Taube-Digitale Enthaltsamkeit„Ich bin dann mal offline.“ Vielmehr braucht es nicht zu posten, tweeten oder zu chatten. Genau wie einst der Autor und Kabarettist Hape Kerkeling einfach drauf los durch Spanien gen Santiago pilgerte, tun es ihm viele User heute gleich. In einer zunehmend vernetzten Welt der ständigen Erreichbarkeit verzichten immer mehr Menschen auf digitale Technik, wenn auch nur zeitweise. Der digitale Salon diskutierte über den neuen Trend der „Digitalen Enthaltsamkeit“.

Einfach mit dem Smartphone durchbrennen

„Irgendwann kommt jede Beziehung an den intimen Punkt, an dem das eigene Wi-Fi-Passwort dem Partner mitgeteilt wird. Mittlerweile gilt der geteilte Internetzugang als größerer Vertrauensbeweis als der Wohnungsschlüssel“, wie der Redakteur und Autor Max Scharnigg in seinem neuen Buch „Herrn Knigge gefällt das“ konstatiert. So humorvoll das Buch verfasst ist, so wichtig bleibt die Frage nach dem Umgang mit den neuen digitalen Technologien. Im Schnitt verbringt jeder Deutsche täglich 108 Minuten im Internet, bei mobilem Zugang sogar 158 Minuten. Etwa 53-mal am Tag wird das Smartphone entsperrt und aktiv genutzt. Jede neue Nachricht muss sofort beantwortet werden, jeder Like sofort gesetzt; Digito, ergo sum. Konkret bedeutet dies, die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne zwischen zwei Netzphasen beträgt gerade einmal 18 Minuten. Die ständige Erreichbarkeit und zwanghafte Teilhabe am Netzgeschehen bei permanenter Unterbrechung führe letztlich zum „digitalen Burnout“, wie der Bonner Informatikprofessor Alexander Markowetz feststellt.

Über digitale Enthaltsamkeit und den richtigen Umgang mit der neuen Technologie diskutierten beim digitalen Salon Björn Stecher von der Initiative D21, Kathleen Lindner, Medienpädagogin bei Offlines.net sowie die Hamburger Medienforscherin Nele Heise.

Kein WLAN unter dieser Nummer

Zwar sind über 80% der Deutschen regelmäßig im Netz, surfen und chatten. Nele Heiser und Björn Stecher selbst zählen sich sogar zu den Internetjunkies, aber 20% sind noch immer offline. Hierfür sprechen zum Beispiel finanzielle Gründe, wie Heise erläutert. Etwa 1/3 der Personen mit einem Monatseinkommen unter 1.000€ im Monat könnten sich schlicht den Internetanschluss nicht leisten. Neben dieser quasi erzwungenen Internetabstinenz gibt es aber auch jene, die sich bewusst dagegen entscheiden, wie Stecher darlegt. Die Generation (en) Internet hat ein unterschiedliches Verständnis von den neuen Technologien. Etwa 60% der Digital Outsider geben an, sie hätten schlichtweg keinen Bedarf. Printmedien, TV und die klassischen Kommunikationsmittel reichen ihnen vollkommen aus. Eine andere Gruppe allerdings äußert Bedenken bis hin zu Angst. Dies betrifft vor allem Anonymität, Hacking und Stalking, die Frage was passiert da eigentlich, wie Heise ausführt.

Lifestyleprodukt Detoxing

„Wenn ich in ein Digital Detoxing Camp ginge, so wäre ich nervös, ob es ein gutes WLAN gibt. Meine Erfahrungen würde ich dann auf einem Blog teilen“, beschreibt Björn Stecher seine Erwartungen an ein Digital Detoxing Camp. Digital Detoxing hat bereits Einzug in das Oxford Dictionary gefunden. Dort wird der Begriff umschrieben als eine Phase, in der sich eine Person bewusst dazu entscheidet, auf elektronische Geräte wie Smartphones oder Computer zu verzichten. „Bin ich schon drin?” war die große Frage zu Beginn des Internetzeitalters. Damals ging man noch online, wählte sich anfangs sogar ein. Ob Arbeit, Verwaltung, Finanzen, Gesundheit oder Einkaufen, wir leben zunehmend in einer Netzwelt. Heute passiert aus diesem Grund eher das Gegenteil, wie Stecher wahrnimmt: „Wir entschieden uns bewusst, offline zu gehen.“

Usern, die diesen Schritt wagen, bewusst für einige Zeit aus dem Netz auszusteigen, bietet Kathleen Linder von offline.net spezielle Angebote. Deren Anliegen ist es, die digitale Balance wieder herzustellen. Ständige Unterbrechungen fördern nicht die Produktivität der Mitarbeiter, sondern belasten sie eher. In speziellen Workshops können die Teilnehmer die Natur bewusst und ohne digitale Hilfsmittel erleben. Während dieser analogen Zeit sollen die Teilnehmer so zu sich selbst finden und sich ihrer eigenen digitalen und analogen Bedürfnisse bewusst werden. Kurzum: Sie sollen erlenen, wie sie die digitalen Technologien als Hilfsmittel für Arbeitserleichterung und nicht als Stressfaktor nutzen können.

