen zudem nun in der Pflicht, die Überwachung zu ermöglichen (§17a Nr.6). Bei „Gefahr im Verzug“ kann die Polizei dies jedoch auch ohne richterliche Zustimmung bewirken; Kritiker sehen hierin den ersten Schritt zum Überwachungsstaat.
Alles nur Polizeipsychose, erwidern die Befürworter der Gesetzesänderung. Schließlich schütze das Gesetz ausdrücklich den Kernbereich der Privatsphäre: Denn Daten, die den „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ beträfen, dürfen auch weiterhin nicht erhoben werden (§17a Nr. 5). Dem steht die technische Machbarkeit gegenüber: Im Kern geht es um die Installation eines Abhör- bzw. Mitlesetrojaners, der nur schwerlich selbst über den Inhalt seiner Aufzeichnungsgegenstände entscheiden kann. Der Grünen-Abgeordneten Sebastian Striegel fasste die Situation so zusammen: „Eine rechtskonforme Software ist nicht in Sicht“.

„Wir haben die beste Polizei, die es in diesem Land jemals gegeben hat!“

Aber nicht nur Überwachung, auch Unterbrechung von Kommunikation ist der Polizei künftig erlaubt. Laut § 33 kann die Polizei von jedem Handynetzanbieter verlangen, Kommunikationsverbindungen zu unterbrechen, wenn dies für die Gefahrenabwehr notwendig ist. Aber für welches Gebiet und welchen Zeitraum? Das liegt fortan im Ermessen der Behörde; bis zu zwei Tage lang könnten Handys lahmgelegt werden, danach hat ein Richter zu entscheiden. Der SPD-Abgeordnete Rüdiger Erben verteidigte diesen Eingriff in die privaten Freiheitsrechte damit, dass im Falle einer Bombendrohung oder Geiselnahme schnell und effizient reagiert werden könne.
Doch werden diese Gründe nicht ausdrücklich im Gesetz benannt.Die Magdeburger Oppositionsfraktionen mokierten dementsprechend, dass die allgemein gehaltene Formulierung Missbrauch ermögliche; den Boykott einer Demonstration etwa. Deshalb sollte das Gesetz konkrete Anwendungsfälle für die Mobilfunksperrung auflisten. Dennoch lehnten CDU und SPD diesen Vorschlag zur Güte ab. Solches Missbrauchsbedenken würde nur künstliche Ängste in der Bevölkerung schüren, so die Begründung. Der CDU-Politiker Jens Kolze bekräftigte sein Vertrauen in die Behörden: „Wir haben die beste Polizei, die es je in diesem Land gegeben hat.“
Haben die Oppositionspolitiker nun zu wenig Vertrauen in die Polizei oder hat die Regierungsmehrheit zu viel? Fakt ist, dass die verabschiedeten Neuerungen Kann-Regelungen darstellen: Sie mögen einen Bombenanschlag verhindern helfen, auf jeden Fall ermöglichen sie zukünftig gravierende Eingriffe in das Grundrecht auf Privatsphäre und in die Redefreiheit. Darauf machte auch eine kleine Gruppe junger Leute am Mittwoch im Landtag aufmerksam: Während der Plenarversammlung standen sie auf ein Zeichen hin von ihren Plätzen im Zuschauerraum auf und entblößten ihre Rücken, auf denen der Spruch „SOG – nehmt alles!“ zu lesen war. Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen haben indes angekündigt, das Gesetz vom Landesverfassungsgericht in Dessau prüfen zu lassen.
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