Am 12. März gab Bundespräsident Christian Wulff den Startschuss für das BürgerForum 2011. Dabei sollen 10.000 Bürger aus 25 deutschen Städten und Landkreisen per Online-Debatte neue Formen des bürgerschaftlichen Engagements entwickeln können. Was sind die konkreten Ziele? Wie ist der Ablauf? Und vermag das Projekt die politische Partizipation der Bürger zu fördern?

In der oberfränkischen Stadt Naila eröffnete Bundespräsident Wulff das BürgerForum 2011. Seine Auftaktrede wurde zugleich in alle anderen beteiligten Städte und Landkreise per Videobotschaft übertragen:


Wer hat das BürgerForum 2011 konzipiert?

Realisiert und umgesetzt wird das BürgerForum 2011 von zwei bekannten Stiftungen: „In einer gemeinsamen Arbeit mit dem Bundespräsidialamt und der Heinz Nixdorf Stiftung entstanden die Konzeption der Veranstaltung und der Online-Plattform sowie die Struktur der Diskussion“, so Dr. Dominik Hierlemann, Leiter des Projektteams der Bertelsmann Stiftung zur Umsetzung und Betreuung des BürgerForum 2011. Die beiden Stiftungen führten in den vergangenen Jahren gemeinsam bereits zwei Pilotprojekte mit jeweils 400 Teilnehmern durch: die Bürgerforen Soziale Marktwirtschaft und Europa. Die daraus gewonnenen Erfahrungen sind Grundlage für die Ausrichtung des aktuellen Bürgerforums gewesen. Hierlemann fasst diese wie folgt zusammen:

  • Die Kombination von Präsenzveranstaltungen und
    moderierter Online-Diskussion ist ein erfolgreiches
    Verfahren. So können sich z.B. die Teilnehmer auf
    den Veranstaltungen persönlich kennenlernen und
    erste Themen festlegen, was für die weitere
    Online-Diskussion sehr hilfreich ist.
  • Die Arbeit in so genannten Ausschüssen hat sich
    bewährt. 40 bis 70 Personen ist eine gute Größe für
    eine Diskussion in den Ausschüssen der Online-Plattform.
    Viele Menschen haben Interesse an neuen Formen der
    Bürgerbeteiligung. Wenn es ein konkretes und
    interessantes Angebot gibt, dann sind viele Bürgerinnen
    und Bürger bereit, ihre Zeit und ihre Ideen einzubringen.

Ein wichtiges Element des BürgerForum 2011 ist die Einbindung von ehemaligen Teilnehmern der beiden vorangegangenen Bürgerforen sowie weiteren engagierten Bürgern. Die besagten Teilnehmer konnten sich als Online-Moderatoren bewerben. Insgesamt rund 80 ehemalige Teilnehmer hatten Interesse an dieser ehrenamtlichen Arbeit im BürgerForum 2011 und machen beim aktuellen Projekt mit. Dafür erhielten sie eine spezielle Schulung. Jeweils ein Team von vier Online-Moderatoren (also insgesamt 100) übernimmt die Moderation eines der 25 Foren. „So liegt das Projekt nicht mehr allein in den Händen der Stiftungen, sondern es findet bereits ein Übergang in die Bürgergesellschaft statt“, meint Hierlemann.


(Organigramm zum BürgerForum 2011)


Die Zusammensetzung der Teilnehmer

Innerhalb von sechs Wochen können 10.000 Bürger in einer ersten Diskussion in den regionalen Bürgerforen noch bis Ostern über gesellschaftspolitische Themen wie Demokratie und Beteiligung, Familiäre Lebensformen, Integration, Demografie, Solidarität und Gerechtigkeit sowie Bildung miteinander diskutieren und gemeinsam Bürgerprogramme entwickeln. Jedes der 25 Bürgerforen erarbeitet dabei ein Bürgerprogramm mit je einem Vorschlag pro Ausschussthema (bei insgesamt sechs Ausschussthemen). Nur diese zuvor eingeladenen Bürger konnten sich beim BürgerForum 2011 anmelden. Bei der Einladung sollen Zufälligkeit und Vielfalt im Mittelpunkt gestanden haben. Doch welche Methodik steckt dahinter?

Laut Hierlemann hatten alle deutschen Kreise und Städte mit mindestens 80.000 Einwohnern dieselbe Chance zur Teilnahme. Aus den ca. 160 interessierten Regionen wurden nach Regionalproporz per Losverfahren die 25 Teilnehmerregionen ermittelt. Auch alle Bürger der beteiligten Regionen hatten dieselbe Chance, am Bürgerforum in ihrer Heimatregion teilzunehmen. Über Quoten sei dabei sichergestellt worden, dass die 25 Bürgerforen hinsichtlich Geschlecht, Alter und Bildungsstand trotz der Zufälligkeit der Einladung möglichst weitgehend die Vielfalt der Menschen in Deutschland abbilden. Hierlemann dazu: „Umgesetzt wurden diese Anforderungen durch eine telefonische Zufallsansprache.“ Jedes der 25 Bürgerforen ist mit einem individuellen Portal vertreten, das sowohl allgemeines als auch auf die jeweilige Stadt bezogenes Informationsmaterial enthält.

