Die Debatte um “Killerspiele” ging Ende April in eine neue Runde. Am 26. April wurde zum vierten Mal der Deutsche Computerspielpreis in Berlin verliehen, ausgerichtet von den Branchenverbänden BIU e.V. und G.A.M.E. e.V., gemeinsam mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsminister Bernd Neumann. Den Titel “Bestes Deutsches Spiel” erlangte der Ego-Shooter “Crysis 2”. In der Begründung der Jury, zu der auch Abgeordnete des Deutschen Bundestages gehören, heißt es “Mit Crysis 2 haben erstmalig Entwickler aus Deutschland technologisch, qualitativ und ökonomisch weltweit Publikum und Fachwelt überzeugt und begeistert.  Eine eigene Technologie, die weltweit auch im Bereich Serious Games eingesetzt wird, eine mehr als Hollywood-reife Präsentation, eine grafische, akustische und spielerische Qualität auf höchstem Niveau überzeugten die anwesenden Jurymitglieder”.

Was von den Gewinnern, den verantwortlichen Spieleentwicklern des in Frankfurt beheimateten Unternehmens “Crytek”, als bahnbrechende Innovation gefeiert wurde, stieß bei konservativen Politikern auf heftige Kritik. So forderte der kultur- und medienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Börnsen, neue Kriterien für die Preisvergabe und eine deutliche Rückbesinnung auf den kulturell-pädagogischen Wert eines Computerspiels. “Es geht nicht darum, Ego-Shooter grundsätzlich zu verdammen, sondern  darum, sie nicht noch durch eine Siegerehrung aufzuwerten oder öffentlich zu verkaufen”, schreibt er dazu auf politik-digital.de. Dem widerspricht der Kulturwissenschaftler und Buchautor Christian Huberts. Er hält “Killerspiele” grundsätzlich für preiswürdig und fordert die Politik auf, sich von vorschnellen Moralreflexen zu befreien und Computerspielen vorurteilsfrei zu begegnen.

Lesen Sie hier die Beiträge unserer Gastautoren.


Pro-Standpunkt Christian Huberts

Der eigentliche Skandal ist weniger, dass ein Ego-Shooter den Deutschen Computerspielpreis 2012 gewonnen hat. Viel mehr ist fragwürdig, dass es überhaupt so lange gedauert hat, bis ein “Killerspiel” in Deutschland mit einer offiziellen Auszeichnung gewürdigt werden konnte. Und mal ehrlich, “Crysis 2” ist weder besonders herausragend noch innovativ.

Als 1993 mit “Doom” das Ego-Shooter-Genre den Durchbruch erlebte, hätte man genauso argumentieren können wie die Jury des Deutschen Computerspielpreises heute. Das Spiel besticht immer noch durch hohen Spielspaß, hat eine ganze Spielmechanik geprägt und stellte seinerzeit eine grafische und programmiertechnische Meisterleistung dar. Doch statt Würdigung erfuhr “Doom” in Deutschland die Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (mittlerweile: Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien).

Rund 20 Jahre später ist “Doom” wieder vom Index verschwunden und ein Spiel wie “Crysis 2”, das im Grunde genommen nur eine komplexere Variation des Klassikers ist, bekommt die höchste deutsche Auszeichnung für ein Computerspiel verliehen. Im Rest der Welt hat sich das Ego-Shooter-Genre inzwischen weiterentwickelt und ist mit Spielen wie “Deus Ex” und “Portal” zu innovativen Höhenflügen aufgestiegen. Das Einzige jedoch, das “Crysis 2” aus der Masse herausheben kann, ist die Tatsache, das es mit viel technischem Aufwand in Deutschland produziert wurde.

Was vor zwei Jahrzehnten also noch jugendgefährdend war, gilt heutzutage zu Recht als harmlos sowie gesellschaftlich und kulturell integriert. Aber der Schaden ist bereits angerichtet. Unter dem ständigen Verdacht, die Jugend zu verrohen, und mit dem ahnungslosen Anspruch, doch bitte irgendwie “kulturell-pädagogisch” zu sein, konnte sich in Deutschland nicht wirklich eine vielfältige und experimentierfreudige Entwicklerlandschaft etablieren. Der Gipfel der Ironie ist nun schließlich, dass mit “Crytek” ausgerechnet jener deutsche Entwickler ausgezeichnet wurde, der vor ein paar Jahren noch aufgrund der populistisch geführten “Killerspiel”-Debatte öffentlichkeitswirksam das Land verlassen wollte.

