Andrea WongWeißrussland gilt als letzte Diktatur Europas. Eine mögliche Öffnung in Richtung Europa liegt in weiter Ferne, und auch um die Meinungsfreiheit im Internet ist es in der ehemaligen Sowjetrepublik schlecht bestellt. Seit einer Gesetzesänderung im Januar 2012 haben viele Regimekritiker sich aus dem Netz zurückgezogen. Ein Überblick über die aktuelle Situation.
Während die Opposition in Russland das Internet aktiv für die politische Meinungsbildung nutzt und sich dieser Trend auch in der Ukraine rasant entwickelt, fehlt es in der ehemaligen Sowjetrepublik Weißrussland an einem organisierten Widerstand. Wer sich gegen die Regierung stellt, muss mit großen Schwierigkeiten rechnen, so der Osteuropa-Experte Denis Friedrich von der Freien Universität Berlin. Der Politikwissenschaftler stammt selbst aus der ehemaligen Sowjetrepublik und ist Mitglied der Deutsch-belarussischen Gesellschaft sowie des gemeinnützigen Vereins Menschenrechte in Belarus e.V., der sich für die Menschenrechte in seiner Heimat einsetzt.
Regierungsgegnern werden Aufstiegschancen im Beruf verwehrt, ebenso kommt es vor, dass sie von Universitäten ausgeschlossen werden. Ganz zu schweigen von erfolgreichen Parteiführern und Präsidentschaftskandidaten der Opposition, die mit hohen Gefängnisstrafen rechnen müssen. Wie Alexander Kasulin, der im Jahr 2006 gegen den seit 1998 regierenden Alexander Lukaschenko antrat. Er wollte Lukaschenkos Wiederwahl nicht akzeptieren und wurde wegen „schweren Rowdytums“ zu fünfeinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt. 2008 kam er jedoch unter Druck der Europäischen Union wieder frei. Auch die Präsidentschaftswahlen 2010 gingen mit Gewalt und Repressionen einher. Nikolaj Statkewitsch war einer der Kandidaten und sitzt noch immer im Gefängnis, zwei weitere Kandidaten leben im Exil.

Ein isoliertes Land

Weißrussland hat knapp 9,5 Millionen Einwohner und grenzt an Polen, die Ukraine, Russland, Lettland sowie Litauen. Von den Regenten der ehemaligen Sowjetrepubliken ist der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko der einzige, der noch an der sowjetischen Ordnung festhält. Nach seiner Wahl zum Präsidenten Weißrusslands führte er sowjetische Staatssymbole wieder ein, distanzierte sich vom Westen und den Reformen in den ehemaligen Sowjetrepubliken, die das Ergebnis der KSZE/OSZE-Prozesse und der Charta von Paris für ein neues Europa 1990 waren. Die Welle von Privatisierungen in Weißrussland ebbte im Jahr 1994 mit dem Amtsantritt Lukaschenkos ab. Die letzten Präsidentschaftswahlen 2010 läuteten die vierte Amtszeit Lukaschenkos ein. Das Land ist innerhalb Europas isoliert; wirtschaftlich und politisch hängt es immer noch stark von Russland ab.
Lukaschenko geht seit einem Jahrzehnt gezielt gegen regierungskritischen Politiker und Medien vor und hat die Opposition im eigenen Lande mehr oder weniger „ausgeschaltet“. Der ehemalige deutsche Außenminister Guido Westerwelle nannte Lukaschenko öffentlich den „letzten Diktator Europas“. 1997 stoppte die EU die Unterzeichnung des ausgehandelten Partnerschafts- und Kooperationsabkommens (PKA) mit Weißrussland. Der Grund: Lukaschenko hatte eine Reihe umstrittener Referenden durchgesetzt. So konnte er seine Befugnisse als Präsident ausweiten und die des Parlaments einschränken. Außerdem führte er die Todesstrafe wieder ein. Um weiterhin Druck auf das Regime auszuüben, verhängte die EU 2012 Sanktionen gegen Weißrussland. Das Auslandsvermögen der weißrussischen Führungsmitglieder, darunter auch von Präsident Lukaschenko, wurde eingefroren.
Dennoch unterhält Deutschland heute weiterhin kulturelle, politische und wirtschaftliche Beziehungen zu Weißrussland. Wie der Belarus-Experte Friedrich betont, gibt es in Weißrussland eine starke Zivilgesellschaft und eine Vielzahl qualifizierter Arbeitskräfte. Allerdings bedürfe es dringender Reformen, sowohl im Bildungssystem als auch in der Wirtschaft. Die Öffnung Weißrusslands gegenüber der EU würde das Land wirtschaftlich stärken und die Lebensstandards der Bevölkerung erhöhen. Dass das politische System für Andersdenkende verschlossen bleibt, liege unter anderem auch an der Mentalität der Machthaber.

