Häuser, die selbst das Licht ausmachen, Mülltonnen, die der Stadtreinigung Bescheid geben, wenn sie geleert werden müssen, Elektroautos, die dem Fahrer den Weg zum nächsten freien Parkplatz zeigen, Straßenlaternen, die sich dimmen, wenn niemand in der Nähe ist – so könnte die Stadt der Zukunft aussehen, wenn man Visionären in der Debatte um Smart Cities glaubt.

Der sechste Teil unserer Sommerreihe zum Internet der Dinge beleuchtet, wo Technologie bereits das urbane Leben regiert und fragt, ob schlaue Städte immer auch lebenswerte Städte sind.
Was macht eine Stadt intelligent? Weltweit geistert der Begriff „Smart City“ durch Debatten um die Zukunft städtischen Zusammenlebens und bleibt dabei ähnlich konturlos wie das große Wort „Nachhaltigkeit“. Rio de Janeiro, Chicago, Singapur, Wien und London – sie alle wollen irgendwie smarter werden und verstecken dafür Sensoren in Asphalt und Straßenlaternen oder entwickeln Wetterapps für Taxifahrer. So zahlreich und vielfältig die Ideen zu Smart Cities auch sind, sie alle eint derselbe Leitgedanke: Vernetzung und Informationsaustausch im Namen von Effizienz und Klimaschutz. Im Grunde genommen sollen in einer intelligenten Stadt also mit technologischer Hilfe die Lebensqualität der Bewohner verbessert, Mobilität effizienter gestaltet und Ressourcen geschont werden. Die Bike- und Carsharing-Programme, die es mittlerweile in vielen deutschen Städten gibt, sind ein erster, kleiner Schritt in diese Richtung, Smart City will aber wesentlich mehr: ein ganzheitliches Konzept und die totale Vernetzung. Das bedeutet, von Abwasserkanälen über öffentlichen Nahverkehr und das Stromnetz bis hin zu Gebäuden und Autos, könnte bald alles über eine elektronische Schaltzentrale miteinander vernetzt und aufeinander abgestimmt sein.

Zur Sache: Was passiert da eigentlich genau?

Wie eine von Technologie komplett durchdrungene Stadt aussehen könnte, zeigt sich in Songdo in Südkorea. Etwa 65 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Seoul entsteht dort für 40 Milliarden US-Dollar ein „smarter“ Geschäftsbezirk. Ein spannender Ort, denn in Songdo haben Architekten und Stadtplaner die Gelegenheit genutzt, neue Technologien zu implementieren, die in historisch gewachsenen Städten schwer umzusetzen wären, und alles auf Effizienz und Ressourcenschonung getrimmt. Überall in Gebäuden und Infrastruktur der Stadt sind Sensoren verbaut, die Temperatur, Energieverbrauch oder auch das Verkehrsaufkommen beobachten und regulieren können. Es sind keine Müllautos auf den Straßen zu sehen, stattdessen wird der Abfall durch ein ausgeklügeltes Röhrensystem aus den Gebäuden direkt in eine Sortiereinrichtung gesaugt, wo er aufbereitet, parfümiert und zur Energiegewinnung vorbereitet wird. Die Wasserrohre sind klug genug, noch nutzbares Wasser zurückzuhalten und die Toiletten der Stadt nicht mit Trinkwasser zu spülen. Smart Cards für die Bewohner dienen als Ausweis, Schlüssel und Zahlungsmittel zugleich.
Alles gut durchdacht also und trotzdem bleibt ein Problem: Bisher ist Songdo weitgehend unbewohnt. Zwar scheint der Verkauf von Wohnungen mittlerweile in Gang gekommen zu sein, dennoch werden noch immer nur ca. 20 Prozent der verfügbaren Geschäftsflächen genutzt. Ähnlich sieht es in der ehemals hochgepriesenen Vorzeigestadt Masdar City in Abu Dhabi aus, die ursprünglich für 40.000 Menschen geplant wurde, aber noch immer nahezu unbevölkert ist. Das wirft die Frage auf: Handelt es sich hier nur um Startschwierigkeiten oder sind Technologiekonzerne doch keine so guten Stadtplaner?
Retortenstädte wie Songdo oder Masdar City mit ihrer omnipräsenten Technik sind und bleiben wahrscheinlich Extrembeispiele, doch auch Europa will innovativ sein und auf den Fortschrittszug aufspringen. In historisch gewachsenen Städten werden Smart City-Projekte meist zunächst auf begrenztem Raum getestet, wie beispielsweise in Confluence, dem alten Hafenviertel der südostfranzösischen Metropole Lyon. Dort bestimmt Energieeffizienz die Vision von der Smart City. Energieneutrale Gebäude mit Solarpanelen produzieren Strom und liefern ihn über ein Smart Grid dorthin, wo er gerade gebraucht wird. Eine Flotte von Elektroautos steht auf den Straßen bereit und über Smart Meter, also intelligente Zähler, wird der Energie- und Wasserverbrauch im Stadtteil erfasst und analysiert. So kann nicht nur die Stadtverwaltung den Energiekonsum besser prognostizieren, sondern auch jeder Bewohner seinen Ressourcenverbrauch selbst optimieren.
Die nordspanische Hafenstadt Santander betreibt mit EU-Fördermitteln hingegen gleich einen großangelegten Smart City-Versuch. In der Stadt sind im Asphalt, an Straßenlaternen und auf Bussen und Taxis 12.000 Sensoren verteilt, die Verkehrsaufkommen, Feinstaubbelastung und freie Parkplätze registrieren und an ein zentrales Kommandozentrum schicken. Dort kann dann die Straßenbeleuchtung gedimmt oder die Straßenreinigung zu vollen Mülleimern geschickt werden. Die Bewohner der Stadt können viele der Daten direkt über eine App abrufen und zudem selbst zur Verbesserung des Stadtbildes beitragen, indem sie Schlaglöcher oder kaputte Straßenlaternen melden.
Während das Prinzip der Smart City im Ausland bereits kräftig ausprobiert wird, sind deutsche Städte bisher eher zurückhaltend, was den Umbau von traditionellen zu intelligenten Städten angeht. In Stadtmarketingbroschüren und auf Diskussionsveranstaltungen ist „Smart City“ ein gern verwendeter Begriffe, generell scheint jedoch vorsichtiges Abwarten die Devise zu sein. Immerhin Köln und Hamburg haben kürzlich erste Projekte zu dem Thema gestartet.

