Videoclips, Audiostreams, Blogposts, Twitternachrichten: In den zwölf Monaten nach seiner Amtseinführung hat US-Präsident Barack Obama auf allen möglichen (Online-)Kanälen geworben. politik-digital.de-Autor Henrik Flor hatte alle Nachrichten abonniert – zeitweise sogar bis zum digitalen Burnout. Ein offener Brief und Jahresrückblick.
Dear Barack,
was für ein Jahr, das wir da hinter uns gebracht haben! Im Januar 2009 habe ich nachts im Livestream Deine Amtseinführung gesehen, als Du beim Sprechen des Eides zum ersten Mal ins Straucheln gekommen bist. In den folgenden Tagen hagelte es dann bereits präsidentielle E-Mails in meinen Posteingang: Die alten Bush-Dogmen hast Du im Handstreich abgeschafft, die Krankenversorgung für benachteiligte Kinder ausgeweitet, Guantanamo wolltest Du schließen (nun ja: wolltest).
Per Video-Clip, Audiostream, Chat oder Blogpost erfuhr ich, wie Du ein Konjunkturpaket geschnürt hast, bei dem es einem schwindelig wurde. Trotzdem habe ich online meine Unterstützung dafür erklärt. Du hast mich wissen lassen, was Du gegen die Schweinegrippe unternimmst und wie Du Banken und Autobauer rettest. Alle Entscheidungen hast Du mir (und Millionen anderen) persönlich begründet und wolltest meine Meinung dazu wissen. Manchmal habe ich mich leise gefragt: Was geht mich in Berlin das an? Aber Du wirst schon Deine Gründe gehabt haben.
Stresstest Gesundheitsreform
„If we don’t get it done this year, we’re not going to get it done." So hast Du mir ins Gewissen geredet. Und ich habe mich gleich in die Online-Unterschriftenliste zur Gesundheitsreform eingetragen. Ich wollte auch den Kickoff meines demokratischen Ortsvereins mitorganisieren, wozu Du per E-Mail aufgerufen hast. Irgendwie hat das aber dann doch nicht geklappt. Dafür habe ich das Townhall-Meeting in Wisconsin dann bei Facebook geshared. Ein paar Dollar wollte ich sogar spenden, durfte aber als Nicht-Amerikaner nicht. Und als Du mir die Büronummern von zwei Senatoren gemailt hast, die noch für die Gesundheitsreform gewonnen werden mussten, habe ich wie 1 Mio. andere Unterstützer mein Telefon in die Hand genommen. Ich bin leider nicht durchgekommen.
An meine Tageszeitung sollte ich eine E-Mail schreiben. Und Du hattest netterweise auf Deiner Website einen Service eingerichtet, wo man nur seine Postleitzahl eingeben musste, um komfortabel alle Kontaktdaten angezeigt zu bekommen. Leider konnte ich unter D-10965 nichts finden. Aber keine Sorge, die Mailadressen vom Tagesspiegel und der B.Z. habe ich auch so gefunden.
Vor dem digitalen Burnout
Im Herbst dann konnte ich nicht mehr, ein paar Wochen digitaler Abstinenz waren dringend nötig – einmal den Kopf frei kriegen von der Gesundheitsreform. Außerdem musstest Du dich dann ja noch mit der Truppenverstärkung für Afghanistan oder dem Friedensnobelpreis herumschlagen. Auch die Verhinderung von verbindlichen Regelungen zum CO2-Ausstoß auf dem Gipfel in Kopenhagen hat Dich stark in Beschlag genommen. Ehrlich gesagt war ich da schon ein bisschen enttäuscht, aber als Dir dann die Republikaner in Sachen Gesundheitsreform die Hölle heiß machten, war ich sofort wieder an Bord.
Ich habe – so wie Du es wolltest – die Website, die mit den üblen Gerüchten über Deinen "Gesundheitsfaschismus" oder wahlweise "Gesundheitssozialismus" aufräumen sollte, gebookmarked, getwittered, gedigged, gepinged und geshared. Ich habe mitgemacht beim großen Dezember-Endspurt, bis Du am 24. die erlösende E-Mail schicktest: Es ist geschafft – der Senat hat die "Health Reform Bill" verabschiedet. Endgültig durch ist die Reform damit zwar noch nicht, aber immerhin konnte ich den Computer über Weihnachten ausgeschaltet lassen.
Jetzt frage ich mich: Was mache ich eigentlich den ganzen Tag, wenn einmal Eure Gesundheitsreform endgültig beschlossene Sache ist? Vielleicht kümmere ich mich dann mal um Dinge wie schwarz-gelbe Steuerpläne, Atomausstieg oder den deutschen Datenschutz. Oder ich hole einfach die Spielkonsole wieder aus dem Keller.