Der CDU-Experte und Politikwissenschaftler Prof. Gerd
Langguth stellte sich am 02. Dezember im tacheles.02-Chat von tagesschau.de
und politik-digital.de den Fragen zur Lage der Unionsparteien und zu
deren Zukunft. Um die Geschlossenheit der Union wiederherzustellen rät
er Frau Merkel "vor wichtigen Entscheidungen diese mehr mit der
Gesamtpartei abzustimmen, so dass Rückzieher, wie im Fall der Türkei-Unterschriftenaktion,
nicht notwendig sind."

Moderator: Liebe Politik-Interessierte, herzlich willkommen
im tacheles.02-Chat. Unsere Chat-Reihe ist ein Format von tagesschau.de
und politik-digital.de und wird unterstützt von tagesspiegel.de
und von sueddeutsche.de. Im ARD-Hauptstadtstudio begrüße
ich heute den Professor Gerd Langguth, Politikwissenschaftler in Bonn
und ausgewiesener CDU-Experte und -Insider. Herzlich willkommen, Herr
Langguth.

Gerd Langguth: Ja, ich freue mich, hier mit Ihnen
und mit vielen Freunden von tagesschau.de chatten zu können.

Moderator: Wäre die CDU momentan in der Lage,
von jetzt auf gleich die Regierungsgeschäfte zu übernehmen?

Gerd Langguth: Wenn die Situation käme, wäre
sie sicherlich in der Lage, aber nicht so intensiv, wie man es sich
klassischerweise wünscht. Die Frage ist aber theoretisch, weil
die Regierung aller Wahrscheinlichkeit nach die nächsten zwei Jahre
durchhalten wird.

Manfred M.: Herr Langguth, glauben sie, dass sich
eine protestantische, ostdeutsche Frau wie Angela Merkel in einem katholischen,
westdeutschen Männerbund wie der CDU lange an der Macht halten
kann und auch noch Kanzlerin werden kann? Oder gibt es dieses Konfliktpotenzial
gar nicht?

Gerd Langguth: Ja, die Vorraussetzung der Frage stimmt
nicht ganz, denn
auch in Westdeutschland gibt es viele Protestanten in der CDU. Es trifft
aber zu, dass viele aus dem klassischen CDU-Milieu mit einer ostdeutschen
Pfarrerstochter, die sie noch nicht seit Jahrzehnten kennen, sehr schwer
tun. Sie hat keine politische Sozialisation, wie sie gemeinhin alle
diejenigen haben, die schon zu Zeiten der Jungen Union oder des RCDS
beschlossen haben, Politiker
oder gar Kanzler zu werden. Aber es stimmt, dass Frau Merkel auf viele
Westdeutsche und aber auch auf Ostdeutsche, etwas sphinxhaft wirkt.
Viele wissen nicht, was ihr Menschenbild, was ihre Grundkoordinaten
in der Politik wirklich darstellen.

Gerold: Merkel als Kanzlerkandidatin? Ist Deutschland
bereit für eine Frau als Kanzler?

Gerd Langguth: Die Frage kann man wahrscheinlich erst
nach den Wahlen beantworten. Sie wäre die erste Frau, die es schaffen
würde und zudem noch Ostdeutsche. Ich habe die Erfahrung gemacht,
dass insbesondere Frauen sich schwer tun eine Frau zu wählen. Es
ist ein Irrglaube zu meinen, es sei eine klassische Männerbastion,
die etwas gegen Leitungsfunktionen von Frauen auf dieser Ebene hat.
Aber viele hatten auch nicht gedacht, dass Schröder eines Tages
Kanzler werden könnte. Ob jemand Kanzlerformat hat, zeigt sich
häufig erst in der Praxis.

bert: Herr Langguth, Frau Merkel scheint politisch
geschwächt, parteiintern aber gestärkt. Reicht eine starke
Hausmacht, um die nächste Bundestagswahl zu gewinnen?

Gerd Langguth: Sie hat in der Tat keine richtige Hausmacht
im klassischen Sinne. Ihr Vorteil ist, dass es im Moment niemanden in
der Union gibt, der ihr den Rang als Kanzlerkandidatin streitig machen
wird. Sollte sie aber die Wahlen verlieren, wäre sie politische
schnell weg vom Fenster, weil sie eben keine Hausmacht hat.

