lmp_web-app_berlinTür-zu-Tür-Wahlkämpfe gelten als effektives Mittel der Wahlwerbung: Wie nicht nur die Kampagnen vor der Präsidentschaftswahl in den USA zeigen, sondern auch immer mehr Wahlkämpfe in Frankreich und Deutschland. Doch wie effektiv sind solche Tür-zu-Tür-Wahlkämpfe, was bringen und was kosten sie?

Im Interview erläutert Guillaume Liegey, CEO des Start-ups Liegey Muller Pons, wie seine Firma datengestützte Haustürwahlkämpfe organisiert und was man mit datenbasierten Kampagnen erreichen kann.

Durch Daten an die richtige Haustür

Herr Liegey, Ihre Firma LMP entwickelt datengestützte Haustürkampagnen. Wie funktioniert das?

Wir stellen Daten und die benötigte Technologie für einen datenbasierten Wahlkampf bereit. Dabei ermitteln wir zunächst, in welchen Wahlbezirken sich ein Tür-zu-Tür-Wahlkampf besonders lohnt und koordinieren die Arbeit der Freiwilligen dann per App. So können die Wahlkämpfer ihre Zeit und ihr Geld effizienter einsetzen.

Warum sind Daten für einen Tür-zu-Tür Wahlkampf wichtig?

Im Wahlkampf hat man immer zu wenig Zeit und Geld. Deswegen muss man zielgerichtet arbeiten, sowohl bei Facebook-Werbungen, auf Twitter, in persönlichen Treffen und eben auch beim Tür-zu-Tür Wahlkampf. Bei letzterem geht es darum, in die Wahlbezirke zu gehen, wo man am meisten bewirken kann, wo viele unentschlossene oder Nicht-Wähler zu finden sind. Dabei sind Roh-Daten alleine nichts wert. Die Kombination aus Daten, der Technologie und den Menschen ist das, was einen guten Wahlkampf auszeichnet.

guillaume-liegey_photo-536x800Guillaume Liegey, Mitgründer und CEO von LMP, einem Unternehmen für Wahlkampagnen- und Daten-Technologie, ehemaliger Kampagnen-Leiter bei François Hollandes Präsidentschafts-Wahlkampf

Welche Daten nutzen Sie?

Wir führen die frei verfügbaren demographische Daten, die Ergebnisse der letzten Wahlen und aktuelle Umfragen zusammen und erstellen anhand dieser Datenbank Prognosen für die einzelnen Wahlbezirke. So kommen wir zu einer Einschätzung, in welchen Wahlbezirken sich ein Tür-zu-Tür-Wahlkampf lohnt – und wo die Wahlkämpfer besser fernbleiben sollten.

Um welche Wählergruppen geht es im Haustürwahlkampf: um Nachbarschaften mit vielen Nichtwählern oder um Nachbarschaften mit vielen unentschlossenen Wählern?

Das hängt vom Kandidat, der Partei und dem Typ des Wahlkampfs ab. Wir erstellen beispielsweise die Prognose “In diesem Wahlbezirk gibt es 10% potenzielle Nichtwähler”. Oder “in jenem Wahlkreis gibt es viele Wähler, die sicher wählen, aber unentschlossen sind, wen sie wählen”. Und dann versuchen wir diese Personen zu überzeugen. Deswegen ist die Strategie, potenzielle Nichtwähler zu mobilisieren und unentschiedene Wähler zu überzeugen.

Die Wahlkämpfer haben also verschiedene Ansätze je nach Typ des Wahlkampfes und Typ des Wählers?

Genau. Im Training lernen sie durch Simulationen, wie sie mit verschiedenen Wählern sprechen. Es gibt drei Fälle. Wir versuchen jede Person, die wir treffen, einen Schritt höher auf der Leiter des Engagements zu bringen. Vom Nichtwähler zum Wähler, vom Wähler zum Unterstützer, und vom Unterstützer zum Freiwilligen.

Was für ein Training bekommen die Freiwilligen?

Das Training ist sehr ähnlich zu dem der Obama-Kampagne in 2008, wo ich als Freiwilliger mit dabei war. Wir haben beispielsweis and viele Türen im Swing State New Hampshire geklopft, dabei viel gelernt und diese Methode adaptiert. Der Training ist sehr praxisbezogen und hat zwei Dimensionen: die Simulation mit den unterschiedlichen Bürgern, und das Kommunikationstraining, bei dem die Freiwilligen lernen auf einer mehr persönlichen und weniger theoretischer Ebene zu sprechen. Bei jemandem der sich von der Politik verlassen fühlt, sollte man keine eine abstrakte Rede über Steuergerechtigkeit halten, sondern lieber eine persönliche Geschichte erzählen, die an den Bürger appelliert.

