gxd8hcmi0iq-parker-byrdViele verbinden das Studium mit unzähligen Stunden, die man in riesigen Vorlesungsräumen zusammen mit hunderten weiteren jungen Menschen verbringt. Mittlerweile kann man jedoch ein Studium absolvieren, ohne jemals einen Fuß auf den Campus gesetzt zu haben. Wir haben mit einem Online-Studenten über seine Erfahrungen gesprochen.

politik-digital: Baptiste, wie heißt der digitale Bachelor, den Du gemacht hast?

Baptiste Zapatero: Es ist ein Bachelor of Science in Development and Economics von der University of London International Programmes, durchgeführt von der London School of Economics (LSE).

Wieso hast Du Dich genau für diesen Bachelor entschieden?

Ich habe eigentlich an der Universität Genf einer herkömmlichen Bachelor in Internationalen Beziehungen gemacht. Diesen Bachelor habe ich aber nach zwei Jahren pausiert, um ein Studium an einer professionellen Tanzschule anzufangen. Ich wollte jedoch Vorsichtsmaßnahmen treffen, weil ich wusste, dass ich vielleicht doch weiter studieren möchte. Deswegen habe ich einen Online-Bachelor gesucht und das Thema, das mich interessiert hat, an der LSE gefunden. Nach einem Jahr habe ich dann auch die Tanzschule verlassen und nur online studiert. Schließlich habe ich meinen Bachelor in Genf wieder aufgenommen und ihn zusammen mit dem LSE Kurs abgeschlossen.

Zählt Dein Online-Bachelor genauso viel wie ein herkömmlicher Bachelor?

Ja. Der Bachelor zählt als ein vollwertiger Universitäts-Abschluss.

Waren die Zulassungsvorraussetzungen auch ähnlich?

Ja. Sie waren dieselben wie für einen normalen Bachelor. Gute Noten vom Gymnasium waren zwar wichtig, jedoch gibt es keinen Numerus clausus für digitale Bildung. Deswegen ist der Bachelor weniger selektiv als ein klassischer Bachelor an der LSE. Die Uni garantiert aber, dass die Online-Kurse denselben Wert haben wie die vor Ort. Die Prüfungen werden von LSE-Professoren nach denselben Kriterien bewertet.

Gab es viele Studenten, die den gleichen digitalen Bachelor wie Du gemacht haben, aber keinen normalen Bachelor nebenher?

Ja, natürlich. Es gibt viele die nur diesen Online-Bachelor gemacht haben und danach für ihren Master an der LSE angenommen wurden. Wenn man an einer kleinen Universität studiert, die nicht sehr bekannt ist, dann werden die Kurse, die man dort belegt hat, von der LSE nicht als gut genug angesehen, um dort für einen Master angenommen zu werden. Wenn man aber den Bachelor als Online-Studium an der LSE macht, weiß die Uni, dass dein Wissensniveau hoch genug ist, um dort erfolgreich einen Master abzuschließen. Das zeigt also, dass man dieses Online-Studium durchaus als eigenständiges Studium sehen kann.

Hat Dir Dein Diplom von der LSE dann auch geholfen, in Deinem Master angenommen zu werden?

Ich denke ja. Die LSE ist eine weltweit bekannte Universität und sehr renommiert. Außerdem habe ich durch die Verbindung beider Bachelor viele Kompetenzen gewonnen. Die Universitäten wissen, dass ich mich alleine gut zurechtfinden kann. Deswegen glaube ich, dass es eine Rolle gespielt hat.


Baptiste Zapatero ist Masterstudent der Hertie School of Governance in Berlin. Zuvor hat er neben seinem Bachelor an der Universität Genf ein Online-Studium an der London School of Economics absolviert.

Kannst Du einschätzen, ob es weltweit viele vergleichbare Fernstudiums-Angebote gibt? Und denkst Du, dass der Bedarf steigt?

Es gibt weltweit sehr viele Universitäten, die ein Fernstudium anbieten. Aber vermutlich gibt es nur wenige Studenten, die ausschließlich online studieren. Die meisten Studenten absolvieren ein klassisches Studium. Und die, die online studieren, sind meistens noch an einer herkömmlichen Uni eingeschrieben oder gehen schon einem Beruf nach.

Ist ein Online-Kurs billiger als das normale Äquivalent an der gleichen Uni?

