„DDR-Lizenzen“ und „Gambelli-Urteil“
Zunächst einmal ist die Veranstaltung von Glücksspiel in Deutschland generell dem Staat vorbehalten. Es gibt jedoch sowohl Ausnahmen als auch Graubereiche neben dem staatlichen Glücksspielmonopol.
Der Gesetzgeber geht davon aus, das sich der Spieltrieb nicht vollständig unterdrücken lässt, ungezügelter Spielsucht jedoch Einhalt zu gebieten ist. Also wird der Spieltrieb „kanalisiert“ – durch einen staatlichen Anbieter. Nebenbei verdient der Staat an Glücksspielen etwa 4,5 Milliarden Euro pro Jahr. Der bayerische Finanzminister Kurt Faltlhauser beschrieb diese ambivalenten Situation folgendermaßen: „Erstens ist es gut, dass wir die Glücksspiele in staatlicher Hand halten und dadurch Kontrolle ausüben. Zweitens ist es gut, dass wir dadurch Einnahmen haben. So einfach ist das.“ Im Bereich der Sportwetten übernimmt seit 1999 diese Aufgabe der staatliche Anbieter Oddset. Eine Ausnahme sind Wetten auf Pferderennen. Bei diesen handelt es sich aus Sicht der deutschen Gesetzgebung nämlich nicht um Sportveranstaltungen, sondern um Leistungsprüfungen. Aus ähnlichem Grund gelten Sportwetten in Österreich nicht als Glücksspiel: Hier geht man davon aus, dass bei der Vorhersage des sportlichen Ausgangs das Hintergrundwissen den Zufallsanteil überwiegt.
„DDR-Lizenzen“ und „Gambelli-Urteil“
Vier private Anbieter von Sportwetten, darunter der wohl bekannteste und größte private Anbieter
Betandwin, profitieren von einer weiteren Ausnahme: Als Inhaber einer Lizenz aus der ehemaligen DDR veranstalten auch sie Sportwetten – es ist allerdings umstritten, ob diese Lizenzen tatsächlich für alle Bundesländer gelten. Zur weiteren Verkomplizierung trägt das so genannte
Gambelli-Urteil des Europäischen Gerichtshofes bei. Es besagt, dass das staatliche Glücksspiel-Monopol und somit das Verbot privater Anbieter aus dem europäischen Ausland gegen EU-Recht verstößt. Anbieter aus Österreich, dem Vereinigten Königreich , Gibraltar und anderen Ländern berufen sich auf das Urteil und versuchen, den deutschen Markt zu erobern. Dies ist rechtlich umstritten: sofern es der Kanalisierung des Spieltriebs dient, kann der Staat laut „Gambelli-Urteil“ das Monopol durchaus ausüben.
Suchtprävention vs. staatliche Einnahmen
Den Verdacht, dass das Monopol nicht ausschließlich der Zügelung der Spielsucht dient, beschleicht nicht nur die naturgemäß an einer Liberalisierung interessierten privaten Anbieter, die sich derzeit im juristischen Graubereich bewegen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Januar genau dies bestritten und stellte vielmehr fest: „Eine aktive Suchtprävention findet im Rahmen des gegenwärtigen staatlichen Wettangebots nicht statt.“ Bis Ende 2007 muss nun entweder das Oddset-Angebot so gestaltet werden, dass die Suchtprävention erkennbares Ziel ist, oder die Gesetzgebung muss geändert, also der Markt liberalisiert werden. Der staatliche Anbieter Oddset, der nach eigenen Angaben etwa 80 Prozent seines Umsatzes mit Fußballwetten macht, tritt gerade bei Sportveranstaltungen großflächig als Sponsor auf. Auch die WM wollte Oddset nutzen, um als „Nationaler Förderer“ mit Franz Beckenbauer als
Testimonial das Angebot umfangreich zu bewerben. Nach dem
Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat Oddset die Marketingaktivitäten allerdings weitgehend eingestellt.
Aber nicht nur Oddset verspricht sich viel von der Fußball-WM. Auch die privaten Lizenzinhaber und viele Anbieter aus EU-Ländern, die sich momentan im juristischen Graubereich bewegen, erhoffen sich einen weiteren Wachstumsschub. Neben dem Graubereich tummeln sich im Internet aber selbstverständlich auch jede Menge weitere Anbieter, welche die Grenzen der Regulierung aufzeigen: Der mit Abstand größte Teil der deutschsprachigen Online-Gambling-Sites operiert mit Lizenzen aus der Karibik.
Betandwin, die Nummer zwei im deutschen Markt nach Oddset und Inhaber einer „DDR-Lizenz“, stieg die Zahl der aktiven Kunden Sportwettenbereich im ersten Quartal 2006 im Vergleich zum Vorjahr auch ohne WM von 224.000 auf 587.000. Gleichzeitig erhöhten sich die Wetteinsätze um 117 Prozent auf knapp 427 Millionen Euro. Während der WM geht Betandwin hingegen von einer Verdoppelung des Umsatzes aus – sonst sind die Sommer-Monate wegen der Spielpause in der Bundesliga eher ruhig. Bei Betandwin lässt sich nicht nur auf den Weltmeister oder Spielergebnisse tippen, sondern auch auf 150 „Spezial-Wetten“ pro Spiel; etwa welche Mannschaft den ersten Einwurf, Elfmeter oder die erste Gelbe Karte bekommt oder wie lange die Nachspielzeit sein wird. Zudem verspricht sich die Branche von der WM vor allem neue Zielgruppen anzusprechen. Bisher ist der „Durchschnitts-Online-Gambler“ im Vergleich zur Gesamt-Bevölkerung tendenziell jünger und eher männlich, mit unterschnittlichem Bildungsgrad und Einkommen.