Olieve: Gesetz dem Fall, Merkel würde Kanzlerkandidatin
der Union: Welche Chance hätte sie, sich gegenüber Schröder
durchzusetzen?

Gerd Langguth: Ich denke, dass Schröder sich
dann auf eine Kandidatin einzustellen hat, die schwerer zu bekämpfen
sein dürfte als Stoiber. Aber die konkrete Wahlkampfsituation kann
heute noch nicht festgemacht werden. Denken Sie daran, wie die Oder-Flut
und der Irak-Krieg schlagartig die politische Diskussion in Deutschland
verändert haben. Ein Amtsinhaber hat gerade bei aktuellen, unvorhergesehenen
Ereignissen immer einen Bonus.

Moderator: Wie beurteilen Sie die "Leichtmatrosen"
– Kritik von Stoiber?

Gerd Langguth: Diese Kritik bezog sich ja auf das
enge Verhältnis Merkel-Westerwelle. In der Tat ist die Vorstellung,
dass die Bundesrepublik von einer ostdeutschen, protestantischen Frau,
gar noch kinderlos und einem unverheirateten FDP-Vorsitzenden als Vize-Kanzler
gemanaged werden soll, für klassische Unions-Milieus nicht einfach
verkraftbar. Mit dieser Argumentation, die ja keine offizielle Argumentation
war, die gerüchteweise an die Presse gelangt war, will natürlich
die CSU klar machen, dass sie bei einer künftigen Regierungsbildung
eine gewichtige Rolle spielen soll. Ich bin mir nicht einmal sicher,
ob die CSU beispielsweise die Rolle eines Außenministers auf die
FDP übertragen will.

FeverPitch: Eine zerstrittene Partei hat erfahrungsgemäß
weniger Chancen auf einen Wahlsieg. Welche Strategien raten Sie der
CDU, um sich geschlossen präsentieren zu können?

Gerd Langguth: Der Parteitag, der am kommenden Montag
beginnt, wird ja genau den Versuch unternehmen müssen, demonstrative
Geschlossenheit zu zeigen. Deshalb wird Frau Merkel, aller Voraussicht
nach, auch ein sehr gutes Ergebnis erhalten, weil die meisten Delegierten
spüren, dass die "Kakophonie" der letzten Monate zu erheblichen
Wahlproblemen, insbesondere in Sachsen, geführt hat. Ich rate aber
auch Frau Merkel, vor wichtigen Entscheidungen diese mehr mit der Gesamtpartei
abzustimmen, so dass Rückzieher, wie im Fall der Türkei-Unterschriftenaktion,
nicht notwendig sind.

Tigge: Öffentlichkeits-Marketing der CDU: Wer
macht sich eigentlich Gedanken um das Erscheinungsbild der CDU? Es ist
nicht zu begreifen, wie zum Beispiel Wörter wie "Kopfpauschale
" gewählt werden können. Das erinnert schon bald an Kopfschuss.
Die meisten Leute wissen nichts über den Inhalt, hören nur
den Begriff und der ist sehr negativ belastet. Die SPD weiß leider,
wie sie gut beim Volk ankommt. Zumindest kann sie mit den Medien umgehen,
wenn auch nicht regieren.

Gerd Langguth: Wer den Begriff "Kopfpauschale"
erfunden und für die CDU kommuniziert hat, sollte sich an die Ausführungen
Biedenkopfs schon vor 20 Jahren erinnern, als er auf die Bedeutung des
Kampfs um politische Begriffe aufmerksam machte. Wer politische Begriffe
positiv besetzen kann, wird eine politische Auseinandersetzung leichter
gewinnen können. Inzwischen bestreiten ja alle CDU-Funktionsträger,
sie hätten den Begriff selbst in Verkehr gebracht. Ich stimme Ihnen
zu, dass diese Begriffswahl alles andere als professionell war. Nun
darf man sich nicht vorstellen, dass politische Kommunikation immer
nur mit einem Knopfdruck funktionieren kann – dazu dient nicht der Chor
der Vielstimmigkeit, der prinzipiell in einer Volkspartei ja sogar erwünscht
ist. Wir haben es mit einem Grundproblem in unserer Demokratie zu tun.
Demokratien benötigen auch innerparteilich eine Streitkultur, nur
dann kommt es zu "guten" Lösungen. Wenn aber innerparteilich
Auseinandersetzungen stattfinden, wird dies von den Wählern häufig
als Schwäche empfunden. Es darf aber nicht zugelassen werden, dass
zum Schluss nur noch Totengräberruhe in den Parteien herrscht.