Ja. Ein Online-Studium an der LSE ist viel billiger. Allerdings sind die Kosten unterschiedlich, je nach Partner-Uni. Die stellen eine zertifizierte Person, die dein Online-Studium begleitet. Meine Begleiterin wurde dafür sehr gut bezahlt. Ich habe sogar überlegt, ob ich mich nach Lyon oder Paris versetzen lassen soll, denn dort kostet die Begleitperson viel weniger. Ungefähr die Hälfte der Gebühren, die ich an die LSE gezahlt habe, wurde für die Bezahlung der Tutorin verwendet. Aber insgesamt ist es auf jeden Fall erheblich günstiger als in London zu studieren. Ich habe insgesamt 2.000 Franken pro Jahr gezahlt.

Wie finden die Prüfungen im Online-Studium statt?

Die LSE hat Partnerschaften mit Unis, an denen du ein Zimmer zum Schreiben der Prüfungen bekommst – in Genf ist es die Webster Universität. Die Begleiter öffnen die Umschläge mit den Tests für die Studenten und schicken sie dann nach London. So kann man die Prüfung in jedem beliebigen Land ablegen – das System ist sehr ausgefeilt und praktisch.

Also warst Du für die Prüfungen kein einziges Mal in London?

Nein. Man schreibt sich im September oder Oktober online ein und dann wird einem der Kursplan zugeschickt. Danach ist man komplett flexibel; man kann und muss alles selber organisieren. Alles, was man weiß, ist, dass die Prüfungen im Mai sind.

Dann zählt die Prüfung für 100% Deiner Note in einem Kurs? Es gibt keine Hausarbeiten oder Aufgaben, die man zwischendurch abgeben muss?

Dafür war unser Programm zu groß. Ein Freund von mir hat einen Jura-Bachelor online gemacht und er hatte Hausaufgaben im Semester, da das Programm wesentlich kleiner war.

Hat dir deine Begleiterin in Genf mit den Kursen geholfen wenn du Fragen hattest? Hast du sie regelmäßig getroffen?

Nein, ich habe sie nur bei den Prüfungen getroffen. Wenn ich sonst Fragen hatte und etwas nicht verstanden habe, musste ich es selbst über das Internet herausfinden. Man ist da auf sich selbst gestellt. Deswegen habe ich auch mein Studium in Genf wieder nebenher aufgenommen. Aber das hat mich auch geprägt und mir weitergeholfen. Ich merke jetzt in meinem Master, dass sich viele Studenten schwer tun, Antworten selbst herauszufinden. Ich weiß, wie ich Antworten finde, das habe ich in den letzten Jahren gelernt.

Denkst Du, dass Dein Abschluss von der LSE höher einzuordnen ist, weil Du mehr auf dich selbst gestellt warst als Studenten in London?

Teils, teils. Zwar lernst du mehr dadurch, dass du dich selbst zurechtfinden musst, aber es ist natürlich nicht so angenehm. Man kann nicht einfach die Hand heben und den Professor etwas direkt fragen, also brauchst du auch viel mehr Zeit. Zum Glück gibt es ein Online-Forum für alle Studenten.

Und es gab kein System, um andere Online-Studenten Deines Kurses zu treffen, die den gleichen Kurs belegt haben?

Nein, das ist ein großer Nachteil dieses Online-Kurses. Aber ich hatte Glück: im ersten Jahr meines Online-Bachelors gab das “Study Weekend“, ein Wochenende in London. Man konnte unseren Professor treffen und mit ihm diskutieren, ihm Fragen stellen und andere Studenten treffen. Dadurch habe ich eine andere Studentin aus Genf kennengelernt und so konnten wir einander helfen. Danach haben sie das “Study Weekend” aber wieder abgeschafft, da es unfair denen gegenüber war, die weiter weg wohnen, und nicht einfach für ein Wochenende nach London kommen konnten. Wenn man jetzt also andere Studenten treffen möchte, kann man nur im Forum posten und hoffen, dass einen jemand kontaktiert, der in der Nähe wohnt. Das war aber nicht einfach. Deswegen war ich in der Zeit, als ich nur den Online-Bachelor gemacht habe, ziemlich isoliert. Alle meine Freunde waren schon fertig und sind aus Genf weggezogen. In diesem Jahr kannte ich wirklich niemanden und habe meinen Kaffee alleine getrunken. Es ist hart, aber so lernt man eben auch unabhängig zu werden.

Könntest Du Dir mit deinem jetzigen Wissen vorstellen, ein weiteres reines Online-Studium zu belegen?

Ich könnte es mir nur dann vorstellen, wenn ich wüsste, dass ich in der ganzen Zeit genug Freunde in der Nähe habe. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, auch ein soziales Leben zu haben. Und das ist viel schwieriger mit digitalen Bildungsangeboten.

 

Titelbild: by Parker Byrd via Unsplash, licenced CC0 1.0

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