Andere Anbieter nutzen die WM für einen Markteintritt in Deutschland, etwa der irische Marktführer „Paddy Power“: In Deutschland sei „mit einem wahren Boom zu rechnen, da Sportwetten hier bisher eher eine untergeordnete Rolle spielen. In Irland gehören Sport und Wetten schon immer zusammen, diese Leidenschaft entdecken jetzt nach und nach auch die Deutschen.“
Milliardenmarkt mit Wachstumspotenzial
Das zeigt auch der Vergleich zwischen Deutschland und Vereinigtem Königreich. Nach
Schätzungen der Unternehmensberatung Goldmedia wurden 2005 in Deutschland bei Online-Wetten etwa 1,1 Milliarden Euro eingesetzt und weitere 2,2 Milliarden Euro bei Online-Casinos und –Lotterien. Gegenüber 2004 verzeichnete die Branche ein Wachstum von rund 35 Prozent. Nach Einschätzung von Screen Digest Analyst Ed Barton wurden im Vereinigten Königreich 2005 etwa 3,8 Milliarden Euro allein mit Online-Sportwetten umgesetzt – bei geringerer Einwohnerzahl. Auch wenn die Wettleidenschaft hierzulande weniger ausgeprägt sein mag, rechnet Goldmedia bis 2010 mit einer Verdreifachung der Online-Wetteinsätze in Deutschland.
Aktuelle Bestrebungen stationäre Wettbüros zu schließen, könnten sich – sofern sie tatsächlich weiter verfolgt werden – zusätzlich positiv auf den Online-Wettmarkt auswirken, wenn Wetter auf (ggf. Ausland lizenzierte Angebote) ausweichen. Auch hier werden die Grenzen der Regulierung deutlich.
Wachstumsschub durch „Hoyzer-Skandal“
Den letzten großen Wachstumsschub hat der Branche paradoxerweise ein Skandal um Wettmanipulationen gebracht. Als der Fall um den Schiedsrichter Robert Hoyzer im letzten Jahr wochenlang Schlagzeilen lieferte, hat dies nicht etwa abschreckend gewirkt, sondern der Branche einen erheblichen Schub verschafft – anscheinend hat die Skandal bei vielen erst die Aufmerksamkeit auf die Angebote gelenkt.
Ein Milliardenmarkt mit Wachstumspotenzial ruft selbstverständlich weitere Player auf den Plan. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) etwa hat schon kurz nach dem Hoyzer-Skandal öffentlich erwogen, ein eigenes Wett-Angebot zu starten. Auch so profitiert der deutsche Sport vom Spieltrieb: 430 Millionen Euro kamen ihm 2005 aus den Erlösen von Oddset und den staatlichen Lotterien zu. Ein Teil des Rahmenprogramms der WM soll ebenfalls durch Oddset-Gewinne finanziert werden. Auch auf den Banden in den Fußball-Stadien kann man ablesen, dass die Vereine vom boomenden Wettgeschäft profitieren. Und Werden Bremen freut sich über ein Trikot-Sponsoring durch Betandwin ab der kommenden Bundesliga-Saison.
Nächster Schub durch TV-Sender
Einen weiteren Schub könnten die deutschen TV-Sender auslösen. Auch sie versuchen, vom boomenden Markt zu profitieren. Der Pay-TV-Sender Premiere betreibt schon einen Kanal für Pferderennen und plant 2008 mit Gambling-Angeboten eine Milliarden Euro umzusetzen. RTL hat ein Joint Venture mit dem österreichischen Lizenzinhaber Starbet gegründet und plant, sein neues Angebot besonders während der WM intensiv zu bewerben. Neben dem Burda-Verlag steht auch EM.TV mit seinen Töchtern Tochter DSF und sport1.de in den Starlöchern und hat, um die Erfolgschancen des eigenen Angebotes zu erhöhen, zwischenzeitlich sogar auf Werbeschaltungen potenzieller Konkurrenten verzichtet. Dabei positionieren sich die TV-Sender schon für den nächsten strategischen Schritt: iTV-Betting, also Wettangebote, die im interaktiven Fernsehen auch direkt per Fernbedienung genutzt werden können. Das Vorbild ist Skybet, eine Tochter des britischen Pay-TV-Konzerns BSkyB. Die Umsätze mit der Gambling-Plattform sind in den letzten Jahren stark gestiegen und erreichten 2005 etwa 380 Millionen Euro.
Der Autor des Textes, Christian Veer, ist Research Analyst bei der Unternehmensberatung Goldmedia.