gchq_customersDer überraschende Ausgang der Unterhauswahl in Großbritannien hat auch außerhalb der Grenzen des Königreichs erhebliche Auswirkungen: nicht nur wegen der wachsenden Euroskepsis im Königreich, sondern auch wegen der aggressiven Spionagepraktiken des britischen Geheimdienstes GCHQ. Diese will die neue Regierung nun mit größter Eile weiter ausdehnen. Ein Problem, das uns alle angeht.

Wir erinnern uns: Der britische Geheimdienst Government Communications Headquarters (GCHQ) greift in großem Stil Kommunikationsdaten von Bürgern auf der ganzen Welt ab, indem er sie sich im Rahmen des Tempora-Programms direkt von Unterseekabeln holt, den „Schlagadern der weltweiten Kommunikation. Großbritannien ist zugleich ein wichtiger Knotenpunkt im weltweiten Netz und eines der Länder, in denen die von den Snowden-Enthüllungen ausgelöste Debatte zu Themen wie Massenüberwachung, Datenschutz und Bürgerrechten kaum stattfindet. Das liegt nicht zuletzt an der bisweilen aggressiven Blockierung durch die Regierung Cameron und – so viel scheint sicher – wird sich auch zukünftig nicht ändern. Im Gegenteil: Schlimmer geht, wie man sagt, immer. Denn nach fünf Jahren Koalition kann Camerons Tory-Partei mit 331 Sitzen im Unterhaus nun alleine regieren – für eine absolute Mehrheit hätten gar 323 Sitze gereicht.

Wahlergebnis: Desaströs für den Datenschutz

Hier lässt sich nichts beschönigen. Nicht nur für die Themen Datenschutz, Vorratsdatenspeicherung oder Massenüberwachung ist das Wahlergebnis ein Desaster. Die Kolumnistin Polly Toynbee nannte es bei einer Veranstaltung des Guardian am Abend nach der Wahl eine Katastrophe. Sie bezog sich dabei auf die angekündigten 12 Milliarden Pfund an Kürzungen von Sozialleistungen, die die Tories vor der Wahl angekündigt hatten. Diese werden, das hat die Politik der vergangenen fünf Jahre gezeigt, vor allem die Bedürftigsten treffen.

Sieht man sich die bisherigen Entscheidungen der Regierung Cameron an, lassen sich ähnlich pessimistische Schlüsse für beinahe alle Bereiche der Tory-Politik ziehen. Hätte man bei liberaleren Koalitionsregierungen, wie Prognosen sie in Aussicht stellten, zumindest vorsichtig hoffen dürfen, dass eine Geheimdienstreform doch noch zum Thema wird, besteht dazu nun kein Anlass mehr. Nicht zuletzt Camerons Forderung eines Verbots der verschlüsselten Kommunikation infolge der Anschläge auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris im Januar haben anschaulich gezeigt, wo die Tories beim Thema Massenüberwachung und Schutz der Privatsphäre stehen. Ein Blick ins Wahlprogramm und jüngste Ereignisse bestätigen den drohenden Super-GAU.

Das Schnüffelgesetz kommt

“We will keep up to date the ability of the police and security services to access communications data – the ‘who, where, when and how’ of a communication”,

hieß es im Wahlprogramm der Tories. Also: Polizei und Geheimdienste dürfen auch weiterhin fleißig Kommunikationsmetadaten sammeln. Aber viel unheimlicher ist die Erwähnung neuer Gesetze, die es den Geheimdiensten erleichtern sollen, „terroristische Anschläge zu verhindern, Kriminalität und Kindesmissbrauch zu beenden.“ Das Gesetz, um das es geht, wird nicht namentlich genannt, aber es dürfte sich eindeutig um die von Datenschützern gefürchtete Snoopers-Charter (dt. „Schnüffelgesetz“) handeln.

Vorratsdatenspeicherung von E-Mail- und Telefonmetadaten für zwölf Monate gibt es in Großbritannien bereits. Die Snoopers-Charter würde diese Befugnisse noch ausdehnen: auf Webbrowsing-Historien und Social Media-Kommunikation, Voice Calls, Gaming- und Messenger-Services auf Mobiltelefonen. Damit hat es die neue Regierung nun sehr eilig. Nach der Wahl verging kein Tag, da kündigte die hastig wieder ernannte Innenministerin Teresa May an, das Gesetz nun erneut ins Parlament einzubringen. Man werde alles daran setzen, jetzt, da die Blockade durch den Koalitionspartner aufgehoben sei – die Liberal Democrats hatten sich dem Gesetz bisher in den Weg gestellt – es den Geheimdiensten zu ermöglichen, ihre exzellente Arbeit zum Schutz der Bürger fortzuführen. Dass dabei in großem Stile Bürgerrechte untergraben werden, blieb natürlich unerwähnt. Bürgerrechtler zeigen sich dementsprechend alarmiert ob der „Unersättlichkeit“ der Regierung, wenn es um den Ausbau von Geheimdienstbefugnissen geht.

