Ich bau mir eine Kampagnen-Website für den Uni-Streik. Wie Berliner Studierende das Netz für sich entdecken und versuchen, dass kreative Chaos zu beherrschen. Und das mit wenig Geld.

„Es ist kurz nach 3.00 Uhr, ich bin müde, bis morgen.“ So endet der Empfangstext auf der Homepage der Streikzentrale der FU vom 20.11., dem Tag, an dem nach der Technischen Universität Berlin und der Humboldt-Universität Berlin auch an der Freien Universität Berlin der Streik beschlossen wurde. Lange saßen sie zusammen am Abend nach der Vollversammlung (VV), ca. 15 Studenten aus den unterschiedlichsten Fachbereichen, und am Ende hatten sie die „Streikzentrale“ ins Leben gerufen, eine Domain gesichert und die Homepage zum Streik an der FU gelauncht – und damit ein Forum, ohne den der Protest gegen Sparmassnahmen und Bildungsabbau an der FU kaum seine aktuellen Ausmaße angenommen hätte.

Kompliziert ohne Internet

Mittlerweile läuft beinahe die gesamte Organisation der studentischen Proteste über die
Internetseite der Streikzentrale. Das Team kümmert sich um die Veröffentlichung der wichtigsten Termine, bietet Links und Kontakte zu den über zwanzig seit Streikbeginn gegründeten AG’s und postet „Hilferufe“ zur Unterstützung einzelner Aktivitäten. Die Resonanz unter den Studierenden, Streikbefürwortern wie –ablehnern, ist gewaltig. „Wir bekommen ca. 200-300 Mails am Tag, in Stoßzeiten und nach wichtigen VV-Entscheidungen bis zu 100 pro Stunde,“ berichtet Lars. Gemeinsam mit ein paar Mitstreitern hat er den Keller im AStA-Haus zum Büro der Streikzentrale umfunktioniert und stellt sich hier nicht nur der eMailflut, sondern auch den persönlichen Anfragen der Studis. Der Geschichtsstudent bezeichnet sich selbst als „Bastler“ ohne großartige Vorkenntnisse – weder, was das Navigieren im Internet, noch was den Streik im Allgemeinen betrifft. Die letzte Streikwelle 1997/98 hat knapp vor seiner Zeit stattgefunden. „Ich weiss nicht, wie die das früher gemacht haben ohne Internet – muss aber ganz schön kompliziert gewesen sein!“

Was kommt ins Netz?

Auch Timo, der neben Lars sitzt und das ständig klingelnde Telefon beantwortet, macht das alles zum ersten Mal. Eigentlich studiert er Islamwissenschaften, Ethnologie und indische Geschichte. Seit über einer Woche ist er nun Mitglied im KoKo (Koordinierungs-Kollektiv), verbringt jeden Tag im AStA-Keller und versucht, den ständig wachsenden Streikstundenplan zu aktualisieren. Besonders wichtig ist dabei die Vernetzung der AG-Mitglieder. „Nur bei den Besetzer-AG’s geben wir keine eMail-Adressen oder Telefonnummern an.“ Schließlich wisse man nie, wer mitlese – alle Anwesenden aber sind sich sicher, dass die Studierenden nicht die Einzigen sind, die von der Homepage Gebrauch machen. „Zuerst wollten wir Aufrufe zur Besetzung nicht ins Netz stellen, jetzt haben wir uns aber dafür entschieden,“ kommentiert Lars. Seitdem sind auf der Homepage Meldungen zu lesen wie: „25.11.: Das Büro des Wissenschaftssenators Flierl wurde besetzt. Die besetzenden Studenten sind über das Büro der Senatsverwaltung unter der Nummer 9 022 8200 erreichbar.“

Service und Kommunikation lernen

Neben dem täglichen Newsletter kümmert sich das Team der Streikzentrale auch um das moderierte Forum der Homepage. Bislang mussten sie allerdings nicht einschreiten. „Das würden wir nur bei expliziten Gewaltaufrufen tun!“

Nur mit Hobbywissen lässt sich eine Homepage mit 30 000 Hits in den ersten 10 Tagen nur schwer betreuen. Lars und Timo sind deshalb froh, vor kurzem fachliche Unterstützung von den FU-Informatikern erhalten zu haben. Einer vom ihnen, Maximilian, hockt als dritter Mann im AStA-Keller und hat am Wochenende zwei Tage und Nächte am neuen Interface der Homepage gearbeitet. Bei soviel Engagement kommt auch der Lerneffekt nicht zu kurz: „Hier lernt man einiges, was an der Uni nicht auf dem Stundenplan steht!“ meint Maximilian. Die FU-Aktivitäten sind mittlerweile gut miteinander verknüpft – nur an der uni-übergreifenden, landes- und bundesweiten Vernetzung mangelt es auch auf der Seite der Streikzentrale. „Wir sind im Moment einfach überlastet“, entschuldigt sich Lars und hofft, dass sich nach der nächsten Vollversammlung ein paar Freiwillige einfinden. Bis dahin wird er mit Timo und Maximilian im verrauchten AStA-Keller sitzen und das kreative Chaos weiterspinnen – wenn nötig, wieder bis kurz nach 3:00 Uhr morgens.

Erschienen am 09.12.2003

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