Der geplante Stromnetzausbau stellt die Bundesregierung vor ein Problem: Wie soll sie das Verfahren beschleunigen, ohne die Interessen der Bürger auf der Strecke zu lassen? politik-digital.de und hoechstspannend.de setzen sich gemeinsam dafür ein, den (Online-)Dialog zwischen Bürgern, Netzbetreibern und staatlichen Stellen zu fördern. Im Interview hat der energiepolitische Sprecher der Grünen, Hans-Josef Fall, genau das gefordert.

politik-digital: Herr Fell, Sie sind seit 2005 energiepolitischer Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion und der Kopf hinter dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Für wie wichtig halten Sie den Netzausbau für eine erfolgreiche Energiewende?

Hans-Josef Fell: Die erneuerbaren Energien haben eine ganz andere Struktur als die konventionelle Energieversorgung, vor allem durch den hohen schwankenden Anteil von Sonne und Wind. Deshalb brauchen wir auch eine Veränderung unseres Netzsystems, um die großen Strommengen, die wir aus den erneuerbarer Energien neu erschließen, dorthin zu bringen, wo die Stromnachfrage groß ist. Darüber hinaus muss über eine neue Netzinfrastruktur ein Ausgleich für diese Schwankungen organisiert werden.

politik-digital: Vor wenigen Wochen wurde der Netzentwicklungsplan der vier Netzbetreiber vorgestellt. Was halten Sie von dem Plan?

Hans-Josef Fell: Zunächst muss man wissen, dass es nur ein Netzentwicklungsplan ist, den vier Unternehmen vorgestellt haben, die im Höchstspannungsbereich tätig sind. Dementsprechend ist der Blick sehr stark auf die Wirtschaftlichkeit gerichtet.
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, flexibel auf die Schwankungen von Sonne und Wind zu reagieren und diese auszugleichen. Das beginnt bei den Verteilnetzen, über die wir schon viel ausgleichen können, und geht weiter mit der intelligenten Zusammenschaltung erneuerbarer Energie-Technologien. Beispielsweise kann Biogas Lücken in der Sonnen- und Windenergie ausgleichen. Oder man richtet sich beim Verbrauch stärker nach dem Windstromangebot. Den Plan der Netzbetreiber für den Bau neuer Hochspannungsleitungen halte ich für überdimensioniert. Wir könnten viel mehr auf die bestehenden Leitungen zurückgreifen. Das heißt aber nicht, dass wir keine neuen Hochspannungsleitungen brauchen. Ich denke, da wird es einen Bedarf geben, aber hier müssen wir erst einmal auch die anderen Möglichkeiten nutzen.

politik-digital: Wir von politik-digital sind an einem Dialog zwischen Staat, Netzbetreiber und den Bürgern interessiert. Inwieweit sehen Sie Konfliktpotential bei den geplanten Stromautobahnen und wie kann man einen potentiellen Konflikt Ihrer Einschätzung nach umgehen? Was hat die Politik aus Stuttgart21 gelernt?

Hans-Josef Fell: Natürlich wird das nicht ganz ohne Konflikte von statten gehen. Einfach deshalb, weil es um den Bau neuer technischer Leitungen geht. Man kann sie nicht verstecken, selbst die Erdverkabelung hat noch einen gewissen Einfluss, auch wenn sie natürlich viel besser akzeptiert ist, weil sie optisch viel unauffälliger ist. Wir müssen die Menschen vor Ort sehr stark in die Planung und Entwicklung einbinden. Wir müssen ihnen gut erklären, dass genau diese Leitungen gebraucht werden und nicht beispielsweise der Ausbau eines Kohlekraftwerks. Wenn die Bürger Vorschläge machen können, wie Trassenleitungen eventuell anders gelegt werden können, wird das die Akzeptanz in der Bevölkerung erhöhen. Das würde den Ausbau leichter machen.

politik-digital: In den Medien hört man ja viel von der fehlenden Akzeptanz der Energiewende beziehungsweise des Netzausbau durch die Bürger. Wie könnte man diese Akzeptanz von staatlicher Stelle weiter fördern?

Hans-Josef Fell: Die Akzeptanz können wir dann erhöhen, wenn die Bürger gut eingebunden sind. Der Vorschlag von Herrn Rösler, eine Bürgerbeteiligung auf sechs Wochen zu beschränken, ist das glatte Gegenteil. Wir brauchen genügend Zeit. Das wird den Ausbau letztlich auch beschleunigen, denn wenn es keine Akzeptanz in der Bevölkerung gibt, müssen wir mit Klagen rechnen, und dann wird alles viel länger dauern. Dies gilt es zu vermeiden und deswegen ist eine gute Einbindung der Bürger zwingend erforderlich.

politik-digital: Sehen Sie Vorteile und Chancen in der Online-Bürgerbeteiligung? Und in der Möglichkeit, Themen online zu diskutieren und die verschiedenen Akteure miteinander zu vernetzen?

Hans-Josef Fell: Die Frage, wie man nun die Bürgerbeteiligung am besten organisiert, hängt davon ab, welche Angebote man den Bürgern macht. Da ist das klassische Angebot der Bürgerversammlungen und Anhörungen. Auch Eingaben dürfen nicht vergessen werden. Wir müssen aber auch Plattformen im Internet nutzen, weil viele Bürger schnell Zugriff darauf haben und ihre Meinung kundtun können. Das ist eine große Chance, aber es darf nicht die einzige Möglichkeit der Beteiligung sein, denn es gibt Bürger, die das Internet nicht nutzen, und auch die müssen gehört werden.