Ob Hessen, Sachsen oder Baden-Württemberg – Ein Großteil peripherer Räume ist mit der Bevölkerungsabwanderung in urbane Gebiete konfrontiert. Landbewohner*innen suchen das Stadtleben auf, um unter anderem die Vielfalt der Berufsmöglichkeiten zu nutzen. Digitalisierung könnte einen Weg aufzeigen, dem entgegenzuwirken. Welche digitalen Möglichkeiten gibt es, den Standort „Land“ für Unternehmen attraktiver zu gestalten?

Seine Kindheit in einem Dorf zu verbringen hat große Vorteile. Der geringe Verkehrsfluss ermöglicht, die Straße vor der Haustür in ein Kreidekunstwerk zu verwandeln, der Wald gleicht einem riesigen Abenteuerspielplatz, und die frische Luft ist die beste Medizin für die kindliche Gesundheit.

Für Erwachsene und Arbeitnehmer*innen kann das Landleben eine enorme Last bedeuten. Eine Großzahl an Arbeitsplätzen ist in Ballungsgebieten zu finden, sodass lange Pendelwege für viele Landbewohner*innen zum Alltag gehören. Wegen geringer Nachfrage sind die Busverbindungen unregelmäßig und der wöchentliche Einkauf nur mit einem Auto möglich. Auf dem Land zu wohnen, fordert eine umfangreiche Planung, Spontanität ist ohne Auto schlichtweg unmöglich und Stress gehört zum Alltag einer jeden Familie. Oft entscheiden sich Familien deshalb dazu, dass ruhige und naturnahe Landleben hinter sich zu lassen, um in Städten ein neues Leben zu beginnen. Viele Schulen müssen schließen, Geschäfte gehen wegen zu geringer Nachfrage insolvent und der fehlende Breitbandausbau hält zukunftsorientierte Unternehmen ab, sich dort anzusiedeln.

Demografischer Wandel und selektive Abwanderung

Im Jahr 2000 wohnten 15,5% der deutschen Bevölkerung in Großstädten, bis zum Jahr 2030 könnte die Zahl laut dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) auf 19% anwachsen, Tendenz steigend. Bessere Bildungschancen, mehr Arbeitsplätze, gesundheitliche Versorgung und Mobilität sind Beweggründe für den Zuzug in die Städte. Bis zum Jahr 2050 könnte der demografische Wandel in Deutschland zu einem Einwohnerverlust von 12 Millionen Menschen führen. Ländliche Regionen sind davon besonders stark betroffen. Hinzu kommt, dass immer mehr Menschen in die Städte ziehen und das ruhige Landleben hinter sich lassen.

Man kann schon von einem Teufelskreis sprechen: Wegen geringer Nachfrage auf dem Land, melden ansässige Unternehmen die Insolvenz an oder verlegen ihren Standort in Ballungsgebiete. Die Zahl der Arbeitsplätze sinkt und junge Menschen suchen ihr Glück und eine*n Arbeitgeber*in in der Stadt auf. Durch den Einwohnerverlust nehmen die Kaufkraft und die Attraktivität der Region ab. Durch den Rückgang gut ausgebildeter Arbeitnehmer*innen sinken die Steuereinnahmen und somit die Investitionsbereitschaft der Kommunen. In diesem Zusammenhang wird von einer „selektiven Abwanderung“ gesprochen. Die Wahrscheinlichkeit in urbane Gebiete zu ziehen ist bei jungen, gut ausgebildeten Menschen höher als in anderen Gruppen.

Der Breitbandausbau stockt

Da sich die Arbeitsweise in vielen wirtschaftlichen Bereichen ändert, kann Digitalisierung ein Lösungsweg gegen die Landflucht aufzeigen. Viele Arbeitnehmer*innen benötigen nicht viel mehr als einen Computer und eine schnelle Internetverbindung zum Ausüben ihrer Tätigkeit. Die Niederlassung eines Betriebs in urbane Gebiete, ist in vielen Fachbereichen nicht mehr zwingend notwendig. Die digitale Transformation ermöglicht, Erledigungen, Einkäufe, aber auch geschäftliche Angelegenheiten über den Laptop zu steuern.

Unternehmen in Ballungsgebieten profitieren von Internetverbindungen von bis zu 50Mbit/s. Zum Alltag mittelständischer Unternehmen in ländlichen Regionen gehören Downloadgeschwindigkeiten von unter 10 Megabit pro Sekunde. Die Bereitstellung einer zuverlässigen und schnellen Internetverbindung könnte für ländliche Räume von großem Nutzen sein, da diese ein wichtiger Standortfaktor für Unternehmen ist. Aber nicht nur Unternehmen würden von schnelleren Verbindungen profitieren, auch Landbewohner*innen können sich entscheiden, ob sie vom heimischen Schreibtisch oder im Unternehmen arbeiten wollen.

