CC0 Public Domain Unter dem Aufruf „Diskutiere mit!“ fand vom 14. Bis 16. Oktober 2016 in Halle (Saale) das erste Barcamp zum Thema Digitale Stadt statt. Neben dem Oberthema standen verwandte Themen wie Stadtentwicklung, Geschäftsmodelle und Technologien im Fokus.

Die Stadt als Lebensraum gewinnt im Vergleich zu den  kleiner werdenden Dörfern immer mehr an Bedeutung. Zudem werden digitale Wirtschaftszweige immer wichtiger für die Wertschöpfung und siedeln sich vor allem in urbanen Gebieten an. Wie diese Entwicklungen gestaltet werden können, welche Potentiale und Chancen, aber auch Hürden es gibt, wurde in verschiedenen Vorträgen thematisiert und diskutiert.

Eine Veranstaltung ohne festen Plan?

Als offene Form des Ideenaustausches sind die Besucher eines Barcamps aufgerufen, sich aktiv durch Vorträge und Diskussionsrunden an der Ideenfindung zu beteiligen. Ein Impulsvortrag von 45 Minuten und anschließende Diskussion waren angedacht. Das Barcamp, organisiert von webwirtschaft.net hatte ein paar Session Slots, die von vorn herein mit Vorträgen gefüllt waren, was für das sonst sehr spontane Format eines Barcamps unüblich war. Die restlichen Slots wurden erst am Tag der Vorträge gefüllt. Hier war dann die Mitarbeit der Barcamp-Besucher gefragt: wer ein spannendes Thema hat und dieses vortragen bzw. diskutieren möchte, kann dies in einem einstündigen Slot tun. Auch wenn es eine Frage zu einem Thema gibt und sich aus den anwesenden Personen Leute finden, die dazu etwas sagen können, kann daraus ein Vortrag entstehen – schließlich bringt auch eine Diskussion spannende neue Einblicke aus verschiedenen Blickwinkeln. In der Ankündigung zum Barcamp waren die Beispiele für Themen sehr breit gefächert: von Social Media, IT-Sicherheit über Politik bis zu Stadtentwicklung und Geschäftsmodelle. Entsprechend vielseitig waren auch die dann spontan festgelegten Vorträge. Neben aktuellen Themen wie die Verwendung von Open Data in städtischen Verwaltungen ging es u.a. auch um Digitale Nomaden, Smart Home oder E-Learning.

Die Zukunftsstadt / Symbiotic City

Wir müssen wissen, wie wir die Zukunftsstadt aussehen lassen wollen, so Norman Klüber vom Fraunhofer Institut IMWS. Im Vortrag über die Zukunftsstadt gng es darum, was eine Stadt theoretisch bieten muss, um Digitalisierung umzusetzen. Denn dass die Digitalisierung Einzug in den Alltag halten wird, steht für Klüber nicht zur Frage: das Internet der Dinge und künstliche Intelligenz werden kommen. Die Stadt als Lebensraum sollte deshalb eine Schnittstelle zur Digitalisierung haben, die aber für die Stadt vorher genau definiert werden muss. Welche Aufgaben kann eine digital vernetzte Stadt lösen und welche Chancen bieten sich damit zukünftig? Ohne die richtigen Fragen zu stellen, wird die Zukunftsstadt nicht die an sie gestellten Erwartungen erfüllen. Auch wenn überall das Buzzword „Smart“ verwendet wird z.B. City, Energy, Planning, Buildings, Mobility, Technology oder Governance, betont Klüber, dass Digitalisierung nicht einfach alle Probleme löst.

Es muss deshalb eine Diskussion darüber geben, wie wir diese Systeme gestalten und nutzen können. Was wird von der Stadtgestaltung und der Stadtentwicklung erwartet? Laut Klüber sind Digitalisierung und „Smart City“ schon lange ein Thema in städtischen Verwaltungen. Entscheidend ist die Frage: Welche Ziele will man zukünftig erreichen? Während mit der Zukunftsstadt oft Weiterentwicklung und Fortschritt im Fokus stehen, gibt es Grundprobleme wie Armut, die weiterhin aktuell bestehen. Deshalb müssen sinnvolle Ziele im Hintergrund formuliert werden, sonst baut sich eine Schere zwischen Fortschritt und aktuell noch vorhandene Problemen auf. Ein Beispiel sind die 17 Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung. Ein weiteres Beispiel für Ideen zur Zukunftsstadt ist halle.neu.stadt , das am Wettbewerb der Zukunftsstadt teilnimmt.

