Schweden und Dänemark trollen sich auf Twitter, Israel schickt Snapchats und Finnland kreiert eigene Emojis –Digitalisierung trifft auf Diplomatie. Während „eDiplomacy“ mehr Möglichkeiten für Transparenz und Dialog mit der Bevölkerung eröffnet, stellt es Staaten auch vor neue Herausforderungen und Risiken.
Diplomatie galt bislang als Kunst des bedachten Verhandelns und Vermittelns. Diplomatisches Geschick im 21. Jahrhundert bedeutet jedoch auch, Schritt zu halten mit dem Tempo gesellschaftlicher Veränderungen, die sich nun einmal überwiegend online abspielen. Lässt sich deutsche Außenpolitik in 140 Zeichen erklären? Wahrscheinlich nicht. Doch obwohl wichtige Gespräche und Verhandlungen weiterhin hinter verschlossenen Türen stattfinden, ergänzen soziale Medien nun die Palette diplomatischer Werkzeuge.
Unter „Digital Diplomacy“ oder „eDiplomacy“ versteht man die Nutzung neuer Kommunikationswege, um diplomatische Ziele zu erreichen. Die Studie “Twiplomacy” (2016) fand heraus, dass Twitter als beliebtestes Medium insgesamt 793 Twitter-Accounts von Regierungen und Staatschefs umfasst, die sich auf 173 Länder verteilen. Weitere beliebte Netzwerke sind Facebook, genutzt von 169 Ländern, gefolgt von YouTube, Instagram und anderen Plattformen wie Google+, LinkedIn oder Snapchat.
Kein Land kann es sich leisten, das Potenzial von Social Media für außenpolitische Zwecke zu ignorieren. Als erstes Land erkannten das die USA, die bereits früh in digitale Technologien ihrer Auslandsvertretungen investierten. Als Pioniere der digitalen Diplomatie brachte das amerikanische Außenministerium im Jahr 2006 ein eigenes „Diplopedia“ auf den Weg, eine komprimierte Online-Sammlung von diplomatischem Wissen, das den Austausch und die Erweiterung von Informationen erleichterte und beschleunigte. Auch das Auswärtige Amt verstärkt seine Präsenz im Netz und zählt derzeit etwa 365,000 Twitter-Anhänger. Seit diesem Jahr hat es sogar einen Instagram Account, der von Frank-Walter Steinmeier mit einem Video und den Begrüßungsworten „Hey Ladies and Gentlenerds“ eingeweiht wurde.
Was Digitale Diplomatie wirklich verändert
Wie wirksam ist eDiplomacy tatsächlich? Für Außenministerien und Diplomaten bedeutet eine Social Media Präsenz zunächst, die eigene Sichtbarkeit und somit Relevanz für den Normalbürger zu erhöhen. Wenn also der derzeitige deutsche Botschafter in London über Twitter der Wimbledon Gewinnerin Serena Williams gratuliert oder wenn Barack Obama zu einer „Ask Me Anything“ Session auf Reddit einlädt, macht sie das nicht nur sympathisch, sondern beweist auch Mediengeschick und Bürgernähe. Neben ihrer traditionellen Rolle als Regierungsbeauftragte werden Diplomaten durch neue Medien zu Bürgerbeauftragten. Es entsteht ein Dialog mit der Zivilgesellschaft, den die konventionelle Diplomatie nicht kennt.
Letztendlich profitieren – im Idealfall – beide Seiten von diesem Dialog: Bürger können mitdiskutieren, kritisieren und vielleicht sogar politischen Einfluss nehmen; Botschaften verstehen eher die Sorgen und Bedenken der jeweiligen Landesbevölkerung und können eigene Informationen effektiver verbreiten, ohne den Umweg über die Presse zu nehmen. Die Nutzweise digitaler Medien variiert dabei stark: während einige Länder vor allem das eigene Land bewerben und kulturelle Botschaften verbreiten, propagieren andere die politische Sichtweise der Regierung. Allerdings gibt es noch andere Situationen, in denen sich Plattformen wie Twitter und Facebook bezahlt machen können. In Krisensituationen wie zum Beispiel 2012 bei dem Hurrikane Sandy machten viele Botschaften von sozialen Medien Gebrauch, um mit der Diaspora ihres Landes Kontakt aufzunehmen, und dessen Wohlbefinden zu überprüfen.
