Bücher brauchen schmissige Titel. Sonst verkaufen sie sich womöglich nicht. Ein Titel muss aber auch zum Inhalt passen. Leider passt der Titel „Wie ich lernte, die Politiker zu lieben“ so gar nicht zum Inhalt von Robin Mishras lesenswertem Vademecum. Unser Autor Jochen Zenthöfer über eine ganz besondere Beziehung.

Im Fernsehen kennt jeder Journalist die Ton-Bild-Schere. Will man im Lektorat des Herder Verlags mit einer Titel-Inhalt-Schere im Wahljahr punkten? Mishra beschreibt nicht, wie er „Liebe lernte“, und teilt auch nicht mit, dass er „Politiker liebt“. Ist Liebe überhaupt der richtige Begriff für die Beziehung zu Personen, über die Mishra als Journalist objektiv berichten soll? Nach Bertolt Brecht ist „Liebe der Wunsch, etwas zu geben, nicht zu erhalten“. Mishra aber möchte von den Politikern eine ganze Menge erhalten: das Standvermögen eines Jens Spahn in der Abstimmung zur außerplanmäßigen Rentenerhöhung, die Fähigkeit eines Ole von Beust, Gefühle der einfachen Menschen wahrzunehmen, und die Bereitschaft eines Boris Palmer, den Mund zu halten, wenn er als Oberbürgermeister nicht zuständig ist, wie zum Thema Rauchverbot in Kneipen. Außerdem müssen Politiker Betriebspraktika absolvieren, den Sonntag ihrer Familie widmen und ihre Nebentätigkeiten deutlicher offen legen.

Was ist Liebe?

Im Gegenzug soll sich das Volk an den Wahlen beteiligen und mehr zu sagen bekommen: Vorwahlen in den Parteien verlangt Mishra und die Möglichkeit, auf Landeslisten Bewerber von hinten nach vorne zu kumulieren. Bürgerentscheide seien endlich ernst zu nehmen und nicht, wie vom linken Berliner Senat, zu bekämpfen: in dem man schon vorher sagt, dass man das Ergebnis nicht ernst nehmen werde (Flughafen Tempelhof). Auf der anderen Seite soll das Volk unflätige Äußerungen über „die Politiker“ unterlassen, denn die meisten – so Mishra – machen ihre Sache gut. Sie sollten auch mehr Geld für Mitarbeiter bekommen, um von Lobbyisten weniger abhängig zu sein. Gleichzeitig könnte man die Zahl der Bundestagsabgeordneten verringern. Das alles sind sinnvolle Vorschläge, und Mishra schreibt in der Tat „lebensklug und humorvoll zugleich“ (Verlagswerbung), aber man hat diese Ideen schon oft gelesen, und mit gelernter Liebe haben sie nichts zu tun.

Traurige Lektionen

Mishra illustriert seine Thesen an Beispielen, wie dem des Werner Kuhlmann. 1997 war der Rentner Augenzeuge eines schlimmen Unfalls an einem unbeschrankten Bahnübergang. Seitdem fordert er, auf jedem Andreaskreuz ein Stoppschild zu montieren. Er sammelte Unterstützer, vom Landrat bis hin zu Bahnchef Mehdorn. 2005 war sogar der Bundestag von der Idee überzeugt. Die geplante Änderung der Straßenverkehrsordnung fiel dann aber im Bund-Länder-Fachausschuss durch. Begründung: Für die Verkehrssicherheit bringe die Verkehrsschilder-Kombination nichts. Für Mishra ist das „eine traurige Lektion in Sachen Föderalismus“. Weshalb? Vielleicht hat der Ausschuss ja recht, die Verkehrssicherheit steigt nicht, dafür steigen Bürokratie und Kosten (für 14000 unbeschränkte Bahnübergänge in Deutschland jeweils 600 Euro)? Eine Auseinandersetzung darüber fehlt in dem Buch. Wie erfahren nur, dass Herr Kuhlmann enttäuscht ist. Er wird die Politiker sicher nicht lieben. Auch dann nicht, wenn sie in Zukunft Betriebspraktika bei der Deutschen Bahn machen.

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