Abschaffung der Hartz-IV Gesetze, Mindestlohn und „Raus aus Afghanistan“: Offline ist klar, wo die Linkspartei steht. Die Schnittmenge von sozialer Gerechtigkeit und Netzpolitik sucht die Partei derzeit noch. In der Serie "Parteien im Netz" nimmt politik-digital.de in loser Folge die fünf im Bundestag vertretenen Fraktionen unter die digitale Lupe: Wo stehen sie netzpolitisch? Wie organisieren sie sich im Web? Und: Wer sind die Köpfe dahinter?
Glaubwürdiges Abstimmungsverhalten
Die brisanten Themen vorweg: Bei den jüngsten netzpolitisch-relevanten Abstimmungen lehnte die Linkspartei Vorratsdatenspeicherung, Zugangserschwerungsgesetz (Zensursula) und das SWIFT-Abkommen ab. Allerdings sollte man hierbei auch beachten, dass die Partei bei diesen Abstimmungen immer aus der Opposition heraus agierte. Die SPD zum Beispiel hat es als Regierungspartei der Großen Koalition in der Zensursula-Debatte ungleich schwerer gehabt (mehr dazu im SPD-Artikel der politik-digital.de-Serie). Aber: Die Linksfraktion im Bundestag war die erste Fraktion, die am 27. Januar 2010 einen Gesetzentwurf zur Aufhebung des umstrittenen Zugangserschwerungsgesetzes vorgelegt hat. Bei diesem Thema zog die SPD – nun ebenfalls in der Opposition – erst später nach.
Ein netzpolitisches Profil schaffen
„Linke Netzpolitik ist gerade in der Entwicklung“, gibt Halina Wawzyniak, Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Parteivorsitzende, im politik-digital.de-Video-Interview zu. Als Themenschwerpunkte ihrer Partei nennt Wawzyniak Netzneutralität (im Sinne von „offenes Netz“), Internetzugang für Jedermann und die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt. Das Leitmotiv „Soziale Gerechtigkeit“ lässt sich daran bereits erahnen. Aber welche Ideen hat die Linkspartei, um aus dem Leitmotiv netzpolitische Praxis zu machen?
Die Teilhabe aller sichern
Für Wawzyniak ist soziale Gerechtigkeit „die Verwirklichung der Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger an der Gesellschaft“. Diese Teilhabe schließe auch Breitbandinternet ein. Die Partei „Die Linke“ sieht hier den Staat in der Pflicht. „Breitband-Internet-Anschlüsse in den gesetzlichen Universaldienst aufnehmen“ fordert das Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2009.
Zur Teilhabe im Netz gehören auch „konkrete Strategien, um Medienkompetenz aufbauen zu können“, so Wawzyniak weiter. Diese müsse über die schulische Ausbildung bis ins Alter vermittelt werden. Wie konkrete Strategien allerdings aussehen, bleibt offen.
Fair Work im digitalen Zeitalter
Besondere Beachtung bei der Linkspartei finden die Kreativschaffenden in der „digitalen Ökonomie“. Damit sind zum Beispiel (Online-)Journalisten und Softwareentwickler gemeint. In deren Arbeitswelt sehe man „neue Formen von Ausbeutung und Prekarisierung“, heißt es in einer Erklärung der Linkspartei zur Enquête-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ im Bundestag. Schon das Bundestagswahlprogramm 2009 forderte einen "sozial verantwortlichen Umgang" mit Kreativschaffenden. Dazu gehörten unter anderem die Achtung von Arbeitszeitgesetzen und mehr Festanstellungen in der Branche. Weiterhin schlägt das Wahlprogramm ein „Fair Work- Siegel“ für Spiele, Programme und Online-Angebote vor.
Genauer betrachtet sind das Probleme, die bereits „offline“ bestanden – beispielweise bei Freischaffenden in der Medienbranche, die schon vor dem Internetboom mit ungewissen Zukunftsaussichten leben mussten. Für die Linkspartei gehört es zu einer sozial gerechten Netzpolitik, hier Regelungen zu schaffen. „Die Gesellschaft von gestern ist nicht auf die Gesellschaft von heute übertragbar“, begründet Wawzyniak die besondere Beachtung der Arbeitsverhältnisse im politik-digital.de-Video-Interview. Auch in der Internet-Enquête wolle man das Thema ansprechen, hieß es in der Erklärung der Linkspartei zur Kommission im Bundestag. Bisher ist das nicht geschehen: Auf die offizielle Agenda der Enquete-Kommission hat es das Thema nicht geschafft.
Open Source gegen Abhängigkeit von Konzernen
Die Linkspartei unterstützt die Nutzung quelloffener Software (Open Source). Vor allem öffentliche Verwaltungen sollen verstärkt Open-Source-Lösungen einsetzen, so Wawzyniak im Gespräch mit politik-digital.de. Freie Software sei nicht nur kostengünstig und sicher, sondern auch „ein wichtiger Beitrag zur Umgehung von Konzernzwängen“, sagte die stellvertretende Parteivorsitzende.
Offene Daten laden zum Mitmachen ein
In Sachen elektronischer Partizipation empfiehlt Wawzyniak vor allem „niedrigschwellige Angebote“ zu schaffen, die für alle Bürger zugänglich sind. Auch "Open Data" könne zur Partizipation beitragen, denn frei zugängliche Informationen ließen Bürger und Medien an der politischen Diskussion teilhaben. „Haushaltsdaten und Sozialstrukturdaten müssen maschinenlesbar veröffentlicht werden“, so Wawzyniak weiter.