Trotzdem ist es sehr gut, dass “Crysis 2” den Preis als bestes deutsches Computerspiel 2012 gewonnen hat. Ein unnötiges Tabu ist gebrochen und hoffentlich endgültig ein Knoten geplatzt. Nun hat die Politik die Chance, sich von vorschnellen Moralreflexen zu befreien, Computerspielen vorurteilsfrei zu begegnen und offen an der Förderung ihrer Vielfalt und Qualität teilzunehmen. Jedes Computerspiel hat das Potential, uns unterhaltsame, interessante und sogar lehrreiche Erfahrungen nahezubringen, unabhängig davon, ob wir bei oberflächlicher Betrachtung vielleicht nur Aliens abknallen. “Crysis 2” ist ein gutes Spiel, aber Deutschland hat zukünftig sicherlich noch viel bessere “Killerspiele” zu bieten!

Contra-Standpunkt Wolfgang Börnsen

Computerspiele sind Teil unseres Kulturgutes geworden. Darüber hinaus ist die Computerspielindustrie längst ein wichtiges Zugpferd in der Kultur- und Kreativwirtschaft, so wurden im Jahr 2010 in Deutschland über 1,8 Milliarden Euro für Computerspiele ausgegeben.

Grafiker, Designer, Produzenten, Autoren arbeiten auf hohem kreativem Niveau und leisten einen  wichtigen Beitrag für unsere kulturelle Vielfalt. Aus den Kinder- und Jugendzimmern ist das Computerspielen nicht mehr wegzudenken, jeder vierte Jugendliche verbringt bis zu zwei Stunden am Tag mit Computerspielen, jeder sechste sogar zwischen zwei und vier Stunden täglich. Das virtuelle Spiel gehört zum Alltagsleben wie Bücher, Fernsehen und Filme.

Um dieser Bedeutung gerecht zu werden, hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bereits 2007 mit ihrem Koalitionspartner die Initiative “Wertvolle Computerspiele fördern, Medienkompetenz stärken” gestartet und mit Mehrheitsbeschluss des Deutschen Bundestages den Computerspielpreis ins Leben gerufen.  Als Kriterium für einen solchen Preis wurde festgelegt, dass damit  qualitativ hochwertige sowie kulturell und pädagogisch wertvolle Computerspiele ausgezeichnet werden sollen – in dieser Reihenfolge – der technische Aspekt soll nur eine sekundäre Rolle spielen.

Den Preis “Bestes Deutsches Spiel” hat in diesem Jahr der Ego-Shooter “Crysis 2” erhalten. Dieses Spiel ist graphisch und technisch durchaus innovativ, aber weder kulturell noch pädagogisch wertvoll. Es ist gewaltverherrlichend und erst ab 18 Jahren zugelassen. Für uns als Gesetzgeber gilt als Maßstab Artikel 1 unseres Grundgesetzes “Die Würde des Menschen ist unantastbar”. Deshalb halte ich die Juryentscheidung für falsch.

Gewaltspiele, auch wenn  sie technisch noch so brillant sind, dürfen nicht mit Steuergeldern honoriert werden. Es geht nicht darum, Ego-Shooter grundsätzlich zu verdammen, sondern  darum, sie nicht noch durch eine Siegerehrung aufzuwerten oder “öffentlich zu verkaufen”. Gerade die große Bandbreite an Computer-, Konsolen- und Onlinespielen und deren unterschiedliche Nutzungsarten verlangen eine Orientierung für Eltern, Erziehungspersonen, Jugendliche und Kinder.

Als Mitinitiator dieses Preises, als verantwortungsvoller Abgeordneter und als Vater von vier Kindern fordere ich deshalb bei der Preisvergabe eine Rückbesinnung auf den kulturell-pädagogischen Wert des Computerspiels.

Privacy Preference Center