Wundern tut der erneute Vorstoß hingegen nicht. Denn die Tories haben in der Vergangenheit die nachweislich illegalen Aktivitäten des GCHQ wiederholt verteidigt, dem Guardian für seine Snowden-Veröffentlichungen mit Strafverfolgung gedroht und, anstatt sich über ersthafte Reformen Gedanken zu machen, erst 2014 ein Gesetz durchgebracht, das Experten als Erweiterung bestehender Überwachungsbefugnisse ansehen. Nimmt man dazu das wiederholte „Versprechen“ der Tories, den Britischen Human Rights Act abzuschaffen, möchte man am liebsten gleich die Flucht von der Insel ergreifen.

Denn dass sich eine Tory-Mehrheitsregierung mit Ambitionen, die europäische Menschenrechtskonvention zu verlassen, ernsthaft für die Rechte britischer Bürger unter Artikel 8 der europäischen Grundrechtscharta einsetzt, scheint utopisch – von den Rechten international vom GCHQ bespitzelter nicht-britischer Staatsbürger ganz zu schweigen. Ohne den vormals mäßigenden Einfluss der Liberal Democrats bremst niemand mehr die unheilvollen Ambitionen der Tories aus. Eine „Digital Bill of Rights“, wie sie sich im Wahlprogramm der Liberal Democrats findet, wird es nun ebenso wenig geben wie eine komplette Reform jener Überwachungsbefugnisse unter dem bestehenden „Regulation of Investigatory Powers Act“, die in der Vergangenheit bereits mehr als einmal missbraucht worden sind. Die Liberal Democrats haben nichts mehr zu melden – ihnen bleiben von vormals 59 Sitzen gerade noch acht. „The breaks are off“, sagte jüngst Guardian-Journalist Jonathan Freedland: „Die Bremsen sind gelöst“. Endstation: Schnüffelgesetz.

Hoffnungsschimmer Opposition?

Fraglich ist, ob die Opposition mäßigend eingreifen kann oder wird. Zu beachten ist hier, neben Labour als der zweitstärksten Kraft, vor allem die Scottish National Party (SNP). Diese gewann in Schottland 56 von 59 möglichen Sitzen und brach damit der Labour-Partei in ihrer einstigen Hochburg das Genick. Daher lohnt sich ein Blick ins Parteiprogramm zum Thema Überwachung. Dieses stellt die Datenschützer der Open Rights Group relativ zufrieden, denn die SNP erteilt sowohl der Snoopers-Charter als auch anlassloser Massenüberwachung eine Absage [UPDATE] und hat bereits angekündigt, das Gesetz blockieren zu wollen. Ob die Partei von Nicola Sturgeon damit Erfolg hat, hängt zum einen vom Rest der Opposition, vornehmlich Labour, und der Unterstützung ab, die der Gesetzesentwurf in den Reihen der Tories finden wird. Denn David Cameron ist nun mehr denn je auf den Zusammenhalt seiner Partei angewiesen. 

Die Pläne der Labour-Partei sind dagegen eher schwammig. Ein schmaler Hoffnungsschimmer also, auch wenn die Pläne der Labour-Partei zum Thema Datenschutz eher schwammig sind. Zwar sprach sich Labour-Vertreterin Yvette Cooper im März 2014 für eine gesellschaftliche Debatte zu den Themen Überwachung, Datensammlung und Datenschutz aus und kritisierte die amtierende Regierung für deren Unwillen, eine solche Debatte zuzulassen. Nicht zuletzt aufgrund der schwammigen Formulierungen im Parteiprogramm von Labour drücken die Bürgerrechtler der Open Rights Group aber zu Recht Bedauern darüber aus, dass die Partei sich nicht entschieden genug positioniert. Alles in allem – und schon allein wegen der absoluten Mehrheit der Tories – gibt es also kaum Hoffnung auf entschlossene Gegenwehr. Ob die Entschlossenheit der Schotten die Unentschlossenheit Labours in der Frage ausgleichen wird, bleibt abzuwarten.

Der Letzte macht das Licht aus!

Die Zukunft Großbritanniens sieht in der Tat so trostlos aus, dass sich manch einer überlegt, einfach auszuwandern. Hoffnung gibt es momentan wenig.  [UPDATE] Trotzdem sieht die Zukunft Großbritanniens so trostlos aus, dass sich manch einer überlegt, einfach auszuwandern. Auf Twitter trendete kürzlich der Hashtag #TakeUsWithYouScotland. Die Idee: die Grenze zwischen England und Schottland weiter südlich neu zu ziehen, damit die traditionell anti-konservativen nördlichen Regionen des Königreichs den Tories entkommen. Denn wirkliche Hoffnung gibt es momentan wenig. Weder bei den ohnehin sozial Benachteiligten, die angesichts der angekündigten Kürzungen schlicht verzweifeln, noch bei denjenigen, die sich für Rechte wie Privatsphäre, Rede- und Pressefreiheit einsetzen. Im „Disunited Kingdom“ wird man Bürger- und Menschenrechte in den kommenden fünf Jahren vermutlich mit Klauen und Zähnen verteidigen müssen.

Bild: George Rex

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