Urheberrechtsdebatte zeitgemäß führen
Ein klares Konzept, wie man das Urheberrecht in Zukunft organisieren will, hat die Partei bislang nicht vorgelegt. Enquête-Mitglied Petra Sitte fordert in einer Pressemitteilung vom 5. Mai 2010, „das Urheberrecht nicht zu verschärfen“. Ihre Parteikollegin Wawzyniak macht gegenüber politik-digital.de deutlich, dass „Regelungen aus Zeiten physischer Informationsträger nicht mehr die richtigen Antworten geben.“ Auch ein Leistungsschutzrecht für Verlage (mehr dazu im FDP-Artikel der politik-digital.de-Serie) lehne die Linkspartei ab.
Netzpolitik betrifft alle
Ein zentrales Gremium zur Netzpolitik gibt es bei der Linkspartei nicht. Man wolle vermeiden, dass Netzpolitik in einem „abgeschlossenen Kreis von Experten“ diskutiert wird, so Mark Seibert aus der Öffentlichkeitsarbeit. Die gesamte Partei solle sich mit Netzpolitik beschäftigen. Dennoch sind auch verschiedene Arbeitsgemeinschaften (AGs) mit dem Thema betraut: die AG Netzpolitik der Bundestagsfraktion, die Bundesarbeitsgemeinschaft Bürgerrechte und Demokratie sowie die AG Digitale Demokratie. Die Aktivität der Letztgenannten stagniert. Der letzte Tweet datiert vom 19. Februar 2010, der aktuellste Blogeintrag vom 28. Mai. Aktiver geht es auf digitale-linke.de zu. Hier wird aus Partei, Bundestags- und Landtagsfraktionen zu netzpolitischen Themen gebloggt.
Transparenz und Spieltrieb
Auf ihren Webpräsenzen setzen die Linkspartei vor allem auf „nüchterne Information“, so Seibert weiter: „Wir haben Entertainment weitgehend verbannt.“ Stattdessen ermögliche man Transparenz durch Information. Als Beispiel dafür führt er die Veröffentlichung der „kompletten Wahl- und Kommunikationsstrategie“ der Linken an.
Mitmachen und Kommunizieren kann man auf der Community-Plattform linksaktiv.de und in den bekannten sozialen Netzwerken. Beachtenswert auf linksaktiv.de sind die sogenannten „Missionen“ – die aber auch in Netzwerken anderer Parteien genutzt werden. „Linksaktivisten“ erledigen Aufgaben wie „Mach bei Online-Umfrage XY mit!“ oder „Betreue einen Infostand!“ und bekommen dafür Punkte. „Perspektivisch wird es auch ein Belohnungssystem für die Punkte geben“, teilt Seibert mit. Nach seinen Angaben funktioniere die Aktionsform erstaunlich gut und sei „mehr als bloße Spielerei“. linksaktiv.de hat ca. 3500 Mitglieder (Stand: 16. Juli 2010).
Online-Ergebnisse nutzen
Laut Seibert versucht die Linkspartei, relevante Threads in Online-Diskussionen zu beobachten und „Ergebnisse gegebenenfalls zu verwerten.“ In Zukunft soll auch die Programmdebatte „verstärkt elektronisch geführt werden.“ Ein digitales Antragsverfahren wolle die Partei hierzu schaffen. Eine „Linke-App“ sei ebenfalls in Planung, lässt Seibert wissen. Auf seinem Blog findet sich übrigens eine Liste der Twitter-Kanäle rund um die Partei „Die Linke“.
Die Macher
Halina Wawzyniak ist eine wichtige Ansprechpartnerin für Netzpolitik in der Linkspartei. Die stellvertretende Parteivorsitzende ist zugleich Obfrau ihrer Partei in der Internet-Enquête. Sie bloggt auch über nicht-netzpolitische Themen und twittert selbst aus dem Urlaub. Halina Wawzyniak ist zudem Gründungsmitglied im OpenData Network e.V. und der Beweis dafür, dass nicht nur liberale Politiker iPad-Fans sind.
Ein weiteres Internet-Enquête-Mitglied der Linkspartei ist Petra Sitte. Die Sprecherin für Forschung und Technologie der Linkspartei-Bundestagsfraktion ist auch Mitglied im Unterausschuss Neue Medien. In der Enquête-Kommission wird sie nach der Sommerpause nur noch stellvertretendes Mitglied sein. Sie ist aber weiterhin in der Arbeitsgruppe Urheberrecht aktiv. Sittes schwache Präsenz im Web 2.0 hat sich nicht verbessert. Diese war politik-digital.de schon beim Enquête-Mitgliedertest keine Punkte wert.
An Sittes Stelle in der Enquête tritt Herbert Behrens, stellvertrender Vorsitzender des „Unterausschuss Neue Medien“. Der frühere Gewerkschafter sollte sich zunächst in das Thema Netzpolitik einarbeiten – deshalb der Positionswechsel, heißt es aus dem Büro von Petra Sitte. Behrens machte jüngst vor dem deutschen Bundestag klar, dass die Einsetzung der Internet-Enquête ohne die Linkspartei „parteipolitische Profilierung“ war. Behrens Webpräsenz ist noch ausbaufähig. Er besitzt keine wirklich eigenständige Homepage und nutzt stattdessen das Linke-CMS. Auch einen Twitter-Kanal oder Blog von ihm sucht man vergebens. Immerhin findet man ihn bei Facebook und meinVZ.
Unter Mitarbeit von Felix Melching.