E-Mails sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Aber was passiert eigentlich, wenn der Adressat der Elektropost stirbt? Wer darf sie dann lesen?

Der neue Supercomputer, mit dem man e-Mails selbst im Sarg vier Meter unterhalb der Grasnarbe noch empfangen kann, existiert zwar momentan nur in der Fantasie der Komiker der NDR-Radioserie „Stenkelfeld“. Doch nachdem Internet-Nutzer oft schnelllebig, aber nicht immer langlebig sind, stellt sich die Frage, wie rechtlich mit e-Mails zu verfahren ist, wenn der Inhaber der Kennung stirbt. Ein Problem, mit dem sich bislang offenbar niemand näher beschäftigt hat, wie Nachfragen bei Providern und Juristen zeigen.

T-Online-Kunden leben länger: Pressesprecher Michael Schlechtriehm weiß von keinem einzigen Todesfall unter den knapp zehn Millionen Nutzern, bei dem es zu Problemen mit der elektronischen Post gekommen sei. Grundsätzlich leite Deutschlands größter Provider Mails an die Angehörigen weiter oder schließe auf deren Wunsch den Account, wenn die Familie T-Online über den Tod des Kunden schriftlich benachrichtigt hat. Das gilt für Mails, die bis zu 30 Tage lang nicht abgerufen wurden. Geöffnete Mails werden automatisch auf dem Server gelöscht. Wer als Erbe zunächst nicht an die Benachrichtigung denkt, weil er nicht wusste, dass und bei welchem Provider der Verstorbene eine Kennung hatte, wird durch die Telefon-Rechnung der Telekom darauf aufmerksam. Denn über sie werden die T-Online-Kosten abgebucht.

Die Berechtigung des Erben, die Elektropost des Toten zu lesen, bejahen Juristen für den Regelfall. „Der Erbe ist Gesamtrechtsnachfolger und darf daher grundsätzlich e-Mails des Erblassers lesen“, sagt Gregor Scheja, Anwalt und Mitarbeiter am Institut für Rechtsinformatik der Uni Hannover. „Mails sind rechtlich analog zur Briefpost zu bewerten. Wenn der Erblasser allerdings Verfügungen über seine Post oder Mails getroffen hat, dann sind diese zu beachten.“

Rechtswidrig ist demnach die Praxis von AOL, weder dem Nachlassverwalter noch der Familie Zugriff auf ungelesene Mails zu ermöglichen. Ebenso wie Konkurrent T-Online löscht AOL im Übrigen elektronische Post, die nach 30 Tagen noch nicht abgerufen wurde. Geöffnete Mails sind rechtlich unproblematisch, denn sie lagern dann auf der Festplatte des Nutzers, die ohnehin zum Nachlass gehört. „Entscheidend ist, ob die Erben berechtigterweise auf der Suche nach Informationen sind. Im Regelfall wird der Erbe ein berechtigtes Interesse geltend machen können, denn e-Mails und Briefpost können ihm dabei helfen, den nötigen Überblick über das Vermögen des Verstorbenen zu gewinnen“, erklärt Henrik Angster, Anwalt und Online-Rechtsexperte der Kanzlei esb in Stuttgart. Gegenüber dem Provider könnten erbrechtliche Auskunftsansprüche geltend gemacht werden. Auf verschlüsselte Mails hingegen habe der Erbe kein Zugriffsrecht. Nach Auskunft des Jura-Lehrstuhls von Professor Klaus Röhl an der Ruhr-Uni Bochum kann sich der Absender gegenüber den Erben nicht auf den Schutz des Briefgeheimnisses berufen, denn nach dem Versenden hat er keine Verfügungsgewalt mehr über die Nachricht.

Sehr formell hält es Freemail-Anbieter web.de: Im Todesfall fordert man von den Angehörigen die Sterbeurkunde. Daraufhin wird das Freemail-Konto inaktiviert. Wenn die Erben Einsicht nehmen wollen, müssen sie den Erbschein vorlegen. Danach erhalten sie ein neues Passwort, mit dem der volle Zugriff auf die Mails möglich wird. Das Freemail-Konto ist auf 500 Mails begrenzt. Weitere Mails werden automatisch an den Absender zurückgeschickt.

Einen Ausweg für verunsicherte Provider halten die Juristen offen: Sie empfehlen, in den e-Mail-Account-Vertrag mit dem Kunden einen Passus aufzunehmen, in dem man festhält, wie mit Mails nach dem Tod des Nutzers zu verfahren ist.

Erschienen am21.08.2003

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