Fünf europäische Kandidaten für die
ICANN@Large Wahlen
stehen bereits fest, nun gehen die Wahlvorbereitungen in die nächste
und letzte Runde. Insgesamt zwei Kandidaten können nämlich noch nachnominiert werden,
vorausgesetzt, sie schaffen es, 2% der Stimmen ihrer
Region für sich zu gewinnen.

Für diese 2%-Aspiranten wie auch für die endgültigen Kandidaten, die nach dem Wahlkampf im
September dann auf Stimmen hoffen, stellt sich ein Problem: Nicht jeder kennt sie. Und so hat
der durchschnittliche registrierte ICANN-Wähler die Qual der Wahl. Ist der mazedonische
Kandidat vielleicht doch besser in der Lage, europäische Interessen beim "Straßenverkehrsamt"
des Internets zu vertreten, als ein Deutscher? Was macht der Norweger und welche Ziele
verfolgen die französischen Kandidaten? Um etwas mehr Transparenz zu schaffen,
wird politik-digital die bereits feststehenden Kandidaten
vorstellen
.

Die Auswahl der ersten fünf Kandidaten erfolgte Anfang August durch das
ICANN-Board in Kalifornien und
wurde selbst in Fachkreisen von Kopfschütteln begleitet. Nicht dass die Kandidaten ungeeignet
wären, im Gegenteil. Unverständnis rief vielmehr die Dominanz von großen Wirtschaftsunternehmen, denen die
meisten Kandidaten angehören, hervor. Unverständnis deshalb, weil die Industrie bereits mit 9 Direktoren im
ICANN-Board vertreten ist und die fünf neuen Direktoren eigentlich die Nutzer ihrer Wahlkreise repräsentieren sollen.

Die deutsche Telekom ist durch
Winfried Schüller vertreten, der dort den Bereich IP-Services leitet und sich als Projektleiter
um die nächste Internet-Generation kümmert.
France Telekom ist mit
Olivier Muron im Rennen , der seit 1998
im Forschungs- und Entwicklungsbereich von France Telecom tätig ist. Maria Livanos Cattaui ist Generalsekretärin
der Internationalen Wirtschaftskammer in Paris und die
einzige Frau im Kreise der Kandidaten weltweit.
Alf Hansen
aus Norwegen ist bei der norwegischen Abteilung der Domainverwaltung
Uninett, der Mazedonier Oliver B. Popov lehrt
als Professor in Skopje und ist treibender
Community-Motor seines Heimatlandes.

An fachlichem Know-how fehlt es den Kandidaten sicher nicht, ob sie die nötige Unabhängigkeit
mitbringen, darf zumindest bezweifelt werden. Professor Kleinwächter, Universität Leipzig, ist
ICANN-Experte und Realist. Die Auswahl der fünf europäischen Kandidaten hat ihn zwar überrascht,
folge jedoch einer klaren Logik: Es seien vor allem "Insider" nominiert worden,
Internetspezialisten, die dem ICANN-Board bereits seit längerem bekannt seien. So sei Winfried
Schüller bereits seit einem Jahr bei ICANN involviert und habe bei den stattfindenden Treffen
Präsenz gezeigt. Die Grundphilosophie des Boards sei es überdies, die Wirtschaft stark
vertreten zu sehen. Dass dabei die Nutzer unter den Tisch fallen könnten, findet auch Professor
Kleinwächter bedauerlich. Allerdings warnt er vor übertriebener Panik:
"Ob die Wirtschaft auf diesem Weg Einfluss bekommt, darf bezweifelt werden. Schließlich
kandidieren alle Nominierten als Unabhängige." "Außerdem", fügt er an, "wird es jetzt bei der
Nachnominierung noch mal richtig spannend."

Dass das ICANN-Board in der Telekommunikationswirtschaft einen starken Lobby-Partner sieht,
liegt auf der Hand. Offen zugegeben wird dieser Kurs aber nicht.
Unsere Nachfrage zu den Kriterien der Kandidatenwahl bei ICANN selbst wurde diplomatisch
abgewehrt. Linda Wilson, Mitglied des Direktoriums, verwies lediglich auf die
Kriterien und das
Komitee, die ICANN zu Beginn der ersten
Nominierungsphase publiziert hatte.

Auch in den anderen
ICANN-Regionen
beherrschen Kandidaten mit wirtschaftlichem Hintergrund das Bild. So ist
der einzige Japaner, der mit dem asiatisch-pazifischen Raum das wohl größte
aktive Wählerpotential hinter
sich versammelt, der General Manager von Fujitsu Ltd. in Washington D.C.

Die Notwendigkeit nun in der Phase der Selbstnominierungen, die noch bis zum 31. August
andauert, verstärkt unabhängige Kandidaten zu stützen, sieht auch Jörg Tauss (SPD),
Vorsitzender des Unterausschusses Neue Medien. "Noch ist alles im Fluss" meint er und spricht
offen die Hoffnung aus, dass nun noch Kandidaten aus der Wissenschaft den Sprung auf die
Liste schaffen.

Freiwillige vor: an willigen Kandidaten aus deutschen Landen mangelt es nicht. Zur Zeit
stellen sich 31 Kandidaten aus Deutschland
und der Schweiz zur Wahl. Um den Sprung auf die Liste zu schaffen, brauchen sie jeweils 718
Stimmen aus mindestens zwei europäischen Ländern. In dieser Wahlphase wird sich zeigen, ob die
knapp 36.000 registrierten Wähler in Europa auch von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen. Die deutschen
und schweizer Kandidaten der Selbstnominierung werden auf den ICANN@Large Seiten vorgestellt:

Thomas Bandholtz,
Jörg Clausen,
Hans Peter Dittler,
Lutz Donnerhacke,
Michael Esser
Jean-Marie Fiechter (Schweiz) ,
Andreas Fuegner,
Bertram Gebauer,
Markus Helfrich,
Oliver Hellriegel,
Jeanette Hoffmann,
Reinhard Hund,
Peter Imfeld (Schweiz) ,
Florian Korff,
Karl Kramer,
Marc Lehmann,
Jakob Lindenmeier,
Andy Müller-Maguhn,
Rolf Oberhänsli (Schweiz) ,
padeluun,
Roland Portig,
Gustav Quade,
Sabine Reul,
Roland Scharch,
Christian Schultz,
Klaus-Peter Schulze,
Carlo Scollo Lavizzari,
Michael Straub,
Florian H. Th. Wegelein,
Rena Tangens,
Oliver Thuns,
Wolfgang Tolle,
Axel Zerdick,
Stefan Zotschew

Seit dem 15. August können die registrierten Wähler ihre
Stimmen für die Selbst-Nominierten
abgeben.
Zur Stunde liegt ein deutscher Kandidat klar vorne: Andy Müller-Maguhn, Sprecher des
Chaos Computer Clubs, hat die anderen europäischen
Selbst-Nominierten klar abgehängt. Mit bereits über 800 Stimmen hat er die meisten anderen Kandidaten weit
hinter sich gelassen. Ernsthafte Verfolger sind zur Zeit lediglich Jeanette Hoffmann vom Wissenschaftszentrum
und Lutz Donnerhacke von der FITUG.

Wenn am 31. August die Frist für die Selbstnominierung abläuft, werden die sieben europäischen
Kandidaten in den Wahlkampf starten. Im Oktober werden sich dann weltweit rund 150.000 vorab
registrierte Wähler an die digitalen Urnen begeben.