In vielen peripheren Regionen in Deutschland muss der Breitbandausbau vorangetrieben werden. Das Problem: Ohne öffentliche Fördergelder besteht für private Telekommunikationsanbieter kein Anreiz, große Flächen mit Glasfaserleitungen auszustatten. Die einzelnen Kommunen müssen selbst handeln, wofür sie oftmals nicht das nötige Geld besitzen.  „42 % aller deutschen Unternehmen mit Zugang zum Internet und mindestens 10 Beschäftigten verfügten im Jahr 2017 über einen schnellen Internetanschluss“, gab das statistische Bundesamt in einer Pressemitteilung bekannt. Weniger als die Hälfte aller deutschen Unternehmen haben eine auszureichende Internetverbindung.

Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung heißt es: „Wir wollen den flächendeckenden Ausbau mit Gigabit-Netzen bis zum Jahr 2025 erreichen“. Eine ähnliche Äußerung formulierte Peter Altmaier von der CDU bereits einige Jahre zuvor, in der es hieß: „Bis zum Ende des Jahres 2018 soll eine flächendeckende Versorgung von 50 Megabit die Sekunde gewährleistet werden. Wir wollen in den nächsten vier Jahren, die bürger- und anwenderfreundlichste öffentliche Verwaltung in ganz Europa werden.“ Eingehalten wurde das Ziel aber bisher nicht.

Neue Arbeit und neue Ideen: Coworking Spaces auf dem Land

Digitalisierung kann der Landflucht etwas entgegensetzen. Dieser Fortschritt muss genutzt werden, um auf dem Land erfolgreich zu wirtschaften. Dabei bedarf es der Ansiedlung von zukunftsorientierten Unternehmen, die Arbeitnehmer*innen aus dem Umkreis beschäftigen und somit die Attraktivität der Region verbessern. Durch die Digitalisierung werden Arbeitsabläufe erleichtert, Prozesse durch Softwarelösungen schneller und die Vernetzung zwischen den Unternehmen führt zu einer Förderung der niedergelassenen Wirtschaft. Arbeitnehmer*innen ersparen sich das tägliche Pendeln und unterstützen durch ihre Steuerabgaben die kommunale Wirtschaft. Familien können dort leben, wo sie sich die Immobilien leisten können, abseits der Großstadthektik und inmitten der Natur.

Bisher existiert diese Form der Arbeitsstätte größtenteils in Großstädten, sowie vereinzelt in Klein- und mittelgroßen Städten. Diese neue Art von gemeinschaftlichem Arbeiten dient der Vernetzung von Unternehmen, Freiberufler*innen und Startups. Sie arbeiten – je nach Konzept – gemeinsam oder auch unabhängig voneinander in mehr oder weniger offenen Räumen, und können durch den Austausch gegenseitig voneinander profitieren. Wieso also nicht auch in ländlichen Gebieten?

Tobias Kremkau, Coworking-Manager des “St. Oberholz”sieht hierbei sehr viel Potential. In vielen ländlichen Räumen stehen Immobilien frei, die genutzt werden könnten, um Coworking Spaces zu errichten. Wenn es mit dem Arbeitgeber*innen vereinbar ist, und die Arbeitnehmer als „digitale Nomaden“ lediglich einen Schreibtisch und Internet benötigen, müssen Angestellte und Freiberufler*innen nicht mehr täglich in die Stadt pendeln, sondern können in ihrer Kommune ihre Arbeit ausführen. Der Vorteil gegenüber dem klassichem Home-Office ist, dass sich Arbeitnehmer im Umkreis von Arbeitskolleg*innen bzw. „Coworkern“ befinden, sodass eine „Büroatmosphäre“ und weitere positive Nebeneffekte wie Vernetzung und gemeinsame Projekte entstehen können. „Kommunen müssen verstehen, dass sie im globalen Wettbewerb um Aufmerksamkeit stehen. Und, dass die Zielgruppe interessant für sie ist. Allein zu erkennen, dass das Menschen sind, die ihre Arbeit mitbringen, also Einkommen, aus dem sie dann vor Ort ihre Steuern zahlen, scheint viele Kommunen noch zu überfordern“, so Tobias Kremkau.

Die großen Hürden müssen sicherlich noch gemeistert werden: Schnelles Internet auch auf dem Land und ein politischer Diskurs, der sich mit den Potentialen und Herausforderungen ländlicher Räume beschäftigt. Ländliche Regionen müssen die Möglichkeit der digitalen Transformation der Gesellschaft nutzen, um ihren Standort für Unternehmen, Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen attraktiver zu gestalten.

Dieser Artikel ist der erste Teil einer Reihe, die sich mit den unterschiedlichen Herausforderungen ländlicher Regionen und den neuen Chancen durch den digitalen Fortschritt beschäftigt.

Titelbild: ThomasWolter via Pixabay, CC0, bearbeitet.

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