Am 29. Juni 2017 veranstaltete das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) eine eintägige Fachkonferenz zum Thema “Digitale Agenda für eine lebenswerte Gesellschaft”.
Experten wie Dr. Ralf Kleindiek, Staatssekretär des BMFSFJ, Petra Mackroth, Abteilungsleiterin Familie, oder Maria Reimer von “Jugend hackt” sowie Engagierte aus Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft brachten in Präsentationen, Vorträgen, Gesprächskreisen und anregenden Diskussionen sämtliche Arbeitsbereiche des Ministeriums zur Sprache und berichteten über bisherige Entwicklungen, Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung.
Eingangs stellte Markus Beckedahl, Chefredakteur von netzpolitik.org, einen Maßnahmenkatalog vor, um die digitale Ausrichtung unserer Gesellschaft erfolgreich umzusetzen und alle BürgerInnen zu inkludieren. Seiner Meinung nach ist der Zugang zu Internet mittlerweile ein Grundrecht wie der Zugang zu Strom und fließendem Wasser.
Beckedahl sprach sich auch für eine Erhöhung staatlicher Fördergelder aus, um Projekte wie die flächendeckende Installation von Breitband oder das “digitale Ehrenamt” einzuführen. Der Ausbau der digitalen Infrastruktur muss nicht nur im Sinne von Breitband-Zugängen erfolgen, sondern auch im Bereich Medienkompetenz durch digitale Bildung und Weiterbildung. Schon jetzt engagieren sich viele ehrenamtlich in der Digitalisierung, so z. B. bei Wikipedia, Freifunk Berlin oder dem Chaos Computer Club. Wenn ehrenamtliche Organisationen und Initiativen staatliche Konzepte unterstützen und teilweise Aufgaben übernehmen, denen der Staat schlichtweg nicht nachkommen kann, dann muss es für diese Art des Ehrenamts entsprechende Fördergelder (digital funds) sowie eine gleichwertige Anerkennung geben wie für traditionelle Ehrenämter, z.B. durch Auszeichnungen wie das Bundesverdienstkreuz für Digitales.
In verschiedenen Workshops zur digitalen Spaltung, Medienkompetenz und demokratischem Teilhabe stellten Initiativen und Organisationen wie “jugend.beteiligen.jetzt”, “Gutes Aufwachsen mit Medien” oder das “21st Century Competence Center” ihre Projekte vor und gaben Impulse für die anschließenden Diskussionen.
Nachbarschafts Empowerment
Jennifer Schubert vom Design Research Lab machte sich für eine Art des Nachbarschafts Empowerments stark. Damit keine digitale Spaltung entsteht, muss die Gesellschaft zunächst bei der analogen sozialen Teilhabe ansetzen, denn digitale Spaltung ist oftmals bloße Kontinuität schon bestehender Ungleichheiten. Genau dort muss das Bewusstsein geschaffen werden, dass soziales Teilhabe, die Integration sämtlicher Gesellschaftsgruppen als Schlüssel einer erfolgreichen Umsetzung der Digitalisierung gebraucht wird.
Die Frage nach einem allgemeinen Netzzugang aller Bürger scheint für viele Experten schon fast veraltet zu sein. Wichtiger ist die Frage der Medienkompetenz, also den Umgang im Netz und mit den Medien.
Um Digitales für alle nutzbar zu machen, brauchen wir ein alltagsintegrierendes Konzept, das unterschiedliche Zugänge ermöglicht, lokal angepasst ist und so digitales Nachbarschafts Empowerment ermöglicht. Die digitale Nutzung muss stärker differenziert werden, zwischen der allgemeinen Internetnutzung und anderen Bereichen der Digitalisierung, wie z.B. der digitalen Mobilität durch Pedelecs und Elektroautos oder der Digitalisierung der Finanzen durch E-banking und Bitcoins u.ä.
Innovative Projekte wie der “Digitale Briefkasten” des Design Research Lab der UdK Berlin, der Einwürfe digitalisiert, oder das Konzept von Freifunk Berlin, freie Netzwerke durch die Verbindung einzelner WLAN-Router zu schaffen, sollen als allgemeine Schnittstellen für Digitales dienen.
Digitale Jugend und Bildung
Gerhard Seiler vom 21st Century Competence Center ist der Meinung, digitale Kompetenzen müssen schon früh, also ab dem Kleinkindalter, im Kindergarten oder durch Tagesmütter vermittelt werden.
