Pro-Standpunkt Tom Mittelbach

Wir sind immer sehr gut darin uns zu empören über dies und über das. Die links zu verortenden Demokrat*innen und inzwischen auch die Demokrat*innen der Mitte stehen sich zuweilen sehr gerne selbst im Weg. Am Ende verhindern all die kritischen Demokrat*innen einfach nur Aktionen und Bewegungen, anstatt sie zu fördern.

Dass die lokalen demokratischen Strukturen wichtiger sind, steht außer Frage. Sie sind der Garant für das gelingende Miteinander, der Sozialraum ist Teilhabe- und Mitgestaltungsmöglichkeit. Dass die Teilnahme an Wahlen oder die Partizipation an lokalen Strukturen nichts kosten darf, ist unumstößlich und nicht verhandelbar. Doch darum geht es doch beim Event in Berlin gar nicht.

Da werden in der Diskussion mal wieder Äpfel mit Birnen verglichen.

Dass Einzelne einer Bewegung einen großen Event auf die Beine stellen wollen, dafür eine solide Finanzierung brauchen und diese nach guten Gepflogenheiten des solidarischen Denkens über Crowdfunding im Internet stemmen möchten, ist ein Paradebeispiel für Engagement.

Es ist mitnichten der Ausschluss Einzelner durch die Tatsache, dass ein Ticket für die Veranstaltung (die anteilige Miete) Geld kostet. Fast 30 €, soviel wie Mittdreißiger an einem Abend in der Bar auf den Kopf hauen bevor es Mitternacht ist, wow. Das ist knapp gerechnet. Was würdet ihr denn tun, die Solikasse aufstellen? Den Event an einen Hauptsponsor verkaufen?

Okay, das Werbevideo ist ironisch („So billig war die Weltrettung noch nie!“).

Nach Berlin kommt mal so eben auch nicht jeder, aber zur Hölle nochmal wir waren früher auch auf Demos und uns hat auch keiner die Fahrt und das Drumherum gezahlt. Wir haben es trotzdem getan, weil wir davon überzeugt waren, was wir getan haben.

Im Ernst. Man ist aufgerufen, im Vorfeld mit zu organisieren und zu planen, man kann sich auch ohne zu zahlen einbringen. Eine Petition ist eine Online-Sache, ich kann also von überall auf der Welt teilnehmen. Wie die Organisator*innen selbst schreiben, mieten 90.000 Bürger*innen das Stadion und genau das ist die richtige Sichtweise.

Eine Gruppe Bürger*innen engagiert sich im Sinne unserer Demokratie und das hat unser aller Unterstützung verdient. Wenn sich in diesen unruhigen Zeiten Menschen auf den Weg machen für Politik und die Demokratie zu begeistern, dann muss das zumindest auf wohlwollendes Schweigen und nicht auf derart laute Kritik treffen.

Es sei unökologisch, dass sich 90.000 Menschen zentral in Berlin treffen, es sei neoliberal und würde die Armen ausschließen. Und das alles an einer Stelle, an der damals dem Führer zugejubelt wurde. Auf einmal müsse man Eintritt für die Demokratie zahlen, so nur ein paar eurer völlig unpassenden Argumente.

5 € in die Totschlagargumentkasse. So schaffen wir Demokrat*innen es ganz prima, uns selbst ein Bein zu stellen.

Ey, was ist denn mit euch los?

Wenn ihr ganzen Hater selbst ein dezentrales Meetup für die Demokratie organisiert und es sicher so viel ökologischer, toller, partizipativer und demokratischer wird, dann geht 2020 für uns alle aber demokratisch durch die Decke. Und ich feier euch alle.

Contra-Standpunkt Alexa Schaegner

Ich lese auf Twitter etwas über eine geplante Bürger*innenversammlung mit Fridays for Future im Olympiastadion mit 90.000 Personen und denke:

Cool!! Das könnte interessant werden….Vielleicht ein bisschen merkwürdig die Ortswahl aber hey, vielleicht gibts da nen guten Grund…

“Soll durch Crowdfunding finanziert werden, deswegen kosten die Tickets 29.90 Euro.”

