Vermummte Autonome, die auf
Polizeiformationen Steine werfen oder kahl geschorene Neonazis, die die Reichskriegsflagge durch die Städte
tragen…
Sieht so der gängige Auftritt von Extremisten aus? Inzwischen haben sie ihr
Betätigungsfeld erweitert und das Internet für sich entdeckt.

Im Internet tummeln sich weltweit 250 Millionen Menschen, und es werden täglich immer mehr.
Hierzulande surfen ungefähr zehn Millionen Nutzer über die Datenautobahn. Entweder weil sie
einkaufen wollen, weil sie Informationen suchen oder einfach, um sich die Zeit zu vertreiben.

Den technologischen Fortschritt und die zunehmende Verbreitung des Netzes machen sich aber
auch Leute zu Nutzen, deren Gedankengut man eher in längst vergangenen Zeiten vermuten würde.
Deutschtümelnde und andere Blut-und-Boden-Fanatiker oder aber auch Autonome und selbst
ernannte "Tschekisten" greifen seit ein paar Jahren gezielt auf das Internet zurück.
Diese Entwicklung ist nahe liegend: Das Internet ist dezentral organisiert und weltweit
nutzbar. Da es keine einheitliche Rechtslage in den unterschiedlichen Ländern gibt, können
Extremisten ihre Propaganda relative problemlos im Ausland ins Netz stellen, ohne dafür
belangt zu werden.

Auch sind viele Nutzer leidenschaftliche Vertreter einer unbeschränkten Meinungsfreiheit,
und so haben insbesondere amerikanische Bürgerrechtsgruppen die
"Blue Ribbon Campaign"
initiiert. Ihr Erkennungszeichen, ein blaues Band, symbolisiert
den Schutz der Meinungsfreiheit. Besonders vehemente Vertreter dieser Gruppe "spiegeln"
Homepages; sie kopieren bedrohte Seiten ganz oder teilweise, um sie selbst ins Netz zu
stellen – allerdings ohne dass sie automatisch den Inhalt dieser Spiegelungen unterstützen.
In den Genuss einer solchen Aktion kam beispielsweise "radikal", eine in Deutschland
verbotene Publikation aus dem linksextremen Milieu, die über einen niederländischen Server
(XS4ALL) abrufbar war. Nachdem deutsche Online-Dienste auf
Druck der Behörden den Zugang zu dem Server gesperrt hatten, spiegelten eifrige Betreiber
anderer Homepages kurzerhand die "radikal"-Seiten.

Ähnliches widerfuhr dem Revisionisten Ernst Zündel, dessen rechtsextreme "Zündelsite" nach der
Indizierung mehr als zwanzig Mal gespiegelt wurde. Zu den ersten Spieglern zählten
amerikanische Studenten, die diese Homepage mit dem Hinweis "ekelhaft" etikettierten, sie
aber trotzdem kopierten, weil sie jede Art von Zensur ablehnten.

Ein Schwerpunkt linksextremistischer Arbeit liegt in der Nutzung eigener und kommerziell
betriebener Mailboxen und Newsgroups, daneben in der Archivierung politischer Forderungen.
Dadurch erreichen sie eine optimale Verbreitung ihrer Propaganda und können bequem neue
Mitglieder werben oder Mitstreiter besser mobilisieren. Symptomatisch ist das Internetprojekt
"nadir" der so genannten "Informationsgruppe Hamburg", die zur norddeutschen Autonomen-Szene
zählt und mit der internationalen Vernetzung der linksextremistischen Gemeinschaft eine
"linke Gegenöffentlichkeit" kreieren will, um letztlich "die herrschenden Verhältnisse
umzustürzen und alle Ideologien, die diese stützen, anzugreifen".


Ein Übriges tut die schnelle, jederzeit verfügbare Kommunikationsmöglichkeit via E-Mail, die
dank verschiedener Verschlüsselungsverfahren für Strafverfolger und Verfassungsschützer
nicht nachvollziehbar ist. Am gebräuchlichsten ist in diesen Kreisen das bekannte Programm
"Pretty Good Privacy", kurz: PGP. Es arbeitet mit zwei verschiedenen Schlüsseln – einem
öffentlichen, Public Key genannt, und einem privaten, Secret Key – die beide zur Chiffrierung
und Dechiffrierung benötigt werden. Der öffentliche Schlüssel geht an den Empfänger, der
private bleibt beim Absender. Für eine chiffrierte Nachricht benutzt man dann den öffentlichen
Schlüssel des Adressaten, der die Nachricht mit seinem privaten Schlüssel dechiffrieren kann.
Die große Länge der verwendeten Codes garantiert dabei, dass die Nachrichten für Außenstehende
nicht zu entschlüsseln ist. Ein andere Verschlüsselungsmethode bietet das
Steganografie-Verfahren: Die Geheimnachricht wird dabei in einer Wirtsdatei versteckt, etwa
einer Bilddatei, einem Ton- oder einem Videodokument – die Wirtsdatei wird durch dieses
Verfahren nicht beeinträchtigt oder äußerlich verändert.