Mit Blick auf zukünftige Stadtentwicklungen ist es notwendig, die Digitalisierung für Problemlösungen mit einzubeziehen. So müssen wir laut Klüber alternative Wohnformen finden, da die klassische Wohnfamilienkonzeption nicht mehr der dynamischen sozialen Realität entspricht. Auch sind neue Energiequellen und Speicher, Energetische Infrastruktur und geschlossene Stoffkreisläufe Teil der Zukunftsstadt.ebenso wie Mobility on Demand. Die gleichzeitige Bereitstellung von ÖPNV + PKW-Verkehr sei kurzfristig notwendig. Klassische PKW und Taxis wird es in 10 Jahren nicht mehr geben, stattdessen wird es hybride oder symbiotische Transportkonzepte geben, so Kleber. Auch neue und alte Produktionsweisen (z. B. solidarische Landwirtschaft, lokal denken, handeln und produzieren) werden laut Klüber wieder vermehrt Teil der zukünftigen Stadt sein.

Die Stadt sollte als Ressource mit Potential gesehen werden. So ist geteiltes Wissen z.B. via Leerstandsmelder eine digitale Chance für die Stadt. Wichtig dafür sind aber neue Formen der Partizipation zwischen z.B. parallel laufenden off- und online- Angeboten. Digitale Angebote funktionieren nur, wenn die Beteiligten sie akzeptieren und auch aktiv nutzen. Als Möglichkeit wurde interaktive und kommunikative Social-Media-Projekte genannt, wie zum Beispiel die durch Bürgerbeteiligung entstandene Brücke von luchtsingel.org. Hier wurde die gesamte Brücke durch Bürgerspendengelder gebaut, da eine lokale Identifikation und digitales Urban Crowdfunding stattfanden.

Missverständnisse der Digitalisierung – alte Denkweisen überwinden

Im Impulsvortrag zu den Missverständnissen der Digitalisierung von Thomas Patzelt, Geschäftsführer der Teleport GmbH, ging es um die Frage, welche Diskrepanz es zwischen Theorie und Praxis in der Digitalisierung gibt. Unter der Prämisse, dass digitale Transformation für Unternehmen überlebensnotwendig sei, sind UBER, airbnb und Lieferheld Beispiele für den Wandel digitaler Geschäftsmodelle. Es werden Fahrdienste, Zimmer und Mahlzeiten angeboten, obwohl die Unternehmen selber keine eigenen Autos, Hotels oder Restaurants besitzen.

Mit der Aussage „wir digitalisieren nicht, um unseren Vorsprung auszubauen, wir versuchen, die immer größer werdende Lücke zu schließen“ richtet Patzelt die Aufmerksamkeit auf einen zentralen Aspekt: die schulische Ausbildung: Digitalisierung werde in der Schule nicht beigebracht. Der Unterricht sei praxisfern und digitale Arbeitsweisen würden dort nicht vermittelt. Die intuitive Nutzung von Tablets und anderen Geräten sei nicht das Problem, aber es fehle an Programmierkenntnissen. Aus der persönlichen Erfahrung mit zwei Schulkindern leitete er ab, dass digitale Erziehung nicht ausreichend in der Schule vermittelt werde. Es dürfe nicht nur darum gehen Schüler mit Tablets auszustatten, sondern ein Konzept für digitale Integration sei notwendig.

In der anschließenden Diskussion wurden auch Probleme in der Ausbildung von Lehrern beleuchtet, da digital interessierte Lehrer selten auf ein ebenso interessiertes Kollegium träfen. Ein gelungenes Projekt für die Ausbildung an Schulen sei das Projekt Futurego.

Digitale Verwaltung und offene Daten: Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage?

Unter der Leitfrage „Gibt es genug Daten und wenn ja, warum werden diese nicht verwendet?“ erörterte Stefan Weißwange das Thema „Open Data und digitale Verwaltung“. In der Theorie sind offene Daten ein Berg von Daten, die zur Verfügung gestellt werden, damit sie alle nutzen können. Dies bedeutet, dass Open Data in einer engeren Definition als freie Lizenz (kostenlos), maschinenlesbar, strukturiert und aktuell vorhanden sein müssen. Diese Vorgabe setze aber kaum eine Verwaltung vollständig um, da die Daten zwar von Verwaltungen geliefert werden, aber dabei nicht alle benannten Voraussetzungen erfüllen.  Immerhin würden immer mehr Daten verwertbar zur Verfügung gestellt werden, konstatiert Weißwange.