Dies kann auch einen Synergie-Effekt bei Eltern und Kindern hervorrufen. Durch neue, medien-integrierende Erziehungsmethoden, kann der Wissenserwerb von Kindern und Eltern kombiniert werden.
Die digitale Bildung ist ein Baustein unserer zukünftigen Gesellschaft und soll bestmöglich gefördert werden. Bisher übernehmen weitestgehend externe Organisationen die digitale Bildungsarbeit der Schulen, weil das deutsche Bildungssystem noch nicht über die nötigen Ausrichtungen und Ressourcen verfügt.
Um kleine (ehrenamtliche) Verbände und Initiativen zu entlasten, muss die staatliche Förderung erhöht und neue Gesetzesinitiativen geschaffen werden, die digitale Bildung bereits in die Lehramtsausbildung integrieren und somit zukünftig die Voraussetzungen für digitalen Unterricht schaffen.
Digitalisierung der Familie
Geraldine de Bastion, Kuratorin der re:publica und Mitglied der Digitalen Gesellschaft, widmete sich in einer Präsentation den Fragen “Wie kann Frau nach der Babypause zurück in den Beruf?”, “Wie verändert Digitales die Familienkultur?” Und andersherum: “Wie passt sich diese der Digitalisierung an?”.
Studien zufolge verbringen Frauen nach wie vor einen erheblichen Teil des Tages mit der Haushaltsführung, sei es der Haushaltsputz oder die Einkäufe. Die schnellen technischen Entwicklungen haben es geschafft, diese unliebsamen Zeitaufwände zu automatisieren. Auch körperlich beeinträchtigten Menschen helfen die technischen Fortschritte, einem normalen (Arbeits-)Alltag nachgehen zu können. Der Staubsauger saugt von allein, Schulprojekte der Kinder lassen sich schnell mithilfe des 3D-Druckers realisieren und der Kühlschrank beschafft aufgebrauchte Lebensmittel durch automatische Nachbestellungen. Auch Homeoffice wird durch digitale Prozesse erleichtert und zudem bei Unternehmen immer beliebter. So bleibt mehr Zeit für das gemeinsame Familienleben. Doch die ist angesichts der Sinnüberflutung durch Social Media-Dienste und andere Apps häufig nicht mehr gegeben. Verbale Kommunikation findet in vielen Familien deutlich weniger statt. So verhält es sich auch beim Smart Home – es vereinfacht vieles, doch der Konsequenzen sind sich nur wenige bewusst. Je mehr Automatisierung durch Digitalisierung, desto höher das Risiko zu entmenschlichen, formulierte es de Bastion. Auch wenn das derzeit noch nicht der Fall ist, wird in naher Zukunft das Zusammenleben von Mensch und Roboter Alltag sein.
Auch hier setzt die Medienkompetenz an: sich nicht entmündigen lassen, sondern verstehen, was passiert und wie es passiert. Die digitale Logik begreifen und Algorithmen verstehen. Und dann entscheiden, worauf man sich einlassen möchte und was zu weit geht.
Ethik der Zukunft
Durch die Digitalisierung ist etliches möglich, doch stellt sich nicht nur die Frage, was wir erwarten und was erreicht werden kann, sondern umgekehrt auch, von welchen Folgen auszugehen ist und was wir verhindern wollen. Medienkompetenz bildet somit einen Ethik-Baustein, der angesichts der Komplexität der Digitalisierung dringend gebraucht wird.
Dennoch lässt sich Digitalisierung nicht in allen Bereichen durchsetzen und ist nicht überall sinnvoll anzuwenden. Darüber, ob die Digitalisierung beispielsweise in die (katholische) Kirche Einzug halten sollte, waren die Diskussionsteilnehmer geteilter Meinung.
Es wird notwendig, den Medien und der Technik gegenüber eine konkrete Haltung einzunehmen und weder den Technikoptimisten noch den Technikpessimisten zu sehr Glauben zu schenken, sondern die Fakten zu beurteilen und einen Technikrealismus zu schaffen.
Im Rahmen der Digitalen Agenda hat das BMFSFJ einen Zehn-Punkte-Plan für die Entwicklung einer “smarten” Gesellschaft entworfen, der hier zu finden ist.
Bild: Elisa Meyer // CC0 Public Domain
Text: CC-BY-SA 3.0