fdp artikelbildMit der Nutzung sozialer Medien vernetzen sich auf der ganzen Welt täglich immer mehr Menschen. Sie teilen Inhalte, treten in direkten Kontakt und knüpfen sogar transkontinentale Freundschaften. Länderspezifisches Essen, Mode, Sitten und Bräuche werden miteinander geteilt. Dadurch wird die kulturelle Identität beeinflusst.

Zu Beginn stellt sich die Frage: Was ist kulturelle Identität? Hierfür ist es angebracht, zunächst die Worte Kultur  und Identität separat zu betrachten. Der britische Anthropologe Edward B. Tylor definiert Kultur als „ein komplexes Ganzes, welches Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Gesetze, Sitten und andere Fähigkeiten und Gewohnheiten, erworben von den Mitgliedern der Gesellschaft, beinhaltet.“ Identität meint, laut den Pädagogen Peter Köck und Hanns Ott, die Übereinstimmung eines Individuums mit sich selbst. Es sei ein dynamisches Selbstkonzept, welches sich stets durch äußere Einflüsse verändere und neu formiere. Beide Definitionen zusammengeführt meint kulturelle Identität folglich die Übereinstimmung des Selbst mit sich selbst und den äußeren Faktoren, welche eine Gesellschaft ausmachen.

Kulturelle Identität ist nicht statisch

Der traditionelle Kulturbegriff, der einst von dem einflussreichen Philosophen Johann Gottfried Herder geprägt wurde, ist längst überholt und nicht mehr alltagstauglich. Jenes Modell besagt nämlich, dass Kulturen – ähnlich wie Kugeln – ihren Schwerpunkt in sich selbst tragen und nach außen hin klare Grenzen vorweisen. Jede Kultur sei demnach homogen und durch eine eindeutige kulturelle Identität gekennzeichnet, so Herder. So wenig wie sich Kugeln vermischen können, können Kulturen miteinander verschmelzen. Herders Modell erlaubt den Gedanken an friedlich nebeneinander lebenden Kulturen, der Multikulturalität. Kulturen sind, laut seiner Theorie, statisch und unveränderbar.

Ein modernerer Ansatz ist das Konzept der hybriden Kulturen nach dem indischen Kulturwissenschaftler Homi K. Bhabha. Zentraler Gedanke seiner Theorie ist die Annahme, dass Kulturen zutiefst dynamisch und fluide sind und deren Veränderung stark von äußeren Faktoren abhängig ist. Beim Zusammentreffen von Kultur A und Kultur B entsteht demnach eine Schnittstelle – ein hybrider Raum – nämlich Kultur C. Kultur C als Mischung aus den beiden Ursprungsformen ist an sich ebenfalls sehr dynamisch und kann beispielsweise mit Kultur D gemeinsam einen neuen, hybriden Raum schaffen. Dies kann beliebig weitergeführt werden.

Die Theorie der hybriden Kulturen passt gut in unsere globalisierte, schnelllebige Welt und beeinflusst automatisch damit auch die individuelle Identität. Denn was wir essen, wie wir uns kleiden und Feste feiern, hat Einfluss auf die Formung unserer individuellen Identität. Die Entstehung neuer Kulturräume beeinflusst unsere Identität. Aber auch persönliche Erfahrungen, die wir beispielsweise in anderen Ländern gesammelt haben, fließen in unsere Kulturen mit ein und beeinflussen diese. So können zum einen Kultur und Identität als eine Art sich gegenseitig beeinflussende Pole betrachtet werden. Zum anderen kann festgehalten werden, dass die Identifikation mit der Kultur, die kulturelle Identität, ein stetiger Anpassungsprozess von äußeren und inneren Einflüssen ist.

Gefährdung der kulturellen Identität durch Social Media?

Jeder kennt die Situation: Man ist in einem anderen Land und lernt dort lebende Menschen kennen. Um nach dem Zusammentreffen weiterhin miteinander in Kontakt bleiben zu können, verbindet man sich über Social Media Plattformen wie Facebook, Instagram oder Twitter. Fortan bekommt man die Möglichkeit, Beiträge dieser Personen zu sehen und somit auch einen Einblick in andere Kulturen zu erhalten. Ist die kulturelle Identität tatsächlich gefährdet, wenn Nutzer sozialer Medien in aktive oder passive Interaktion mit Menschen aus der ganzen Welt treten?

Der Ethnologe Nils Zurawski stellt in seinem Werk „Virtuelle Ethnizität“ zunächst fest, dass eine Wechselwirkung zwischen der Online- und der Offline-Welt besteht: Selbstgewählte Identitäten aus dem Internet werden in die Offline-Welt integriert. Aber auch Inhalte aus der analogen Welt finden Zugang zu der Online-Welt. Bezogen auf die oben dargestellte Situation bedeutet dies: Eine Person kann die eigene kulturelle Identität auf den Social Media Plattformen präsentieren, also Werte aus dem Offline-Bereich online stellen. Genau dieselbe Person kann aber auch Beiträge zur kulturellen Identität anderer Personen konsumieren und in seine eigene analoge Welt übertragen. Somit beeinflussen soziale Medien sehr wohl die kulturelle Identität einer Person oder sogar einer Gemeinschaft. Dies muss nicht zwangsläufig mit einem Verlust der eigenen kulturellen Identität einhergehen. Vielmehr bietet das Zusammenspiel des kulturellen Austausches aus der Online- und Offline-Welt eine gute Voraussetzung für die Entwicklung einer großen Anzahl kleinster hybrider Räume. So kann eine Person aus Dänemark sich mit einer Person aus Thailand aktiv vernetzen und kulturell austauschen. Sie erschaffen in ihrer Interaktion einen hybriden Raum – die dänisch-thailändische Kultur. Natürlich ist der hybride Raum zutiefst dynamisch, wandlungsfähig und meistens temporär angesetzt. Aber sowohl die Person aus Dänemark, als auch die Person aus Thailand werden durch ihre gemeinsame Interaktion beeinflusst und können den Einfluss in die Offline-Welt übertragen.

Hybride Kulturen im Social Media

Die Vernetzung über soziale Medien hebt die Entstehung hybrider Kulturen auf eine andere Ebene. Während vorher Menschen nur offline miteinander in Kontakt getreten sind und sich ausgetauscht haben, kann dies nun auch digital geschehen. Die Quantität steigt hierbei enorm: Durch die passive Interaktion (beispielsweise wenn eine Person öffentlich postet und eine andere Person die Posts nur wahrnimmt, aber nicht direkt darauf reagiert) ist die Informationsflut auf sozialen Medien bei weitem größer als im analogen Leben.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die vermehrte Nutzung sozialer Medien zwar eine Veränderung in der Umgangsweise der Menschen miteinander provoziert und demnach auch die kulturelle Identität auf eine neue Art beeinflusst. Veränderung bedeutet jedoch nicht automatisch Verschlechterung oder sogar Bedrohung der kulturellen Identität. Vielmehr kann festgehalten werden, dass sich nach wie vor Menschen mit ihrer eigenen kulturellen Identität zusammenfinden und austauschen. Die Entstehung neuer hybrider Räume findet nun jedoch nicht nur offline statt, sondern auch online. Welche tiefgehenden Veränderungen in der kulturellen Identität dieser Wandel mit sich bringt, bleibt eine spannende Frage, die in der Zukunft weiter erörtert werden muss.

Titelbild: unsplash.com by Paul Carmona CC0

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