Mit dem Aktionsplan Open Data und dem Datenportal govdata.de sollen Daten für Verwaltungen greifbar gemacht und Datensätze gesammelt werden. Ein weiteres Beispiel für online verfügbare Verwaltungsdaten ist die Seite des Statistischen Bundesamtes. Auch in Halle gibt es offene Verwaltungsdaten, die aber mit den angebotenen Dateiformaten .csv und .xls als nicht verarbeitbare Datensätze gelten. Beim Thema Angebot und Nachfrage merkte Weißwange an, dass es offene Daten gibt, die aber wenig genutzt würden. Die Nachfrage sei also der Knackpunkt. Auch gibt es laut Open Data Atlas keine flächendeckenden Open Data Portale in Deutschland. Zudem wurde kritisiert, dass es Projekte wie Apps4Deutschland gab, bei denen Apps erstellt wurden, die Daten aber nicht erneuert oder gepflegt wurden (zum Zeitpunkt des Vortrags war die Seite noch online). Mit punktueller Förderung wird keine Nachhaltigkeit erzielt. Diese Kritik wurde im Vortrag auch auf Hackathons ausgeweitet, die sich zum Teil auch mit Open Data beschäftigen, aber ebenfalls nur punktuell gefördert werden. Weißwange betont, dass Offene Daten nicht automatisch einen Nutzen erzeugen und die fehlende Nutzung die Vorbehalte verstärkt. Allerdings gibt es auch Unternehmen und Open Data Communities, die als Vorreiter gelten können, diese sind aber vor allem in den USA angesiedelt. In der Verwaltung ist es vor allem die Datenbereitstellung, die Ansprechbarkeit und die Umsetzungszeiträume, die eine Hürde darstellen, um Open Data effektiv zu nutzen.

Zwar gibt es offene Daten und Anwendungsgebiete für diese, allerdings ist die Nutzung und das Angebot in Deutschland gering. Dies liegt nicht nur an der Art der angebotenen Daten, sondern ist auch regionsabhängig: Größe, Wirtschaftskraft, Bildung und andere Faktoren spielen eine wichtige Rolle.

Unterm Strich kommt Weißwange zu dem Fazit, dass der Hype um Open Data vorbei sei. Zwar gibt es offene Daten, die genutzt werden können und müssten- aber eine punktuelle Verwendung reicht nicht aus.

Digitale Nomaden, passives Einkommen und Coworking Spaces

Der Vortrag zum Thema „Digital Nomaden, passives Einkommen und Coworking Spaces“ von Matthias Haltenhof passt zur digitalen Stadt durch den Blick in die zukünftigen Arbeitsmöglichkeiten. Mit der Frage „Was ist das und was bringt es?“ werden Digitale Nomaden als Personen beschrieben, die reisen und nebenbei von unterwegs arbeiten. Hierbei bietet sich ein passives – also vom zeitlichen Bezug losgelöstes – Einkommen an. Passives Einkommen ist, wie der Vortragende betonte, nicht nur „eine Stunde Schalter umlegen und für immer Geld verdienen“. Es gehöre mehr dazu, nämlich harte Arbeit und zeitlich eigenständiges Arbeiten. Die zwölf vorgestellten Möglichkeiten für passives Einkommen findet man in der Praxis oft in Coworking Spaces. In den Coworking Spaces findet oft ein reger Austausch zwischen den Digitalen Nomaden statt und es kann zum Expertenaustausch verschiedener Themengebiete kommen. Solche Coworking Spaces gibt es in Halle (Saale) kaum, in Leipzig geschätzt 5 Mal und in Berlin circa 100. Abschließendes Fazit des Vortrags war: Es werden mehr Coworking Spaces in der zukünftigen Stadt gebraucht, da sich ortsunabhängiges Arbeiten positiv für Angestellte und Unternehmen auswirken kann.

Fazit zum Barcamp 2016 in Halle

Mit dem Ziel, über die Probleme von heute und die Herausforderungen von morgen zu diskutieren, konnte das Barcamp viele verschiedene Themenkomplexe bearbeiten. Der nächste Schritt muss nun sein, mit lokalen Entscheidern über diese Themen zu sprechen. Ingesamt war der Meinungs- und Erfahrungsaustausch von konstruktiver Kritik geprägt, auf Twitter lassen sich einige Diskussionen unter #bchal auch im Nachhinein verfolgen.

Titelbild : woman-1446557_640, CC0 Public Domain

 

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