Moderator: Kann die CDU mit dem aktuellen Gesundheitskompromiss
überhaupt Wahlen gewinnen? Heiner Geißler meint: Auf keinen
Fall!

Gerd Langguth: Ich bin sogar überzeugt, dass
die CDU mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik, zu dem sie natürlich
Positionen haben muss, keine Wahlen gewinnen kann. In diesem Feld wird
die SPD von ihrem Image her immer im Vorteil sein. Die klassischen Schwerpunktthemen
und Stärken in der Union sind zum Beispiel Wirtschafts- und Haushaltspolitik.
Hier muss die Union punkten. Das überhaupt eine solche Diskussion
über Fragen der Gesundheitspolitik, die kein Mensch mehr verstanden
hat, auch inhaltlich, solange möglich war, hat auch etwas mit dem
Sachverhalt zu tun, dass hier fundamental zwischen zwei selbständigen
Parteien kein Einvernehmen zu erzielen war und Seehofer den prinzipiell
kompromissbereiten Stoiber hier in eine Rigorismusfalle gebracht hatte.
Der Beschluss, der jetzt getroffen wurde, hat lediglich virtuellen Charakter.
Er soll zeigen, dass die beiden Parteien sich einigen können: Einigung
als Wert an sich! Sollte die Unionsparteien aber an die Regierung kommen,
spielt ja dann aber sowieso der Koalitionspartner FDP, ohne den es ja
nicht geht, eine Rolle.

Alois: Die FDP stellt sich gegen die Gesundheitspolitik
der Union. Kommt die FDP überhaupt noch als Koalitionspartner in
Frage?

Gerd Langguth: Ja, wer denn sonst? Die Grünen
haben sich – jedenfalls so lange Joseph ("Joschka") Fischer
als heimlicher Vorsitzender dieser Partei was zu sagen hat – in eine
Art babylonische Gefangenschaft der SPD begeben. So wird Frau Merkel
gar nichts anderes übrig bleiben, auch dem knurrenden Stoiber nicht,
mit der FDP zu koalieren. Die Vorbereitungen zur Wahl des Bundespräsidenten
waren hier ein interessantes Manöver – gleichzeitig ein solches
Unterfangen, wofür die meisten Frau Merkel gegenüber höchsten
Respekt zollten.

Buitoni: Wie bedeutsam ist die Rolle der CSU in der
Bundespolitik der Union, Ihrer Meinung nach?

Alois: Welche Möglichkeit hat die CSU pol. Einfluss
auf die CDU auszuüben?

Gerd Langguth: Nun muss man wissen, dass zu Beginn
einer jeden Legislaturperiode CDU und CSU einen Vertrag über die
Zusammenarbeit in einer gemeinsamen Fraktion unterschreiben. Das gibt
der CSU, die auch bei Fraktionsvorstandswahlen einen besonderen Status
hat, in vielen personellen wie inhaltlichen Fragen eine Veto-Macht.
Politikwissenschaftlich betrachtet, waren in der Vergangenheit sogar
die Kämpfe zwischen CDU und CSU – seinerzeit Strauss gegen Kohl
und umgekehrt – sogar ein breites Integrationsmoment insofern, als beispielsweise
sehr konservativ gesonnene Wähler im Norden, die dort die CSU nicht
wählen konnten, trotzdem die CDU gewählt haben,weil sie ja
wussten, dass später ein solcher Einfluss über die gemeinsame
Fraktion, wie sie sie sich wünschten, wahrgenommen wird. Allerdings
gab es in der Vergangenheit zwar häufig Streit, doch noch nie eine
Situation, dass eine Parteivorsitzende, wie in diesem Fall Frau Merkel,
inhaltlich durch einen Parteitagsbeschluss gebunden war, dass sie kaum
Manövriermasse für Kompromisse hatte. Da hatte Kohl einen
anderen Politikstil.

