Tablet mit Händen by geralt via pixabay, CC0, bearbeitet Die SPD will sich erneuern und ihr stellvertretender Bundesvorsitzender Thorsten Schäfer-Gümbel im Herbst hessischer Ministerpräsident werden. In seinem Buch „Die sozialdigitale Revolution“ beschäftigt er sich deshalb u.a. mit sozialdemokratischen Antworten auf die Herausforderung des Bildungssystems durch die Digitalisierung. Wir dokumentieren daraus Auszüge.

Unterricht, in dem fächerübergreifend gelernt wird, der zum Selbstlernen und Experimentieren anregt und Fragen aufwirft, ohne immer gleich vorgefertigte Antworten parat zu haben, legt die Grundlage dafür, dass sich Menschen sicher und angstfrei in einer sich permanent wandelnden Gesellschaft bewegen können. Sie müssen offen für Veränderungen sein, diese begrüßen, moderieren und in ihren Alltag integrieren können. Sie müssen mit anderen Menschen verschiedenster Herkünfte und Hintergründe zusammenarbeiten können, um den Wandel zu bewältigen – Schwerpunkte wie interkulturelle Kompetenz und Mandarin als Fremdsprache wären hier denkbar.

 Neue Herausforderungen für den Unterricht und die Menschen

Sie sollten kreatives und spontanes Reagieren gelernt und verinnerlicht haben, denn nach dem Abschluss verlangen Unternehmen agiles Arbeiten, und ihnen begegnen Herausforderungen, die während der Schulzeit noch gar nicht bekannt gewesen sind – das gilt künftig noch mehr als bisher. Sie sollten über ihren Tellerrand hinausblicken und aus anderen Disziplinen lernen wollen, sich zugleich aber selbstbewusst in kleinere und größere Debatten einschalten können sowie Widersprüche verstehen, aushalten und akzeptieren.

Sie sollten ausbildungsfähig sein und neben den Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen nicht nur ihre Muttersprache beherrschen, was inzwischen häufig unterschätzt wird, sondern sich in „Technologie“ auch mit dem Coden auseinandersetzen, also mit dem Verstehen, Lesen und Schreiben von ersten Programmen und Apps. In solch einem Fach ginge es nicht nur um Informatik, sondern zusätzlich um Grundkenntnisse neuer Techniken wie zum Beispiel Blockchain, Virtual Reality, künstliche Intelligenz oder auch neue Apps, die die Schülerinnen und Schüler reihum einmal pro Woche in einem Kurzreferat vorstellen könnten, damit sie und alle anderen ein Bild davon bekommen, wie sich die Technologie entwickelt. Und nicht zuletzt sollten sie für die gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung und die wichtigsten ethischen Fragen sensibilisiert sein. Neue Technologien ziehen häufig einen veränderten Umgang untereinander nach sich. Anstatt jeden Einzelnen damit sich selbst zu überlassen, muss Medienkompetenz auf den Stundenplan.

 Wir brauchen ein Aktionsprogramm für digitale Lehrkompetenz

Eine gute technische Ausstattung ist allerdings kein Selbstzweck, sondern ihr Einsatz ermöglicht es Lehrerinnen und Lehrern, den Unterrichtsinhalt verständlicher, leichter und schneller zu vermitteln. Hierfür müssen die Lehrkräfte jedoch ausgebildet sein. Zu häufig reduzierten sich die Investitionen aber auf die Anschaffung von Laptops, iPads, Tablet-PCs und Whiteboards, den interaktiven Multimediatafeln, die mit einem Rechner verbunden sind. Die notwendige Schulung der Lehrerinnen und Lehrer an diesen zum Teil sehr teuren und komplexen Whiteboards fand kaum statt, weshalb längst nicht alle ihr Gerät nutzen konnten, zum Teil bis heute nicht. Der Grund: Wir haben eine Trennung der Zuständigkeit für die technische Ausstattung von derjenigen für die konzeptionell-pädagogische Fortbildung. Erstere liegt bei der Kommune als Schulträger, letztere liegt beim Land – und in der Vergangenheit war die Zusammenarbeit, sagen wir es diplomatisch, verbesserungsfähig. Dieser Konstruktionsfehler muss schnellstens behoben werden. Hier muss die Lehrerfortbildung – für die das Land zuständig ist – auf eine neue Stufe gehoben werden.

Volkshochschulen als Orte des digitalen Lernens

In Deutschland leisten jeden Tag mehr als 900 Volkshochschulen Fort- und Weiterbildungen. Sie bieten Sprach- und Gesundheitskurse an, fördern die Grundbildung ebenso wie die Kultur und bringen Einzelne in ihrem Beruf weiter oder eröffnen neue Perspektiven. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene lernen hier ebenso wie zahlreiche Flüchtlinge, die alphabetisiert werden oder Sprach- und Integrationskurse bekommen. Darüber hinaus ist der Deutsche Volkshochschulverband international vernetzt und mit mehr als 200 zivilgesellschaftlichen, staatlichen und wirtschaftlichen Partnern in 30 Ländern im Kontakt. Es wäre naheliegend, diese Orte des Lernens als Anlaufstellen für Fragen der Digitalisierung auszubauen, zumal die Volkshochschulen begonnen haben, die Themen in ihre Angebote aufzunehmen. Neben sehr praktischen Computerkursen in Textverarbeitung, Tabellenkalkulation oder 3D-Drucken finden sich dort auch Vorträge oder Seminare, die über die Facebook-Nutzung in Zeiten des neuen EU-Datenschutzes oder über Sprachassistenzsysteme in den eigenen vier Wänden aufklären.

Der Vorteil: Die Volkshochschulen sind nicht nur in allen Bundesländern vertreten und vor Ort gut vernetzt. Sie sind ein bekannter und anerkannter Bildungsträger, der maßgeblich von den Ideen und der Mitarbeit seiner bundesweit mehr als 190.000 Honorarkräfte lebt. Deren niedrigschwellige Angebote orientieren sich per se an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger und laden zum Erfahrungsaustausch ein. Warum also nicht dafür sorgen, dass sie in der digitalen Gesellschaft eine größere Rolle spielen und für Menschen immer wieder dann zum Ansprechpartner werden, wenn in ihrem Leben Veränderungen anstehen? Die Geschwindigkeit, mit der die Veränderungen auf uns zukommen und uns herausfordern, macht es unmöglich, neue Strukturen zu konzeptionieren und aufzubauen – sie kämen schlicht zu spät, um den Wandel in die richtigen Bahnen zu lenken. Andererseits ist klar, dass wir eine zeitgemäße Fort- und Weiterbildung brauchen – allein mit der Ausbildung, die nur am Anfang des beruflichen Lebens steht, ist es nicht getan.

Thorsten Schäfer-Gümbel: Die sozialdigitale Revolution. Wie die SPD Deutschlands Zukunft gestalten kann. Copyright © 2018 Murmann Publishers GmbH, Hamburg (weitere Angaben finden Sie hier).

Titelbild: © geralt via pixabay, CC0, bearbeitet.