TitelbildRezensionArteTerrorbekämpfung mit Smart Data: Diesem Thema widmet sich die sehenswerte Dokumentation „Terrorjagd im Netz“. Heute um 20:15 auf arte und bis zum 19.09. in der arte-Mediathek.

Ineffizienz und Outsourcing der Sicherheitsdienste: Nach „A good American“ ist „Terrorjagd im Netz“ der nächste Dokumentarthriller von Friedrich Moser, der ein düsteres Bild der digitalen Massenüberwachung zeichnet. Der mehrsprachige Film des österreichischen Filmemachers beginnt im nächtlichen Wien. Ein junger Mann zieht durch beleuchteten Straßen der Metropole und stellt sich als Christian Weichselbaum vor – Co-Founder und leitender Data Scientist des Wiener Start-Ups Kivu Technologies. Das Unternehmen hat sich auf Analyse und Auswertung von terrorverdächtigen Inhalten im Netz spezialisiert.

Kivu hat ein revolutionäres System entwickelt. Es erlaubt soziale Netzwerke binnen weniger Momente zu analysieren und relevante Daten in einer selektiven und effizienten Darstellung zu präsentieren. Weichselbaum hat sich als Datenanalyst schon länger mit maschinellem Lernen auseinandergesetzt. Das, was ihn jedoch prägte, war der Anschlag auf den französischen Konzertsaal Bataclan durch die Terrororganisation Islamischer Staat. Wie in einem Live-Stream hätte man im Internet die Nachrichten von den anwesenden Konzertgängern verfolgen können. Die Reaktionen reichten von blanken Entsetzen bis zu Befürwortung durch Sympathisanten. Gerade diese hätten die Inhalte in entsprechenden Netzwerken geteilt und sich darüber ausgetauscht – alles öffentlich. Nach dieser beispielhaften Erfahrung war es nicht verwunderlich, dass Weichselbaum 2015 auf die Anfrage des Gründers von Kivu – Robert Wesley – einging.

Alles im Leben kann als Netzwerk dargestellt werden

Wesley, unter anderem Präsident der Terrorism Research Initiative, suchte nach Experten, um ein Analyseverfahren zu entwickeln. Dieses sollte Daten, die auf Anschläge hinweisen, treffsicher auswerten, aber gleichzeitig keine Datenschutzrechte verletzen. Genau das hat Kivu-Team geschafft. Allein durch Open Source Intelligence, also die Auswertung von Metadaten in sozialen Netzwerken, konnten graphische Knotenpunkte der Datenstandorte erstellt werden. Durch die Verdichtung lassen sich Gefährder herausfiltern. Die Personen bleiben anonym, da sie nur als codierte Ortungspunkte dargestellt werden. Sollte sich in diesen Knotenpunkten mit Androhungen beschäftigt werden, z.B. durch Erwähnungen, liken oder teilen, besteht ein Anfangsverdacht. Bei steigender Verdichtung wird das Radikalisierungspotential höher. Wenn dies abrupt abricht, besteht akut Gefahr auf einen Anschlag. Die Verhaltungsänderung als algorithmisches Frühwarnsystem.

“How can it be, that despite all this traces and evidences that the intelligence service had no idea that these attacks were being plotted. “

Begeistert folgt man den Ausführungen der jungen Entwickler und Mathematiker, die ein so revolutionäres wie auch einfaches System entwickelt haben. Sind in der Zukunft Radikalisierung und Anschläge vorhersehbar? Dies alles wirkt zeitversetzt. Der internationale Terrorismus ist, trotz seiner zunehmenden Präsenz in Europa, kein Phänomen der letzten zwei Jahre. Seit dem Fanal der Anschläge des 11. September, ist die drastische Ausweitung vom staatlichen Zugriff auf Daten eine internationale Kontroverse. Datenschutz im Ausnahmezustand – alles im Namen der Sicherheit. Die englische Narration von Lousia Gummer beschreibt in fast maschineller Aufzählung: „While the background of the attackers is quite diverse, there seems to be a pattern. In each at least one of the terrorist where known to the police, the perpetrators are part of a network, the terrorist where communicating electronically with each other and there was a digital footprint clearly indicating radicalization. Wie kann es sein, dass mit all der Technologie der Sicherheitsdienste diese Muster nicht vorher herausgefiltert werden konnten.

„There are too many choices.”

