thueringen_640x280Die neue Thüringische Landesregierung hat sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt, in dem sich das Kapitel zur Netzpolitik wie ein Wunschzettel der netzpolitischen Szene liest. SPD, Linkspartei und Bündnis 90/Die Grünen gehen viele wichtige Themen an, die sie in dieser Legislaturperiode umsetzen wollen. Tobias Schwarz hat sich den Thüringer Koalitionsvertrag genauer angesehen.

Selbstbestimmte Freiheit statt staatliche Überwachung

Der Zugang zu digitalen Netzen und deren Inhalten gehört zur Daseinsvorsorge“. Mit diesem Satz beginnt das netzpolitische Kapitel im Koalitionsvertrag der neuen Thüringischen Landesregierung. Es ist ein starker Satz, der den Gedanken unterstreicht, dass der Zugang zur digitalen Welt zugleich die Grundlage für die Demokratie und unsere Gesellschaft ist. Ohne Internet ist “die Inanspruchnahme demokratischer Rechte und gesellschaftliche Teilhabe” nicht möglich, schreiben die Parteien weiter. Folgerichtig ist auch ein Eingriff in diesen Bereich nicht duldbar, weshalb sich die neue Regierungskoalition “gegen jegliche Zensurversuche im und Überwachung des Internets” ausspricht. Der viel zitierte Grundsatz “Löschen statt Sperren” soll hier die leitende Idee sein.
Das sind bekannte Gedanken, sie fanden sich so auch schon in den Wahlprogrammen der Parteien und teilweise in anderen Koalitionsverträgen, auch von der CDU, aber vor allem von der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, in seiner klaren und unumstößlichen Formulierung beeindruckt dieser Koalitionsvertrag dann doch. Damit wird jeglichen “Eingriffen in die informationelle Selbstbestimmung” – zum Beispiel durch Überwachungsmethoden wie der Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchungen, Staatstrojanern und Deep-Packet-Inspection – ein klarer Riegel vorgeschoben. Dies soll einerseits durch einen Fokus auf Medienbildung geschafft werden, indem zum Beispiel über “Datenschutz, informationellem Selbstschutz und Selbstbestimmung und vor unkontrollierter Profilbildung durch Big-Data-Algorithmen” informiert wird, aber auch durch rechtliche und gerichtliche Möglichkeiten, um die informationelle Selbstbestimmung zu garantieren.

Netzneutralität als Grundlage eines freien Netzes

Grundlage des Internets als Lebensraum, wie es im Koalitionsvertrag steht, ist die Netzneutralität. Die drei Parteien sprechen sich gegen eine Einschränkung aus, “Verstöße gegen die Netzneutralität sollen” sanktioniert werden. Wie, möchte der Freistaat “in Abstimmung mit der Bundesebene” entwickeln. Zudem spricht sich die zukünftige Landesregierung für eine “gesetzliche Fixierung der Netzneutralität” aus, was als ein angestrebter Meilenstein bezeichnet werden kann. Eine interessante Idee ist auch, “ob im Rahmen des Breitbandausbaus die Vergabe von Fördermitteln an die Wahrung der Netzneutralität geknüpft werden kann“. Die Telekommunikationsunternehmen sehen Netzneutralität als eine romantische Forderung des Internet an, wie es Unitymedia-CEO Lutz Schüler gestern auf der gestrigen Zeit Konferenz formulierte und sich positiv über Alexander Dobrindt äußerte. Rot-Rot-Grün in Thüringen wird für eine vollkommen andere Politik stehen.
Beim Breitbandausbau soll nach dem Koalitionsvertrag durch eine Fortführung der “Breitbandstrategie Thüringen 2020” fortgeführt werden, mit dem zeitnah der Breitbandausbau forciert und “so die Aufbaugeschwindigkeit” erhöht werden soll. Ein Bundesland wie Thüringen setzt hier natürlich vor allem auf den Ausbau im ländlichen Raum, weshalb die Kommunen eng mit dem Land zusammenarbeiten werden. Um den eingangs zitierten Satz auch umsetzen zu können, ist ein schnellstmöglicher Glasfaserausbau vorgesehen. Dazu sollen Mittel aus den Europäischen Fonds verstärkt eingesetzt werden. Und, ein weiterer Meilenstein nach der Netzneutralität, die Störerhaftung soll “für die privaten und kommunalen Anbieter freier Netzzugänge” abgeschafft und “bürgerschaftliches Engagement im Bereich des Netzzugangs“, wie zum Beispiel die Freifunk-Initiativen, gefördert werden. Die Koalition wird ein Modellprojekt zum “Kommunalen WLAN” und “WLAN im ÖPNV” einrichten.