Wozu das Ganze?

Die deutsche Skepsis in allen Ehren, aber es gibt gute Gründe, warum ein wenig Innovationsgeist in Stadtverwaltungen durchaus angebracht wäre. Seit 2008 leben mehr als 50 Prozent der Menschheit in urbanen Ballungszentren, in Europa sind es bereits zwei Drittel der Bevölkerung. Bevölkerungswachstum und Urbanisierung bringen viele Herausforderungen mit sich und zwingen uns langfristig zu einem verantwortungsvolleren Ressourcenmanagement. Die Integration von Informations- und Kommunikationstechnologien in die Infrastruktur einer Stadt kann dabei helfen, innovative Lösungen für Mobilität, Verwaltung und öffentliche Sicherheit zu finden und viele städtische Probleme effizienter und schneller zu lösen. Vor allem aber bietet der Einsatz neuer Technologien die Chance, Verwaltungsprozesse transparenter zu gestalten, behördliches Arbeiten besser zu koordinieren und interaktiv mit den Bürgern zu kommunizieren. Smart City-Technologien bergen also einiges Potential, das städtische Leben ein wenig leichter zu machen – und sei es nur, dass eine App uns sagt, wann der Bus Verspätung hat oder der Strom am günstigsten ist.

Risiken und Nebenwirkungen

Allerdings ist auch in der Smart City-Debatte nicht alles Gold, was glänzt. Kritiker des Konzepts wie Evgeny Morozov monieren, der Hype um schlaue Städte sei von internationalen Technologiekonzernen wie IBM, Cisco und Siemens geschaffen worden, die uns vorgaukelten, für jedes Problem im urbanen Raum gebe es eine technische Lösung, um teure Produkte an innovationshungrige Stadtverwaltungen zu verkaufen. Und tatsächlich fällt auf, dass die meisten Smart City Projekte im Rahmen einer Public Private Partnership mit großen Unternehmen umgesetzt werden. IBM beispielsweise ist nicht nur an mehr als 2.500 Smart City-Projekten weltweit beteiligt, sondern hat sich auch den Begriff „Smarter Cities“ schützen lassen. Das ist insofern problematisch, als es, auch wenn IBM mit dem vermessen anmutenden Spruch „Let’s build a smarter planet, city by city“ wirbt, beim Smart City-Konzept eben nicht nur um verbesserten Nahverkehr oder nachhaltigeres Wohnen geht, sondern auch um das Sammeln riesiger Datenmengen.
Die Möglichkeiten, die sich aus Big Data rund um Städte ergeben, kann man euphorisch feiern, wie Drew Hemmend, Leiter des britischen Thinktanks FutureEverything. Er frohlockt, die Datenfülle ermögliche es in Echtzeit, alles über die Menschen und Dinge um uns herauszufinden, und könne nicht nur innovative Apps und Dienstleistungen inspirieren, sondern auch neue Wege des Zusammenlebens hervorbringen. Man kann die Bündelung riesiger Datenmengen in einer Hand aber auch kritischer betrachten, denn eine totale Vernetzung aller Bereiche städtischen Lebens bietet natürlich das Potential totaler Überwachung. Energieverbrauchsdaten aus Häusern und Wohnungen könnten verraten, wann wir zuhause sind und welche Geräte wir verwenden; mithilfe von Nutzerdaten aus Carsharing oder öffentlichem Nahverkehr lassen sich Bewegungsprofile erstellen; und SmartCards als personalisiertes Zahlungsmittel, Bahnticket und Haustürschlüssel würden unsere gesamten Konsum- und Lebensgewohnheiten offenbaren.
