Transparency International machte bereits die Erfahrung, dass die Bedeutung von Blogs nicht zu unterschätzen ist. Auch positive Aufmerksamkeit können NGOs im Internet erlangen, meint Weblogforscher Jan Schmidt. Soziologe Dieter Rucht dagegen sieht nur geringe Chancen zur Mobilisierung.
Dass Blogs für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) längst relevant sind, erfuhr im März 2006 die Anti-Korruptions-NGO Transparency International auf unangenehme Weise. Das deutsche Büro drohte einer Bloggerin, die über die Entlassung ihrer Freundin bei TI geschrieben hatte,
mit einer Abmahnung. Der Fall schlug Wellen,
die Blogosphäre solidarisierte sich, bis schließlich auch die Aufmerksamkeit einiger klassischer Medien (z. B.
Netzeitung,
Focus,
taz) und der
Einsatz des Law-Bloggers Udo Vetter die NGO zu einer Einsicht brachte.
So erkannte Christian Humborg, der seit dem Jahreswechsel das deutsche Transparency-Büro leitet, im
Interview: „Es war schon eine Erkenntnis, dass es da einen sehr wichtigen Kommunikationskanal gibt, den man erstens wahrnehmen, zweitens vor allen Dingen ernst nehmen muss und drittens, dass man auch lernen muss, mit diesem Kommunikationskanal umzugehen, sich mit ihm vertraut zu machen und mit ihm zu arbeiten.“ Man habe damals „in der Form und im Vorgehen einen Fehler gemacht“.
Inzwischen könne er sich sogar vorstellen, dass Transparency-Mitarbeiter anfangen zu bloggen, um auf Korruption aufmerksam zu machen – obwohl die Organisation den Grundsatz habe, sich nicht mit konkreten Fällen zu befassen und ein Blog daher relativ abstrakt bleiben müsse. Als Folge aus dem Blog-GAU findet allerdings noch heute, wer nach „Transparency International“ im deutschsprachigen Google-Index sucht, kritische Blogbeiträge unter den ersten zehn Treffern.
Die Potenziale der sozialen Vernetzung
Weblogs haben aktuelle Inhalte und sind meist stark untereinander verlinkt. Dadurch erreichen sie ein hohes Google-Ranking, in dem der Bamberger Kommunikationssoziologe und
Blogger Jan Schmidt auch eine Chance für NGOs sieht. „Das sind Mechanismen, die dazu führen könnten, dass NGOs sich nach außen hin noch sichtbarer darstellen.“ Vor allem für Kampagnen mit Themen, die Blogger ohnehin interessierten, könne man viel Öffentlichkeit schaffen. Beispiele sind IT- und Sicherheitsthemen oder die aktuelle Debatte zum Thema Vorratsdatenspeicherung, wo gerade das Bild „von
Schäuble und Stasi 2.0“ in der Blogosphäre kursiert.
Schmidt sieht aber noch nicht, dass über Blogs im größeren, nationalen Maßstab mobilisiert werden könne. Um von einer Gegenöffentlichkeit zu sprechen, sei die so genannte Blogosphäre „zu dispers und noch zu klein“. Womöglich liege es auch an Unterschieden im Mediensystem und im politischen System, dass man in den USA im Gegensatz zu Deutschland so viele politische Blogs sehe und auch im Wahlkampf alle Seiten Blogs nutzten. Das deutsche Mediensystem aus privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbietern und mehreren überregionalen Qualitätszeitungen spiegele das politische Spektrum gut wieder.
Ein großes Potenzial der Web-2.0-Tools für NGOs sieht Schmidt aber trotzdem, gerade auch in der internen Kommunikation, etwa zur Koordination von Aktivitäten und zum Wissensaustausch innerhalb der Organisation. „Viele NGOs sind ja vernetzte Organisationen“, meint Schmidt. Ihre Mitglieder leben räumlich verteilt, sind selbst wiederum Teil von thematischen Netzwerken und arbeiten und mit anderen Organisationen zusammen.
Vor zu viel Euphorie wird gewarnt
Vor zu viel Euphorie hinsichtlich der Möglichkeiten der schönen neuen Online-Welt warnt allerdings der
Berliner Soziologieprofessor Dieter Rucht. Er wägt zwei Thesen gegeneinander ab: Eine besagt, dass das Internet Protestgruppen stärke, eine andere geht davon aus, dass das Internet bloß bestehende Ungleichgewichte vertiefe. Große NGOs werden demnach noch mächtiger, während kleine Gruppen oft vom Aufwand und der Technik überfordert seien.
Die Möglichkeiten des Internets zum Austausch von Informationen seien laut Rucht zwar hervorragend, aber die Chancen einer effektiven Mobilisierung gering. Häufig werde die viel beschworene Interaktivität des Internet wenig genutzt. Eher würden die bereits ohnehin Engagierten noch besser kommunizieren können. „Dabei handelt es sich eher um eine Nischenöffentlichkeit als um eine Gegenöffentlichkeit“, so Rucht.
Technik ist keine Hürde mehr
Weblogs, Wikis und Social Software stehen allerdings der These entgegen, dass die Technik eine Hürde sei, die Schwache benachteilige. Fakt ist: Es war noch nie so einfach und kostengünstig, Inhalte für ein beinahe unbeschränktes Publikum zu veröffentlichen und in einen echten Dialog mit seinem Publikum zu treten. Einzige wesentliche Voraussetzung: Organisationen müssen dafür bereit sein, ihre Kommunikation zu öffnen und dem Publikum zuzuhören.
Gerade NGOs kann das so genannte Web 2.0 also möglicherweise dabei helfen, die Distanz zu ihren Unterstützern zu verkürzen und mit menschlicher Stimme zu sprechen. So schlagen es schon die 95 Thesen des
Cluetrain-Manifests vor, die Verhaltensweisen für Unternehmen im Netz aufstellen. Das Manifest sorgte bereits 1999 mit der Annahme für Aufsehen, dass Märkte in erster Linie aus Menschen bestehen und das online vernetzte Unternehmen in Geprächen auf diese eingehen müssen.
Mit potenziellen Unterstützern sprechen und sie dazu befähigen, selbst aktiv zu werden, dazu eignen sich Weblogs besonders gut. Oder einfach dazu, authentisch und menschlich zu kommunizieren – nicht zuletzt, damit die eigene Glaubwürdigkeit durch Unfälle wie jenen um die Bloggerin, der ausgerechnet von einer Organisation, die Transparenz im Namen trägt, mit Abmahnungen gedroht wurde, nicht beschädigt wird.