“3-5 Prozent zusätzlich”

In der letzten Zeit wurde viel darüber diskutiert, welchen Einfluss Datenauswertungen auf Wahlen haben. Wie effektiv ist denn die Nutzung von Daten, um wirklich zu einem Wahlsieg zu verhelfen?

Wir haben mittlerweile an über 200 Kampagnen gearbeitet, also haben wir natürlich schon Erfahrung darin gesammelt, wie wir den Effekt evaluieren können. Generell kann einem Kandidaten eine richtig gute Kampagne helfen, 3 bis 5 Prozent zusätzlich zu sammeln, aber nicht mehr. Der Einsatz lohnt vor allem bei Wahlen, wo die Kandidaten um die 5 Prozent auseinander liegen – das sind übrigens sehr viele Wahlen. Bei François Hollande haben wir zum Beispiel eine umfangreiche Auswertung des Effekts seiner Tür-zu-Tür Kampagne gemacht. Es gab 80.000 Helfer, die an 5 Millionen Türen geklopft und so 280.000 Stimmen gesammelt haben. Er hätte wahrscheinlich auch ohne diese Stimmen gewonnen, aber so hatte er eben einen größeren Abstand. Also jemand, der dir sagt “kauf das und du gewinnst die Wahl”, ist nicht seriös. Wenn er allerdings sagt “kauf das und du wirst eine bessere Kampagne haben”, dann stimmt das.

Wie teuer ist ein Tür-zu-Tür Wahlkampf?

Generell kosten unsere Technologie und Daten für eine Tür-zu-Tür Kampagne zwischen 5 – 10 Prozent des Kampagnen-Budgets. Für eine französische Präsidentschaftskampagne liegt das Budget bei etwa 20 Millionen, also kostet unsere Arbeit in diesem Falle zwischen ein und zwei Millionen Euro. Dabei bleibt zu bedenken, dass ein Tür-zu-Tür-Wahlkampf im Vergleich zu anderen Kampagnen sehr effektiv ist.

Wie schätzen Sie den Datenschutz in Frankreich ein?

Ähnlich hoch wie in Deutschland, da sind wir sehr stolz drauf. Besonders bei persönlichen Daten, wenn es darum geht herauszufinden, welche politischen Präferenzen die Bürger haben ist Deutschland ebenfalls sehr strikt. Außerdem kann man in Frankreich nicht einfach so Emails an Leute schicken, ohne dass diese vorher zugestimmt haben. Solche Regelungen gibt es auch in Spanien und Italien – die UK ist anders, dort gelten großzügigere Regeln, ähnlich wie in den USA.

Mit Emmanuel Macron haben sie die Bewegung “En Marche!” koordiniert. Was war dabei das Ziel?

Bei “En Marche!” gab es zwei Phasen. Unsere Firma hat Macron geholfen, seine Bewegung zu starten. Die zweite Phase ist der Wahlkampf für die Präsidentenwahl nächstes Jahr.

Macron hat bei null angefangen: Er hatte keine Mitglieder, keine Freiwilligen und keine Mandatsträger. Deswegen war sein erstes Ziel, mit den Bürgern zu sprechen und ihnen zuzuhören. Er wollte die Barrieren der traditionellen Politik brechen, und aus diesem Grund hat er eine Tür-zu-Tür Kampagne außerhalb des Wahlkampfs gestartet. Mit unserer Hilfe haben Macrons Freiwillige 25.000 Gespräche mit Bürgern geführt und an 200.000 Türen geklopft. 6.000 Menschen haben sich seitdem der Bewegung angeschlossen und Macron hat die Ergebnisse im September vorgestellt. Jetzt hat Macron seine Kandidatur für den Wahlkampf bekannt gegeben.

lmp_mobile-app_1 App für die Wahlkämpfer 

 

Welches Ziel will Macron bei der Wahl erreichen?

Macron will seine politische Stärke zeigen. Meiner Meinung nach ist es wirklich sein Ziel die Wahl jetzt zu gewinnen und nicht erst 2022. Dazu fängt er im Februar mit dem eigentlichen Präsidentschafts-Wahlkampf an. Ob er uns wieder engagieren wird, wissen wir noch nicht. Wir sind eine überparteiliche Firma, und unserer Ziel ist es, mit so vielen Parteien und Kandidaten wie möglich zu arbeiten, ausgenommen Rechtsextremisten und Populisten. Ich weiß noch nicht für wen, das diskutieren wir gerade, aber sehr wahrscheinlich für mehr als eine Partei.

Wird Ihre Firma auch bei der Bundestagswahl 2017 tätig?

Unsere Firma sitzt in Paris und London. Wir haben in über 10 europäischen Ländern schon bei verschiedenen Wahlkämpfen geholfen. Deutschland ist das nächste Ziel. Wir sind in Gesprächen und wollen bei der Bundestagswahl 2017 dabei sein.

Das Interview führten Elena Klaas und Thibaud Saint-Viteux.

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