Wieviel Staat und wieviel Markt verträgt das Internet? Esther
Dyson leitet die neue Organisation "ICANN", die nach dem Willen der
amerikanischen Regierung die Internetadressen für die ganze Welt vergeben soll.
politik-digital: Sie haben die US-Regierung beraten, Sie erklären auf den
Wirtschaftsforen in Davos den Spitzenmanagern und Politikern aus aller Welt, warum das Internet eine Revolution
ist. Wie sind Sie Vorsitzende von ICANN, der Internet Corporation for Assigned Names und Numbers
geworden?
Esther Dyson: Ganz einfach. Die Gründungsmitglieder wurden in einen Raum gesperrt, und ich war die
einzige, die sich als Freiwillige gemeldet hat. John Postel, der zuvor die Internet Assigned Numbers Authority
personifizierte und das gesamte Adressen-System für das Internet entwickelt und organisiert hatte, suchte in den
USA, Europa und in der ganzen Welt nach Personen für eine neue Organisation, die das Management des
Internets übernehmen sollte. Sein Anwalt hat mir eine E-Mail geschickt, in der stand, daß ich Mitglied des
Direktoriums werden sollte. Ira Magaziner, der Internetbeauftragte der Clinton-Regierung, hatte mir zwar schon
vorher von ICANN erzählt, die Initiative jedoch ging auf John Postel zurück. Ich weiß nicht, wie es in Europa war,
aber in den USA hat die Regierung alles getan, um sich aus diesem Prozeß herauszuhalten. Natürlich war sie
immer sichtbar, aber nur in Form von Vorschlägen – zum Guten, oder zum Schlechten. Einige glauben ja, daß die
Regierung eine größere Rolle hätte spielen sollen. Ich weiß, daß genau das die Europäer nervös macht.
politik-digital: Haben sie dazu nicht allen Grund? ICANN wird die
Internetadressen verteilen und allein schon dadurch den Zugang zum Netz weltweit kontrollieren. Wollen Sie das
Netz regieren?
Esther Dyson: Das hängt davon ab, was man unter Regieren versteht. Sicherlich stand für uns am Anfang
im Vordergrund, welche Rolle technische Standards spielen. Oder Fragen wie: Sollen kommerzielle Aktivitäten
überhaupt erlaubt werden? In wieweit sind Meinungsfreiheit und Datenschutz betroffen? Unsere unmittelbare und
wichtigste Aufgabe ist es heute, bei der Namensvergabe im Netz Wettbewerb zu schaffen. In den Bereichen von
.com, .net, .org hat es bisher keinen freien Wettbewerb gegeben. Schwierig wird vor allem sein, ein effektives
System zu schaffen, das Konflikte bei der Namensvergabe löst. Auf längere Sicht müssen wir uns auch mit der
Frage befassen, ob es neue top-level-domains geben wird, zum Beispiel .firm oder .shop.
politik-digital: Ihr Buch "Release 2.0" vermittelt den Eindruck, daß Regierungen in jedem Fall die Finger
vom Internet lassen sollten. Die New York Times hat ICANN aber als "Verfassungsgebende Versammlung des
Internet" bezeichnet, und die Kritiker befürchten, daß damit genau eine jener schwerfälligen, bürokratischen
Institutionen entsteht, vor denen die freie Unternehmerin Dyson immer gewarnt hat.
Esther Dyson: Wer zum erstenmal von ICANN hört, denkt immer gleich an eine Weltregierung. Aber wir
wollen keine Regierung sein. In Wirklichkeit soll sich ICANN überhaupt nicht mit Datenschutz und der Regulierung
bestimmter Inhalte befassen. ICANN soll nur die technische Infrastruktur des Netzes regeln und die Adressen und
Protokolle organisieren. Wenn jemand aus politischen Gründen eine Seite im Internet schließen will, dann wollen
wir nicht, daß er damit zu uns kommt. Wir wollen gar nicht soviel Macht, und schon gar nicht wollen wir das
Werkzeug für diejenigen sein, die uns zu einer Macht machen wollen, die das Netz kontrolliert.
politik-digital: Wie wollen Sie das vermeiden? ICANN wird die Datenbank von
Network Solutions kontrollieren, in der Millionen von höchst persönlichen Daten gespeichert sind.
Industrielobbyisten haben schon gefordert, daß ein System für die positive Identifikation der Internetnutzer
entwickelt werden muß.
Esther Dyson: Was ich über Datenschutz denke, und was ICANN macht, sind zwei verschiedene Paar
Schuhe. ICANN soll damit nichts zu tun haben. Wir befassen uns nicht mit Millionen von E-Mails, die jeden Tag
über dasNetz gehen, sondern mit den Menschen, denen eine Internetadresse gehört.
politik-digital: Wer befaßt sich denn nun wirklich mit ihnen?
Esther Dyson: Viele verschiedene Personen. Im Netz sollte es unterschiedliche Regeln geben. Wer ein
Geschäft im Internet eröffnet, sollte anderen Regeln unterliegen als der normale Benutzer. Er sollte stärker
verpflichtet sein, offenzulegen, wer er ist, und was er macht. Er sollte verantwortlich und identifizierbar sein. Wer
dagegen nur bestimmte Internetseiten besucht, sollte das Recht haben, dies anonym zu tun.
politik-digital: Wird sich die US-Regierung jetzt mit der UNO und
Industrielobbyisten an einen Tisch setzen, um über den Datenschutz im Netz reden?
Esther Dyson: Ich hoffe nicht. Ich persönlich werde mich immer dafür stark machen, daß das Individuum
wählen kann, ob und wann es seine Identität offenlegt. Das Individuum muß wählen können, wo es im Netz hingeht.
Es ist nicht notwendig, daß wir dafür eine einzige Regelung haben. Die Internetseiten werden vielleicht ein Siegel
oder einen Hinweis darauf enthalten, wie die jeweiligen Besitzer persönliche Daten behandeln. Es wird
unterschiedliche Jurisdiktionen dafür geben, die nicht notwendigerweise weltweit gelten, und es werden auch nicht
notwendigerweise Regierungen sein, die diese Regeln machen und durchsetzen. Es wird Regulierungsagenturen
geben, die aber wiederum nicht zwingend an einen Staat gebunden sein müssen.
politik-digital: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview mit Esther Dyson führte Christian Ahlert.