In einem Bericht kommt das Bundesamt für
Verfassungsschutz
zu dem Schluss: "Linksextremisten präsentieren sich im WWW-Bereich
relativ nüchtern. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Informationsvermittlung und der einfachen
Nutzbarkeit des Angebots." Zusammenfassend stellen die Schlapphüte aus Köln fest: "Die
bisherige Entwicklung zeigt, dass dem Internet auch künftig eine besondere Bedeutung als
Kommunikationsmedium im linksextremistischen Bereich zukommen wird."

Rechtsextreme verfügen über ein umfangreicheres Internet-Angebot. Das
Simon Wiesenthal Center
, das sich mit seinem "Digital Hate Report" der Beobachtung der
rechtsextremen Internetszene widmet, hat mehr als 1400 "problematische Homepages"
identifiziert. Nach ihren Angaben hat sich die Zahl dieser Seiten innerhalb eines Jahres
nahezu verdoppelt.

Dementsprechend findet man nicht nur die größeren rechtsextremen Parteien (DVU, NPD, die
Republikaner) im Netz; daneben machen sich auch rechtsextreme Organisationen und einzelne
Neonazis mit ihren Homepages breit. Wie ihre Antipoden vom linken Rand haben sie sich der
Mitgliederwerbung, -mobilisierung und Propaganda verschrieben; ebenso nutzen sie die
vielfältigen Kommunikations- und Verschlüsselungsmethoden zur ungestörten Vernetzung und
Koordinierung ihrer Organisationen.

Allerdings ist das Internet für sie insofern nützlicher, als sie auf diesem Wege vor allem
junge Menschen ansprechen, die durch die Printmedien kaum zu erreichen wären. Auch Hemmungen
normaler Menschen, sich dem Milieu zu nähern oder sich mit rechtsnationalen Ideen
auseinanderzusetzen, werden nach Einschätzungen des Verfassungsschutzes somit unwichtiger.
Darüber hinaus stellen Rechtsextreme ihre Seiten häufig über Server in den Vereinigten
Staaten ins Netz. Dem Zugriff deutscher Behörden entzogen, können sie die ganze Palette ihrer
Agitation anbieten. Üblicherweise finden sich dort Downloads gewaltverherrlichender
Computerspiele mit rechtsextremen Hintergrund (z.B. "Wolfenstein" oder "KZ Manager"),
Propagandaliteratur, darunter die Hitler-Bibel "Mein Kampf" und Texte so genannter
Revisionisten, die den Holocaust wortreich leugnen, ferner Musik verbotener Skinhead-Bands
mit einschlägigen Texten. Dazu gehören unter anderem die Seiten der
"Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei/Auslands- und Aufbauorganisation"
(NSDAP/AO) des zwischenzeitlich inhaftierten Gary Lauck oder die "Zündelsite" des bekannten
deutsch-kanadischen Revisionisten Ernst Zündel.

In den USA konnte jedoch vor zwei Jahren die anonym ins Netz gestellte Seite "Der arische
Ansturm" stillgelegt werden. Dort waren neben der üblichen Propaganda auch präzise deutschsprachige
Anleitungen zur Sprengstoffherstellung und zum Bombenbau zu finden. Die entsprechenden
Chemikalien konnte die Polizei beim schließlich enttarnten Betreiber sicherstellen.

Eine Sonderkategorie stellen die Skinhead-Organisationen dar, die ja gerne allzuoft in eine
Topf geschmissen werden. Viele der Sites konzentrieren sich weniger auf die offene
Propagierung ihrer politischen Ziele; vielmehr bemühen sie sich um die
Verbreitung der Szene-Musik und der entsprechenden Bekleidung. Jedoch gibt es auch hier
Internationale Organisationen wie die neonazistische "Hammerskin"-Bewegung oder die
"Blood & Honour"-Bewegung, die bedeutendsten ihrer Art. Sie sind besonders mit der deutschen
Szene verflochten und über US-Provider abrufbar. – Als besonders beunruhigend werten
Verfassungsschützer die hohen Zuwachsraten solcher Seiten und deren besondere grafische und
inhaltliche Qualität.

Bezeichnend ist die erschreckend-optimistische Haltung von "Blood & Honour": "Das Internet
hat mehr zu unserer Vereinigung beigetragen als irgendein Pamphlet, das jemals gedruckt
worden ist. Deine Waffenbrüder sind lediglich einen (Maus-) Klick entfernt! Obwohl die ZOG
[gemeint ist die angeblich zionist occupied government,
also zionistisch beherrschte Regierung] verzweifelt versucht, des unsichtbaren Imperiums
des Nazi-Netzwerkes Herr zu werden, gibt es nur wenig, was sie tun können, um es zu stoppen."
Dies bleibt abzuwarten.