Ok, eigentlich sollte Bürgerbeteiligung jetzt keinen Eintritt kosten, warum nehmen die keine Sponsoren? Aber gut, es soll ja Soli -Tickets geben…

Während ich noch die begleitende Info prozessiere, dass es sich bei den Organisator*innen gar nicht um FFF sondern ein Berliner Start-Up für nachhaltige Kondome handelt, lese ich das:

„Ich glaube, unsere Demokratie braucht im Moment ein bisschen Eventisierung und ein bisschen Power, damit wir wieder merken, was es alles für wahnsinnig tolle Mittel gibt in diesem geilen System. “

Jetzt überfällt mich Ungläubigkeit. Vor meinem geistigen Auge sehe ich erst Dieter Bohlen (“Mega geil dieses System…”), dann Trump im Olympiastadion vor einer Menschenmasse schreien: Make Democracy great again!

Wir müssen also die Demokratie “eventisieren”? Gesagt hat das Philip Siefer, einer der Gründer der „Einhorn GmbH” und Initiator*innen von 12/06/2020 Olympia.

Ich lese weiter, viel auf Twitter und alle Medienberichte die ich finden kann über den “Super-Bowl” der Demokratie und sehe eine Video mit Charlotte Roche und anderen in dem mir erklärt wird, dass es noch nie so “billig” war die Welt zu retten.

Man kann jetzt, wie beispielsweise aus dem Fridays for Future Umfeld mehrfach gelesen, das Wording als “missglückte Ironie“ oder “unausgereift” bezeichnen und hoffen, dass das Event selbst ganz anders wird als diese Ankündigungen vermuten lassen.

Aber dieses Start-Up Marketing-Buzzwording ist ja nicht zufällig so gewählt sondern zielt ab auf die Erreichung der “Masse” und auf Emotionalisierung statt auf Inhalte. Was mich wirklich wütend macht ist, dass in einem Atemzug mit dem “Super Bowl der Demokratie” suggeriert wird, so könnten gemeinsam gesellschaftliche Veränderungen angestoßen werden.

Echte, wirksame Bürgerbeteiligung ist an den Menschen orientiert, die teilhaben, hat immer ein Ziel vor Augen und macht das auch transparent. Dazu braucht es gute, ausgereifte Konzepte, um sicherzustellen, dass die Hoffnungen, mit denen Menschen sich auf Beteiligungserfahrungen einlassen, so wenig wie möglich enttäuscht werden. Einfach mal so testweise mit möglichst vielen Menschen zusammenzukommen, ein bisschen emotionale Feel-Good-Festivalatmosphäre schnuppern (“Wir werden danach mit dem guten Gefühl nach Hause gehen, einen weiteren Schritt in Richtung Veränderung unternommen zu haben”) ist völlig ok und vielleicht auch aktivierend für manche, ist aber eben keine Bürgerbeteiligung.

Vielleicht wissen das die Organisator*innen der Einhorn GmbH nicht? Oder es ihnen egal? Vielleicht ist es aber auch Absicht, weil es ihnen weniger um die “Weltrettung”, sondern mehr um die Stärkung der eigenen Marke geht.

Mein Vorschlag: Überarbeiten Sie ihr Konzept nochmal und machen transparenter, worum es hier eigentlich geht. Oder noch besser: Fridays for Future übernimmt das Ruder und macht ein politisches Klimafestival draus? Bei alledem unterstütze ich gern, wo ich kann.

Wenn das Event aber so bleibt, wie es ist, wird es im besten Falle eine Placebo-Veranstaltung, ein als Bürger*innen Versammlung getarntes, semi-politisches Hipster-Festival. Im schlimmsten Falle kommen da Menschen mit konkreten politischen Hoffnungen hin, die dann leider enttäuscht werden und sich das nächste Mal zweimal überlegen, ob sie sich irgendwo engagieren sollen. Und was möglicherweise schon ein Stück weit passiert ist: Es leidet die Glaubwürdigkeit der Fridays for Future Bewegung, deren Akteur*innen durch authentisches Interesse und der Orientierung an Inhalten rund um den Klimaschutz wahnsinnig viele Menschen erreicht haben.