Von Interesse werden auch Erfahrungsberichte der direkt involvierten Bürger sein. So wie z.B. von Christoph Ziegeler, der den Auftakt des BürgerForum 2011 als Beteiligter live miterlebte und darüber bei homopoliticus.de berichtete.

Der weitere Ablauf des Projekts

Anfang Mai werden schließlich eine Überleitung in die bundesweite Vernetzung der 25 Foren und die Durchführung einer bundesweiten zweiwöchigen Diskussion stattfinden. Die Teilnehmer debattieren in virtuellen Kleingruppen mit Teilnehmern anderer Regionen. Anschließend stimmen sie über ein bundesweites Bürgerprogramm ab. Die Arbeitsergebnisse sollen schließlich mit Vertretern aus Gesellschaft, Medien und Politik diskutiert und zum “Tag der Demokratie” am 28. Mai 2011 im ehemaligen Bundestag in Bonn vorgestellt werden.

Zu den wichtigsten Zielen gehören dabei:

  1. Menschen für Politik zu begeistern und zu motivieren,
    sich aktiv für die Gemeinschaft zu engagieren.
  2. Den Bürgern eine Stimme in der politischen Debatte zu geben.
  3. Die Demokratie in Deutschland zu beleben.

Zweifel an Stärkung politischer Partizipation

Ob dieses ambitionierte Vorhaben gelingt, steht noch in den Sternen. Zwar zeigen aktuelle Ereignisse wie im Fall von Stuttgart21, dass es ein nicht zu unterschätzendes Potenzial der Bürgerbeteiligung gibt. Jedoch können Projekte der Bürgerbeteiligung auch schnell in Frustration und Politikverdrossenheit umschlagen, wenn dabei kein sichtbarer und nachhaltiger Einfluss auf politisches Handeln entsteht. Daran wird sich auch und gerade das BürgerForum 2011 messen lassen müssen. Zumal sich dieses nicht aus einer gesellschaftlichen und direktdemokratischen Bewegung heraus speist, sondern praktisch von oben nach unten organisiert wurde. Zwar ist die Diskussionsplattform für jedermann öffentlich zugänglich: Alle Diskussionen können eingesehen werden und sind transparent.

Eine direkte Beteiligung weiterer Bürger an der Textentwicklung über die 10.000 Teilnehmer hinaus ist jedoch nicht möglich. „Der Gedanke, dass die Teilnehmer auf Veranstaltungen und auf der Diskussionsplattform eigene Texte entwickeln, erfordert an dieser Stelle zunächst eine Beschränkung“, so Projektleiter Hierlemann. Eine spezielle Seite mit Erfahrungsberichten etc. gibt es derzeit noch nicht. Dazu Hierlemann: „Wir sind jedoch insgesamt mit dem Stand der Diskussionen und der Beteiligung sehr zufrieden. Alle 25 Foren haben gute Ergebnisse auf den Auftaktveranstaltungen erzielt. Die Teilnehmer arbeiten nun nach der ersten Diskussionsphase konzentriert an den Texten.“

Laut Professorin Andrea Römmele von der Hertie School of Governance in Berlin sind viele Wissenschaftler und Beobachter der Meinung, dass solche Verfahren eher auf regionaler bzw. kommunaler Ebene erfolgversprechend sind. Auch sie ist der Ansicht, dass die größte Herausforderung in der Anbindung der Ergebnisse an die Politik bestehe. „Dabei wurden in vergangenen Foren die größten Probleme gesehen, da die in intensiver Arbeit erstellten Papiere keinen Eingang in politische Entscheidungsprozesse fanden.“ Durch die aktive Rolle des Bundespräsidenten sei hier aber bereits ein wesentlicher Kanal gegeben, so Römmele.

Dennoch ist zu bezweifeln, dass mittels des BürgerForum 2011 die politische Partizipation bedeutend bzw. nachhaltig verbessert wird. Zu bedenken ist in erster Linie, dass Wulff als Bundespräsident eine rein repräsentative Funktion und keine politische Entscheidungsmacht hat. Zudem wird es eine große Herausforderung darstellen, die Diskussionen der vielen tausend Bürger zielführend zu moderieren und deren Motivation bei der Abarbeitung aller Themen aufrecht zu erhalten, um am Ende zu konkreten und sachdienlichen Ergebnissen zu kommen. Dies aber ist überhaupt erst eine Voraussetzung dafür, dass die Arbeitsergebnisse Berücksichtigung bei zukünftigen politischen Entscheidungen finden können.

Trotz all dieser Skepsis besteht zumindest eine realistische Chance dafür, dass mittels des BürgerForum 2011 der Dialog zwischen Politik und Bürgern gefördert wird. Die Frage ist nur, ob das schon als Erfolg gewertet werden kann.

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