In den USA rebellieren bereits zahlreiche Bürger gegen den Zwangseinbau von Smart Meters, und auch wir sollten darüber nachdenken, ob Big Data aus unseren Städten wirklich am besten bei Großkonzernen aufgehoben ist. Anthony Townsend, Zukunftsforscher und Autor des Buches „Smart Cities“, warnt davor, mit den Infrastrukturdaten das „Gehirn der Stadt“ an kommerzielle Unternehmen outzusourcen, denn mit der Realisierung des Smart City-Prinzips könnten Städte und vor allem ihre Bürger nicht vor Missbrauch und der unkontrollierten Verwendung dieser Daten geschützt werden.
In der Tat werfen die Public Private Partnerships, im Rahmen derer die meisten Smart City-Projekte durchgesetzt werden, zahlreiche Fragen auf – nicht nur danach, für welche Zwecke die Unternehmen die gesammelten Daten nutzen, sondern auch danach, was passiert, wenn der private Partner insolvent wird oder sich einer der Beteiligten aus dem Projekt zurückziehen will. Ist ein Betreiberwechsel einfach möglich, wenn die gesamte Smart City-Technologie einer Stadt von einer einzigen Firma stammt?
Neben den berechtigten Sorgen um Datenschutz und Privatsphäre stellt sich in der Smart City-Debatte allerdings noch eine viel grundsätzlichere Frage: Ist eine smarte Stadt überhaupt wünschenswert, wenn intelligent gleichbedeutend mit effizienzoptimiert ist? Sind Perfektion und allgegenwärtige Kontrolle nicht der Tod urbanen Lebensgefühls? Wenn Effizienz und digitale Vernetzung zum alleinigen Leitmotiv im Städtebau werden, entscheiden Stadtplaner, was sich wo entwickeln darf. Das städtische Leben wird aus einer großen Kommandozentrale heraus gesteuert, jede Aktivität hat einen vorgesehen Ort, alles ist koordiniert und wohldurchdacht. Lebt eine lebendige Stadt aber nicht von Kreativität, persönlichen Freiheiten, Chaos und dem Versprechen, dass potentiell alles passieren kann? Anomalien und Effizienzlücken schaffen Raum für neue Ideen. Wenn aber alles in geregelten Bahnen fließt und Menschen nur aus einer festgelegten Reihe an möglichst effizienten Optionen auswählen können, regiert Passivität.
Anthony Townsend beklagt, einige Menschen betrachteten Städte wie Rennautos, die man bis ins kleinste Detail justieren kann, und verlören dabei die Bürger aus den Augen. Und tatsächlich wird die Smart City-Debatte von Diskussionen über die neuesten, effizientesten und innovativsten Technologien regiert. Der Mensch und die sozialen Komponenten urbanen Lebens bleiben häufig außen vor. Dabei werden die drängendsten Probleme angesichts der stetig wachsenden städtischen Bevölkerung vermutlich nicht technischer, sondern vorwiegend sozialer Natur sein.
Deshalb muss uns bei aller Euphorie über Smart Cities bewusst werden, dass intelligente Städte kein Abbild der Technologieportfolios großer Unternehmen sein sollten. Eine smarte Stadt ist eine Stadt, die Menschen eine hohe Lebensqualität bietet und dabei ökologisch verantwortungsvoll ist. Für die Entwicklung intelligenter Städte braucht es deshalb individuelle Konzepte, die die Bürger mit einbinden, und keine Marketingbegriffe. Stadtplaner und Politiker dürfen sich nicht auf technische Universallösungen verlassen, sondern müssen moderne Wege für ein faires gesellschaftliches Zusammenleben im urbanen Raum suchen. Nicht ohne Grund stehen viele der smarten Retortenstädte leer. Denn schlaue Städte sind gut, aber niemand mag Streber.

Alle Teile der Sommerreihe Internet der Dinge:

Einführung: Leben in der smarten Welt
Teil 1
: Smart Wearables
Teil 2: Intelligentes Shopping
Teil 3: Smart Home
Teil 4: Smart Cars
Teil 5: Smart Country
Teil 6: Smart City
Teil 7: Industrie 4.0
Teasergrafik: Philippe Put

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