Der arabische Frühling symbolisierte noch vor wenigen Jahren die Hoffnung, das Internet sei in der Lage, demokratische Tendenzen zu unterstützen. Mittlerweile macht sich Pessimismus breit. Die Konferenz „Data und Politics“ beschäftigte sich daher mit der Frage, ob die Digitalisierung mittlerweile eine Gefahr für die Demokratie darstellt.
Demokratie bedeutet in erster Linie Partizipation und Partizipation wiederum bedeutet Austausch. Die Digitalisierung bietet nach wie vor große Chancen, diesen Austausch auf vielfältige Art und Weise zu gestalten. Doch in Zeiten von Fake News, Chatbots und Cyberangriffen stehen nicht nur die Chancen, sondern auch die Risiken für die Demokratie dabei verstärkt im Fokus. Bringt die Digitalisierung also mehr oder weniger Demokratie mit sich? Wie sehen die Chancen und Risiken einer digitalisierten Demokratie konkret aus und was bedeutet das alles eigentlich für Wählerinnen und Wähler? Diskutiert wurden diese und weitere Fragen auf der „Data und Politics“ Konferenz, die die Initiative D21 am 24.06.2018 in Berlin bereits zum zweiten Mal in Folge veranstaltete.
Datenbasierter Wahlkampf
Zu den Chancen, die die Digitalisierung der Politik bietet, gehöre spätestens seit den Obama-Kampagnen von 2008 und 2012 auch der datenbasierte Wahlkampf, so Guilliaume Liegey, CEO von Liegey Muller Pons (LMP). Mit Hilfe von Wählerdaten könne Wahlkampfwerbung dabei passgenau auf den Wähler zugeschnitten werden. Liegey betont jedoch, dass die Kombination aus Mensch, Technologie und Daten dabei essentiell für den Erlog der Kampagne sei. Um alle drei Aspekte erfolgreich miteinander zu vereinen, setzt LMP, wie mittlerweile diverse Agenturen, daher auf datenbasierte Haustürwahlkämpfe. Mit Hilfe eines statistischen Modells wird zunächst anhand von Wählerdaten errechnet, in welchem Wahlbezirk sich ein Tür-zu-Tür-Wahlkampf lohnt. In einem zweiten Schritt wird die Arbeit vor Ort dann per App koordiniert. Dies sei jedoch nur die heiße Wahlkampfphase, ein professioneller Wahlkampf, ob analog oder digital, müsse auch weit vor und nach der Wahl stattfinden. Außerdem sei ein datengestützter Wahlkampf nur ein Mosaikteil, das nicht allein über Wahlsieg oder -niederlage entscheidet, betonte Liegey.
„Social Media und Algorithmen tragen keine Schuld“
Der Begriff Fake News steht mittlerweile symbolisch für das Gefühl des öffentlichen Misstrauens und zeigt, dass eine digitalisierte Demokratie auch Risiken birgt. Die Suche nach den Ursachen für die Verbreitung von Fake News geht daher Hand in Hand mit Schuldzuweisungen der Öffentlichkeit. Social Media und Algorithmen seien dabei jedoch nicht als die Wurzel allen Übels anzuprangern, sondern auch psychologische Prozesse spielen eine entscheidende Rolle, so Michael Seemann. Der Autor und Blogger spricht dabei in seinem Vortrag vom sogenannten „Digitalen Tribalismus“. Die Mitglieder eines „digitalen Stammes“ finden ihre Identität in einer Gruppe und durch Abgrenzung zu anderen Gruppen. Daher beurteilen sie Informationen nicht nach ihrem Wahrheitsgehalt, sondern einzig und allein danach, ob deren Verbreitung den Zielen und Werten des eigenen „Stammes“ entspricht. Angewendet auf das Phänomen der Fake News bedeutet das, dass Fake-News-Verbreiter zwar erfahren, dass sie Fake News streuen, diese aber nicht richtigstellen, da das nicht ihrem Kommunikationsziel entspricht.
Datenanalyse ist keine „Rocket Science“
Noch vor einer Auseinandersetzung mit den Chancen und Risiken, die die Digitalisierung für eine moderne Demokratie bereithält, stehen allerdings oftmals die technischen Hürden und die Berührungsängste der User und Userinnen. So machte der Datenanalyst David Kriesel zum Ende der Veranstaltung vor allem dem fachfremden Publikum noch einmal Mut. Anhand seines Projekts „Spiegel Mining“ illustriert er anschaulich, was aus Daten auszulesen ist, die sich online frei zugänglich befinden und auf den ersten Blick wenig interessant erscheinen. Seit 2014 sammelt der Informatiker diverse Informationen über Artikel des Online-Nachrichtenportals Spiegel Online. Anhand von Länge, Veröffentlichungsdatum, Verschlagwortung, Autor oder Autorin der Artikel lassen sich dabei mit Hilfe von einfachen Datenanalyse Tools Zusammenhänge auslesen, die überraschend viel Aufschluss über gesellschaftliche Entwicklungen geben können. Kriesel gelingt es für den Zuschauer anschaulich und leicht verständlich zu erklären, was passiert, wenn ausnahmsweise einmal nicht der Riesenkonzern Daten über seine Userinnen und User sammelt, sondern umgekehrt. Dabei appelliert er an sein Publikum, Berührungsängste fallen zu lassen und Datenanalyse nicht länger als „Rocket Science“ zu betrachten, sondern sich selbst aktiv damit zu befassen.
Neben einer Podiumsdiskussion, in der über die potentiellen Gefahren einer digitalisierten Demokratie diskutiert wurde, erhielten die Besucher die Möglichkeit in verschiedenen Panelsitzungen tiefer in Teilbereiche des Themas einzutauchen. Beleuchtet wurden die Bereiche Fake News und politische Kommunikation, Politik und Künstliche Intelligenz (KI) und der datenbasierte Wahlkampf. Dabei gelang es der Konferenz anschaulich zu untermauern, auf welche Größe die Schnittmenge zwischen Politik und Digitalisierung bereits heute angewachsen ist. Diese Größe bedingt in letzter Instanz auch den Bereich, dem aktuell noch am meisten Arbeit bevorsteht. Denn die Definition von ethischen Leitlinien und die Regulierung im Umgang mit einer digitalisierten Demokratie konnten mit den rasanten technologischen Fortschritten bisher kaum Schritt halten und erfordern daher eine aktive Gestaltung.
Titelbild: © D21, bearbeitet.