Birk: Hat die FDP nicht Narrenfreiheit, weil die Union
keinen anderen Koalitionspartner hat? Eine große Koalition kommt
wohl kaum in Frage.

Gerd Langguth: Eine Große Koalition wäre
im Rahmen der politischen Kultur Deutschlands nur dann eine Möglichkeit,
wenn sich überhaupt keine andere Mehrheit mehr ergäbe, wenn
beispielsweise durch den Erfolg von extremistischen Parteien, Koalitionen
von demokratischen Parteien erschwerten. Völlige "Narrenfreiheit"
kann sich auch die FDP nicht erlauben, denn sie will ja an die Macht.
Sie muss sehr auf den Wähler achten, dass ihre Aktionen auch von
diesem verstanden werden.

linda: Herr Langguth, der Beschluss zur Gesundheitsreform
hat ja vor allem gezeigt, dass eine gemeinsame Politik von CDU und CSU
nur unter großen qualitativen Verlusten möglich ist. Kann
ein solcher Eindruck die Bundestagswahl 2006 gefährden?

Gerd Langguth: Wenn dieser Eindruck zu dem Zeitpunkt
der Bundestagswahl noch vorherrscht, dann ja. Erfahrungsgemäß
wechseln die politischen Themen sehr schnell. In einigen Wochen wird
kaum noch jemand über den Gesundheitskompromiss sprechen. Wir sehen
ja jetzt schon, wie zum Beispiel das Thema Bundeswehr den Gesundheitskompromiss
abgelöst hat. Ich will aber hinzufügen, dass den Regierungsparteien
ein Meisterstück gelungen ist. Die Grünen und die SPD haben
sich hinsichtlich ihres Konzeptes einer "Bürgerversicherung"
so zerstritten, dass sie beschlossen haben, diese Thematik erst nach
den nächsten Bindestagswahlen aufzugreifen. Und kaum einer merkt
es. Sicherlich wird die Union gut beraten sein, auch auf diesen Umstand
in der Wahlkampfauseinandersetzung dann hinzuweisen, wenn ihr dieser
Beschluss zur Gesundheitspolitik vorgehalten wird.

Chris: Inwieweit hat der Verlust Seehofers als Fachminister
der Union geschadet? Hat die Union überhaupt noch die Möglichkeit,
ihr gesundheitspolitisches Konzept überzeugend zu verkaufen?

Gerd Langguth: Seehofers Rücktritt ist einerseits
ein schmerzhafter Einschnitt. Andererseits: Die harte Erfahrung, die
auch Seehofer machen wird, ist die, dass jeder ersetzbar ist. Bisher
hatte Frau Merkel im Fraktionsvorstand gerade in wichtigen Fragen keine
wirkliche Mehrheit. Durch das Ausscheiden von Merz und Seehofer – so
paradox das vielleicht klingen mag – wird intern ihre Stellung gestärkt.

Moderator: Merkel beißt die besten Leute der
Union weg – welche langfristige Strategie verbirgt sich dahinter?

Gerd Langguth: Ich weiß nicht, ob Frau Merkel
in dem Sinne eine langfristige Strategie hat. Sie agiert sehr in der
Mentalität einer Naturwissenschaftlerin, die die Probleme in der
Politik zu einem Zeitpunkt lösen will, zu dem diese Fragen beantwortet
werden müssen. Sie hat aber eine Strategie. Sie will mit aller
Wucht Kanzlerin werden und weiß alle diejenigen, die sich ihr
diesbezüglich in den Weg gestellt haben, in die Schranken zu verweisen.
Ich habe ja in meinem Buch darauf aufmerksam gemacht, dass die Zahl
ihrer Skalps, die sie erzielt hat, enorm ist. Insofern habe ich im Moment
keinen Zweifel, dass ihre Hauptstrategie darin bestehen wird, erste
Kanzlerin in Deutschland zu werden.

Fermina: Horst Seehofer sagte kürzlich: "Wer
Merkel unterschätzt, hat schon verloren". Wurde Merkel innerhalb
der Partei, wie zum Beispiel von Merz, unterschätzt?