Fraglich bleibt, wie viel mehr Kommunikation und Interaktion durch diese neuen Formen der digitalen Diplomatie geschaffen werden. Zwar kann jetzt jedermann dem Außenminister seine Meinung tweeten, unklar ist aber, ob dies politische Auswirkungen hat. Viel mehr verdienen soziale Medien ihren Wert für die Diplomatie in ihrer Rolle als Stimmungsbarometer der Gesellschaft. Sowohl im außenpolitischen als auch im nationalen Kontext hat die Netzmeinung Bedeutung, zum Beispiel, um sozial-politisches Konfliktpotenzial bereits im Vorfeld zu analysieren. Im Gegenzug können Staaten jedoch auch das undemokratische Potenzial der neuen Medien nutzen, um Propaganda und Falschinformationen zu verbreiten oder Meinungen zu unterdrücken.
Neue Herausforderungen: schnell, authentisch, präzise
Die Nutzung neuer Medien verlangt auch Anpassungsfähigkeit: Gilt traditionelle Diplomatie doch als Kunst der besonnenen Worte, verlangen Twitter und Co. hingegen nach Schnelligkeit und Schlagfertigkeit. Michael Roth, der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, sagte in einem Interview auf Netzgeschichten, dass er „viel stärker als früher mit Wünschen, Forderung und Kritik konfrontiert wird“. Dass die Möglichkeit der schnellen Reaktionsfähigkeit auch neue Herausforderungen mit sich bringt, bewies der unglückliche Fehler der Russischen Botschaft aus London, die im Mai diesen Jahres als Foto für einen Tweet über einen mit chemischen Waffen geladenen Lastwagen der Extremisten in Aleppo ein Screenshot aus einem Computer-Spiel verwendeten und anschließend viel Spott dafür ernteten.
Neue Medien bedeuten auch eine neue, junge Zielgruppe mit anderen Interessen und Sprachgebrauch. Der Grat zwischen hipp, authentisch und doch präzise und politisch korrekt ist schmal. Nach dem Brexit erhielt folgender Tweet des Auswärtigen Amts vor allem positive Reaktionen: „Wir gehen jetzt in einen irischen Pub und betrinken uns. Ab morgen arbeiten wir dann wieder für ein besseres #Europa. Versprochen!“
Noch aber befinden sich die meisten Länder im Frühstadium ihrer digitalen Kommunikation. Das derzeitige Online-Angebot ausländischer Vertretungen ist bereits riesig, aber dadurch oft unübersichtlich. Während manche Botschaften mit eigenen Accounts arbeiten, sind es in anderen Fällen spezifische Programme oder Einzelpersonen der Regierung, die auf Twitter oder Facebook auftreten. Auch an den richtigen Medienstrategien mangelt es so manchen Botschaften, da verschiedenen Plattformen ihre eigenen Zielgruppen haben und damit einhergehend daher auch individuelle Taktiken verlangen. In der Nutzung neuer digitaler Plattformen für Auslandsvertretungen ist Deutschland im Ländervergleich nur Mittelmaß und liegt hinter den skandinavischen Ländern und Großbritannien. Laut Anja Türkan, der Digital Diplomacy Expertin des Auswärtigen Amts, hängt das schlechte Abschneiden unter anderem mit den relativ strikten Hierarchien im Auswärtigen Amt zusammen, die den digitalen Wandel in Deutschlands Außenpolitik entschleunigen.
Risiken und Zukunft der eDiplomacy
Ganz ohne Risiken funktioniert die digitale Reform der Diplomatie leider nicht. Die Öffentlichkeit im Netz verlangt nach schnellen Reaktionen und klaren Antworten. Das ist Neuland für die konventionelle Diplomatie, die sonst höchstüberlegt und unter vier Augen über die Bühne geht. Dass man sich in ungewohntem Terrain auch schneller Fehler leistet, zeigen Beispiele diplomatischer Fauxpas im Internet, wie der erwähnte Tweet der Russischen Botschaft oder aber das per Photoshop bearbeitete Twitter-Bild des Indischen Premieministers. Gleichzeitig besteht die Gefahr für Staaten, Opfer von Datenleaks zu werden, zum Beispiel durch Enthüllungsseiten wie WikiLeaks, die bereits 2010 für die Veröffentlichung von mehr als 250.000 sensibler diplomatischer Aufzeichnungen der USA verantwortlich war.
Und eine Frage bleibt natürlich: wie genau misst man nun den Erfolg digitaler Diplomatie? Das amerikanische Außenministerium beeindruckt mit etwa 3 Millionen Followern im internationalen Vergleich, folgt selbst aber nicht mehr als 450. Ist die Zahl der Follower oder die Menge der Verknüpfungen ein besserer Maßstab für gute eDiplomacy? Momentan scheint es zu früh, um die Ergebnisse und Folgen digitaler Diplomatie abzusehen. Das Grundwesen der Diplomatie bleibt nichtöffentlich und diskret – daran konnten auch Twitter und Facebook nichts ändern. Jedoch wird auch die Außenpolitik sich dem digitalen Wandel nicht entziehen können und twitternde Botschafter sind wohl nur der Anfang.
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