Mehr Offenheit

Ein weiterer Punkt im Koalitionsvertrag ist die E-Government-Strategie der Thüringer Behörden. Ziel ist es, dass “alle Behördenangelegenheiten in Zukunft auch online erledigt werden können“, zumindest soweit wie möglich. Der auch für die neue Landesregierung geltende Beschluss des Thüringischen Landtags, eine “End-to-End-verschlüsselte-Kommunikation in allen Landesbehörden” anzubieten, soll umgesetzt werden. Zusätzlich sollen die Kommunen dabei unterstützt werden, selber “Angebote für die gesicherte Bürger-Behörden-Kommunikation vorzuhalten“. Der Freistaat will sich außerdem an der bundesweiten Datenplattform GovData beteiligen und “die dort eingespeisten Daten mit offener Lizenz zur Verfügung stellen“. Ein schönes Bekenntnis zu Open Data, durch das für die Bürger ein zentrales Informationsregister entsteht, in dem Daten leicht abgerufen werden können.
Im letzten Abschnitt spricht sich die Landesregierung auch für Open Source und Open Access aus. Der Ausbau freier Software soll unterstützt und gefördert, das Forschungspotential der Thüringer Hochschulen genutzt (besonders Techniken zur Wahrung der informationellen Selbstbestimmung) und eine “Aufnahme von FLOSS-Kriterien (Free/Libre Open Source Software) in die Vergabebestimmung geprüft werden“.

Meilenstein über Meilenstein

In einem Koalitionsvertrag stehen stets einige schöne Vorhaben, wie zum Beispiel in diesem auch die Unterstützung von Gründern in Thüringen durch ein Mikrokreditprogramm und Gründerzentren. Aber dieser Koalitionsvertrag der ersten rot-rot-grünen Landesregierung in Deutschland lässt zumindest netzpolitisch kaum etwas offen. In Landeswahlprogrammen stehen oft noch Vorhaben zum Urheberrecht, kein reines Landesthema und sowieso bald auf der Tagesordnung der Europäischen Kommission. Man hätte sich vielleicht, ähnlich der Überlegung FLOSS-Kriterien in die Vergabebestimmung aufzunehmen, ein Bekenntnis zu unter Creative Commons lizenzierten Inhalten in Schulbüchern oder im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk gewünscht.
Mit den Punkten des Grundrechts auf Internet, der Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung, einer gesetzlichen Verankerung der Netzneutralität und mehr Openness im Freistaat, wurden aber Meilensteine verabredet, deren Umsetzung mit Spannung verfolgt werden darf. Vor dem Hintergrund einer an Details armen Digitalen Agenda der Bundesregierung, was an dem angeblichen Neuland-Charakter der Thematik liegt, wirkt dieser Koalitionsvertrag wie ein Versprechen auf eine Netzpolitik, die diesem Namen auch gerecht wird. Ob diese neue Parteienkonstellation sich im Regierungsalltag mit all seinen Herausforderungen auf die allgemein wenig beachtete Netzpolitik ausreichend konzentrieren kann, wird sich zeigen.
Anmerkung: Mir sei bitte die für Journalismus untypische Begeisterung für diesen Koalitionsvertrag gestattet, da ich zum ersten sehr an Netzpolitik interessiert bin und es sich zum anderen nur um einen Koalitionsvertrag handelt, der erst auch einmal so umgesetzt werden muss, wie er verabredet wurde.


Bild: Wappen: „Coat of arms of Thuringia“ lizenziert unter Public domain über Wikimedia Commons
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