Gerd Langguth: Ich glaube nicht, dass Merz Merkel
unterschätzt hat. Er hat rational erkannt, dass er in einer eventuellen
künftigen Merkel geführten Bundesregierung keine Chance hat,
ein Superministerium aus Wirtschaft und Finanzen, worüber ja schon
in der Presse spekuliert wurde, zu übernehmen.
Deshalb halte ich seinen Schritt für logisch. Zumal man ja auch
respektieren muss, wenn Politiker mal "ins Glied zurücktreten"
– dass kommt ja selten genug vor. Wahr ist aber, dass Frau Merkel lange
Jahre heftig unterschätzt wurde, wie übrigens auch ihr früherer
politischer Ziehvater Helmut Kohl. Unterschätzte haben es in Politik
(und manches Mal auch außerhalb der Politik) häufig leichter
schnell "nach oben" zu kommen, weil sie ja am Anfang auf Viele
nicht den Eindruck machen, gefährlich werden zu können.

linda: Sie sagten Merkel habe keine Hausmacht, und
der Wunsch, Kanzlerin, zu werden, ist als Strategie ein bisschen wenig.
Sind "gestandene" Ministerpräsidenten, wie Stoiber oder
Koch, nicht gnadenlos im Vorteil?

Gerd Langguth: Ministerpräsidenten sind deshalb
im Vorteil, weil sie ein exekutives, ein Regierungsamt haben. Deswegen
obsiegte ja auch Stoiber in der innerparteilichen Auseinandersetzung.
Frühere Bundeskanzler sind, sieht man von den Anfangsjahren ab,
deshalb ins Amt gekommen, weil man, wegen ihrer Erfahrung als Ministerpräsidenten,
ihnen eher zugetraut hat, die
Aufgaben eines Bundeskanzlers ausfüllen zu können (zum Beispiel
Kiesinger, Brandt, Kohl und Schröder).

franz.K.: Was ist mit dem Thema Integration und Leitkultur.
Hilft das der Union bei Wahlen oder für die Umfragenwerte?

Gerd Langguth: Es hilft der Union dann, wenn sie das
Thema in einer sensiblen Weise anpackt und nicht den Vorwurf einer prinzipiellen
Ausländerfeindlichkeit möglich macht. Es gibt in der deutschen
Bevölkerung – auch bei den Wählern der SPD und teilweise auch
bei den Grünen – eine große Verunsicherung, wie Integrationsprobleme,
die ja nicht zu bestreiten sind, friedvoll und konsequent gelöst
werden können. Nun
wurde ja seinerzeit Merz, als er den Begriff "Leitkultur"
gebrauchte, mehr oder minder "zurückgepfiffen". Alle
Parteien nehmen sich jetzt dieser Thematik an, weil diese Probleme einfach
zu den wichtigsten in der Diskussion in der Bevölkerung gehören.
Hieraus kann der Union ein strategischer Vorteil erwachsen, aber nur,
wenn sie nicht übers Ziel hinausschießt.

Q: Muss sich die Union so populistischen Themen wie
der Unterschriftenaktion gegen einen EU-Beitritt der Türkei bedienen,
um aus ihrem Umfragetief zu kommen? Muss die Union auf populistische
Themen setzen, um sich bloß keinen Sachfragen widmen zu müssen?

Gerd Langguth: Es besteht immer die Gefahr, dass man
in Umfragetiefs auf populistische Themen setzt. Andererseits muss jede
Partei auch die Themen ansprechen, die die Bevölkerung besonders
bewegen. Wenn beispielsweise die CSU auf ihrem Parteitag die Werteproblematik
besonders intensiv angesprochen hat, dann war das sicherlich auch deshalb
der Fall, weil sie von dem Sozialdesaster ablenken wollte, aber auch,
weil sie erkannt hat, dass die Fragen der Wertorientierung gerade in
einer pluralistischen Demokratie intensiv gestellt werden. Dies war
übrigens auch eine im amerikanischen Wahlkampf gemachte Erfahrung.

Moderator: Wo wir schon beim Thema Populismus sind:

HMPMP: Wie bewerten Sie die Bereitschaft der CDU,
auf Länderebene Koalitionen mit rechtspopulistischen Parteien einzugehen,
wie es in Hamburg geschah?