Es scheint, die Informationsflut führe zum Tiefenrausch zwischen Pushnachrichten aus allen sieben Weltnetzwerken. Neben einem Workshop gibt es bereits wichtige Helfer, die es ermöglichen, die Informationsflut zu kanalisieren. Das Berliner Startup Unternehmen Offtime bietet die Möglichkeit an, selbst die Prioritäten zu setzten. Während der Arbeit keine Privatnachrichten, zu Hause keine Mails aus dem Büro, der Nutzer kann selber entscheiden was ihm wichtig ist. Darüber hinaus führt einem die App das eigene digitale Verhalten vor Augen.

 Als User lernt man mit seinen Aufgaben

Mehr als 45 Millionen Deutsche besitzen bereits ein Smartphone. Während deren Stromverbrauch bei nur etwa 5 kWh pro Jahr liegt, beanspruchen die damit verbundenen Dienste wie Rechenzentren und Clouds bereits 10% der gesamten Energieproduktion in Deutschland. Aber auch an unserer Lebensenergie scheinen die digitalen Helfer zu saugen. Von digitalem Burnout und zunehmenden Depressionen durch die sozialen Netzwerke ist immer wieder zu lesen.

„Wenn man jung ist, da möchte man alles ausprobieren.” So verhält es sich auch mit den digitalen Geräten. „Nur kommen wir aus der digitalen Pubertät in eine Phase, in der wir uns fragen müssen, welchen Nutzen die Geräte für mich haben“, wie Stecher darstellt. „Kompensiere ich etwas durch die digitalen Medien? Ist das der Grund warum ich so viel online bin?“, fragt die Pädagogin Lindner. Es stellt sich daher für jeden die Aufgabe, beantwortet Stecher die Frage, herauszufinden: „Begleiten oder ersetzen mich die Geräte?“

Wichtig ist es auch auf die gesamte (n)Generation(en) Internet zu blicken. In Zukunft wird die digitale Vernetzung eine immer größere Rolle spielen. Häufig haftet speziell den jüngeren Generationen der Ruf eines „Smombies“ an, die digitalen Begleiter wären ihnen praktisch angewachsen. „Bei Besuchen sind deshalb die Großeltern mit einer schlechten Internetverbindung weniger beliebt“, wie Nele Heise aus Erfahrung zu berichten weiß. Durch Medientagebücher, wie Lindner vorschlägt, wird jungen Usern ihren Umgang mit den Medien bewusst gemacht. In diesen Tagebüchern wird dann deutlich, wie oft und zu welchen Zwecken das Handy genutzt wird. Das eigene digitale Handeln wird vor Augen geführt. Anders ausgedrückt wird die Frage ergründet: „Was machst du da eigentlich im Netz?“ Aber, so betont Heise, Kinder sind Spiegel unseres eigenen Verhaltens „Daher müssen wir ein digitales Bauchgefühl für unser digitales Handeln entwickeln“, wie Stecher ergänzt.

Die Innovationszyklen werden immer kürzer. Hier noch Schritt zu halten führe zu Stress. Es müsse auch die Möglichkeit geben, sich bewusst gegen bestimmte Technologien entscheiden zu können, sind sich die Diskutanten einig. „Und was ist mit den Offlinern?“, gibt die Medienpädagogin Heise zu Bedenken. „Sterben die irgendwann einfach aus?“ Aus diesem Grund müssen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, ob User oder nicht, gemeinsam eine digitale Ethik  entwickeln, wie Stecher betont.

„Kein Spotify, kein Facebook, Twitter, E-Mail oder Podcast im Ohr. Plötzlich war da die große Langeweile. Ohne Netz hatte ich plötzlich Zeit nachzudenken und konnte meine Dissertation zu Ende bringen“, meint der HIIG-Doktorand Benedikt Fecher. „Vielleicht hilft uns die vergessene Langeweile dabei, wieder kreativ zu sein,“ findet er. Die neuen Technologien haben unser Leben bereichert, sind Alltagshelfer, lassen uns Kontakt halten mit Freunden auf der ganzen Welt. Likes und Pushnachrichten können so wunderbar erfreulich sein, wir müssen nur lernen mit ihnen umzugehen und wir müssen lernen, wann wir uns auch mal offline langweilen dürfen. Neben den vielen Möglichkeiten, die sich in der digitalen Welt auftun, ihren immer größeren Chancen und Potenzialen dürfen wir eines nicht vergessen, denn wie wusste es schon immer Peter Lustig:

“Ihr könnt jetzt abschalten.“

Titelbild: politik-digital.de licenced under CC BY SA 3.0

 

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