Ein kurzer Einspieler von Edward Snowden ist richtungsweisend für den zweiten Akt der Dokumentation. Denn trotz aller gesammelten Daten fehlt die Übersicht, was an Informationen relevant ist. Die schiere Informationsmasse, die Institutionen wie die NSA im Namen der Sicherheit sammeln, ist einfach zu gewaltig. Bisherige Anschläge konnten dadurch teilweise fast bis zu ein Jahr lang geplant werden, ehe sie stattfanden. Ein absurdes Zeugnis für die angebliche Notwendigkeit der Praktiken der Sicherheitsdienste. Snowden konstatiert: „Man braucht nicht mehr Informationen, sondern bessere und gezieltere Informationen.“

Wer A good American bereits gesehen hat, weiß dass es sich bei dieser Feststellung um kein Novum handelt. Robert Wesley und sein Team stellten fest, dass ihr Konzept bereits in fast identischer Weise entwickelt worden war und zwar vom ehemaligen Technischen Direktor der NSA: William Edward Binney. Die Kurzfassung dieser bizarren Ereignisse beinhaltet, dass Binney sein eigenes Programm Thin Thread bereits in den 90er Jahren konzipierte. Kurz vor der Fertigstellung wurde das Programm aber für das konkurrierende und hochsubventionierte Projekt Trail Blazer verworfen – und das drei Wochen vor den Anschlägen des 11. Septembers.

Binney über Trail Blaizer: “It’s better than anything that the KGB, the Stasi, or the Gestapo and SS ever had.”

Das Projekt, so Binney, hätte durch Netzwerkanalysen Metadaten von bekannten Terroristen in Sekunden erkannt können. Die erschreckende Erkenntnis: die Daten der Attentäter vom 11.09.2001 wären in den damaligen Datensatz enthalten gewesen. Im Rahmen der darauf erlassenen Notstandsgesetze fand Trail Blaizer seine Verwendung in der NSA. Der Beginn der großangelegten illegalen Massenüberwachung. Binney kündigte und ging auf Konfrontationskurs – all dies wurde Teil der globalen Überwachungs- und Spionageaffäre.

Privatisierung des Sicherheits- und Verteidigungssektors

Aufbauend auf dieser rekapitulierten Entwicklung stellt Moser den Bezug zu derzeitigen globalen Trends im Bereich Sicherheit her: Notstandsgesetze, Massenüberwachung und eine enorme Auslagerung der Aufgaben der Verteidigungsministerien an private Unternehmen. Eine „Abwärtsspirale“ für den Datenschutz, da die Staatssicherheit zu einem weltweiten Geschäft wird. Während der private Sektor immer mehr an technischer Aufklärung verdient, übersteigen diese Kosten den ursprünglichen Etat staatlicher Ressorts bei weitem.

„Die Öffentlichkeit weiß nicht, welche Kompetenzen die Regierung über die Geheimdienste an Private Unternehmen abgibt.“

Das System scheint nicht nur ineffizient, sondern auch noch zusätzlich undurchsichtiger zu werden. Eine Carte blanche für nichtstaatliche multinationale Kompetenzträger. Düster zieht die Kameraeinstellung über europäische Hauptstädte und ihre Regierungsgebäude. Unternehmen als Teil der Exekutiven, die nach Auftragslage vom Staat als bedrohlich eingestufte Organisationen oder Personen überwacht. Der Entzug der Legitimität außerstaatlichen Kritikbewegungen? Und wann enden die Ausnahmezustände der terrorgeplagten Staaten, wenn das lukrative Outsourcing staatlicher Aufgaben sich doch erst entfaltet?

Ein kleiner Hoffnungsschimmer in der dystopischen Suggestion: Zurück zu Kivu – zurück nach Wien.

William Binney ist aufgrund seiner Expertise in einer beratenden Funktion bei Kivu. Die Firma ist zwar auch ein privater Anbieter, versteht sich aber vor allem als zielorientierte Initiative. Radikale und terroristische Inhalte werden präventiv mit einem anonymen privacy design aufgespürt – also ohne die Privatsphäre oder Datenschutzrechte zu verletzten. Regierungen sollen das Programm nutzen und nur über Schlüsselzugriffe aus verschiedenen Ministerien darauf zugreifen können. Der Film endet und eine ganz persönliche und zynische Fragestellung bleibt: Handelt es hier um das Modell der Zukunft und wenn ja, ist es dann wettbewerbsfähig?

Friedrich Moser transportiert durch seine 90-minütige Dokumentation „Terrorjagd im Netz“ das gleiche Gefühle der Empörung wie in „A Good American.“ Während die Machenschaften und Partikularinteressen des Deep Staates vom zeitgenössischen Terror überdeckt und legitimiert werden, ermahnt Moser den Zuschauer, die Augen vor diesen Entwicklungen nicht zu verschließen. Über die Frustration dieser Spirale hinaus verweist er aber auch auf das Potenzial abseits fatalistischer Zweckmäßigkeit: Thin Thread und das Wiener Team von Kivu entmystifizieren den Irrglauben, dass Datenschutzrechte für die Sicherheit gebogen werden müssen. Ganz im Gegenteil – durch ihr effektives System nehmen sie der Privatisierung des Sicherheits- und Verteidigungssektors die Legitimitätsgrundlage. Eine aktuelle Darstellung eines schwelenden Konfliktes, die man nicht verpassen sollte.

Die Dokumentation „Terrorjagd im Netz“ von Friedrich Moser läuft um 12.09.2017 um 20:15 auf Arte. Der Film kann vom 12.-19.09.2017 auch online auf ARTE.TV angesehen werden.

Titelbild: Copyright by ARTE

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