Gerd Langguth: Der Fall in Hamburg mit der Schill-Partei
war ein besonderer. Die Schill-Partei war zwar rechtspopulistisch, aber
nicht rechtsextrem. Eine Koalition der CDU mit rechtsextremen Parteien
– etwa DVU oder NPD – halte ich für absolut ausgeschlossen. Dass
Hamburger Wahlergebnis war ja durch die Tatsache bestimmt, dass die
Schill-Partei von heute auf morgen eine zweistellige, enorme Stimmenzahl
erhalten hat, dass die Wähler einen Politikwechsel in Hamburg sichtbar
wollten. Im Übrigen stellt sich die Frage von Koalitionen nicht
nur bei rechtspopulistischen Parteien. Auch die PDS hat einen starken,
wenngleich linkspopulistischen Charakter. Hamburg ist ein Beispiel,
dass eine Partei durch das Nichtbewähren in einer Koalition verbannt
werden kann.

Logo_08: Welche Schäden hat die Finanzaffäre
bei der Union hinterlassen? Ist das Gedächtnis der Bevölkerung
wirklich so kurzzeitig, dass man den Skandal vergessen hat?

Gerd Langguth: Nein, dieses Thema bleibt im Langzeitgedächtnis.
Frau Merkel, die ja mit dem Finanzskandal wirklich nichts zu tun hatte,
hatte ja klar aufgeräumt. Die menschlichen Enttäuschungen
über Helmuth Kohl hallen bis heute nach.

Moderator: Wie viel Verantwortung hat Helmut Kohl
noch für die derzeitige Situation in der Union?

Gerd Langguth: Das kann man nicht in Prozenten messen.
Er hat natürlich nicht nur eine negative Verantwortung, zu der
er sich ungern bekennt. Er hat ja auch viele Erfolge – insbesondere
die Deutsche Einheit – eingefahren. Wir werden auf den 2.Teil seine
Memoiren gespannt sein, ob er zu mehr Einsicht kommt.

r0bin: So sehr sich die beiden großen Parteien
auch unterscheiden mögen, so sehr gleichen sie sich doch auch in
einem Punkt: Die sukzessive Verstaatlichung von Arbeitsmarkt und Gesundheitssystemen
steht offenbar überhaupt nicht zur Diskussion, sondern wird ganz
selbstverständlich betrieben, ob bei den Hartz-Reformen oder beim
Gesundheitskompromiss. Wird die Union damit ihrem Anspruch als bürgerliche
Partei überhaupt noch gerecht?

Gerd Langguth: Ja, die Verstaatlichung des Gesundheitssystems
hat ja in einem obrigkeitsstaatlich geprägten System, wie in Deutschland,
eine lange Tradition. Hier ist übrigens die CSU mehr auf der Seite,
keine Reformen zu wollen, währenddessen ja die Konzeption von Frau
Merkel darin besteht, mehr Verantwortung für den Einzelnen einzufordern.

SaferVote: Wie schätzen sie die Gelegenheit ein,
in Deutschland eine neue Volkspartei zu gründen?

Gerd Langguth: Dazu gibt es keine Chancen. Die Gründung
neuer Parteien ist fast ausgeschlossen. Auch die Partei, die sich jetzt
links von der SPD gründet, wird größte Schwierigkeiten
haben. Die Grünen sind das einzige gelungene Beispiel für
eine Neugründung – sieht man von dem Sonderfall PDS ab.

Moderator: Das war unsere Chat-Stunde, vielen Dank
für Ihr Interesse. Herzlichen Dank Herr Langguth, dass Sie sich
die Zeit genommen haben. Der nächste Chat findet am Mittwoch, 15.
Dezember, um dreizehn Uhr statt. Den Fragen stellt sich dann der Vizechef
der Unionsfraktion im Bundestag, Wolfgang Bosbach. Das Protokoll dieses
Chats finden Sie wie immer auf den Seiten der Veranstalter. Einen schönen
Tag wünscht allen das tacheles.02-Team.

Gerd Langguth: Leider ist der Chat schnell zu Ende
gegangen. Ich danke allen Fragestellern.