Zensur und Kontrolle im Internet

Neue Weltanschauungen und Erwartungen entstehen dabei durch einen ständigen Informations- und Meinungsaustausch. Bekanntlich übernehmen die Medien diese Rolle. In Anbetracht der Tatsache, dass 4,4 Millionen Weißrussen, also knapp die Hälfte der Bevölkerung, Zugang zum Internet hat und die Zahl der Nutzer von Jahr zu Jahr wächst, stellt das Internet eine effektive Kommunikationsplattform dar. Allerdings hat die Regierung auch hier vorgesorgt.Vor zwei Jahren, am 6. Januar 2012, trat ein Gesetz in Kraft, das die Meinungsfreiheit im Internet massiv einschränkt. Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass jede Person, die das Internet in einem öffentlichen Internet-Café oder über eine gemeinsame Leitung nutzt, sich ausweisen muss und dass die entsprechenden Surfprotokolle für ein Jahr gespeichert werden müssen, berichtet das Datenschutzportal unwatched.org.
Das Gesetz hatte zur Folge, dass wichtige Informationsträger, die in der Vergangenheit Verbrechen und Missstände des Regimes aufgedeckt hatten, aus dem Netz gegangen sind. Dazu gehören die Facebook-Gruppe „Verbrecher in Zivil gesucht“ und diverse Blogs von Regimekritikern. Die Internetprovider müssen für das Surfverhalten und die Aktivitäten ihrer Kunden Rechenschaft ablegen. Jedem Unternehmen, das seine Inhalte nicht auf weißrussischen Servern hostet, wird die Internetpräsenz verweigert, heißt es weiter auf der Website von unwatched.org. Rechtsträgern und Unternehmern, die gegen das Gesetz verstoßen, drohen Bußgelder.
Denn die Provider sollen die Nutzung ausländischer Websites überwachen und den Behörden regelmäßig darüber berichten. Die staatliche Aufsichtsbehörde für Elektronische Kommunikation hat zudem eine Liste zu sperrender Seiten erstellt. „Websites wie die Nachrichtenseiten Charter97 und Belaruspartisan sowie der Blog des Humoristen Yauhen Lipkovich, die der Regierung oder dem Präsidenten kritisch gegenüber stehen, befinden sich bereits auf der Sperrliste“, heißt es auf unwatched.org. Mitarbeiter in öffentlichen Verwaltungen haben keinen Zugang zu diesen Seiten, vom privaten PC aus sind sie aktuell aber noch erreichbar.
Nicht zuletzt aufgrund dieser Bestimmungen befindet sich Weißrussland nicht nur im Jahresbericht „Feinde des Internets“ der Organisation Reporter Ohne Grenzen (ROG) auf der Liste jener Staaten, die „unter Beobachtung“ stehen, sondern nimmt zudem im Index der Pressefreiheit 2013 Platz 157 von insgesamt 178 Ländern ein. Reporter ohne Grenzen bezeichnet die Lage im Land seit Jahren unverändert als „besorgniserregend“.
Ob das Land sich irgendwann dem Westen öffnen wird? „Das weiß ich nicht“, sagt Denis Friedrich. „Aber es kann schneller kommen, als man denkt. Eine Modernisierung der weißrussischen Wirtschaft ist aber nur in Zusammenarbeit mit den Ländern der EU möglich.“
2011 hatte Weißrussland vor einem Staatsbankrott gestanden. Die Inflation war so stark angestiegen, dass der Euro rund 7.000 weißrussische Rubel wert war. Die Menschen protestierten auf den Straßen und zerrissen demonstrativ Rubelnoten. Belarus entkam dem finanziellen Aus nur dank eines millionenschweren Kredits der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die Beziehungen zu Russland sind jedoch seit einigen Monaten angespannt. Der Grund war die Verhaftung des russischen Oligarchen Wladislaw Baumgertner. Letzterer soll Weißrussland Verluste in Höhe von 100 Millionen Dollar beschert haben. Zwar wurde Baumgertner Ende November wieder freigelassen, doch die Situation zwischen den Bruderstaaten bleibt belastet. Ob die Verschlechterung der Beziehungen zu Russland jedoch eine Öffnung in Richtung Europa nach sich zieht, steht in den Sternen.
Bild: (C) Andrea Wong
Buch-Cover von Marina Weisband
 

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