Dr.
Christine Bergmann, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
im politik-digital-Interview über wirksame Maßnahmen zum Kinder- und Jugendschutz,
den Fall Felix Somm und die Verantwortung der Provider.


politik-digital:
Über wirksamen Kinder- und Jugendschutz im
Internet wird viel diskutiert, wo sehen Sie als Ministerin für Kinder
und Jugend konkreten Handlungsbedarf?

Bergmann:
Die Entwicklung zur Informationsgesellschaft ist auch für Kinder und Jugendliche
mit weitreichenden gesellschaftlichen Folgen verbunden. Sie müssen zum
einen die Möglichkeit haben, die Chancen dieser Entwicklungen wahrzunehmen
– zugleich müssen sie vor Gefährdungen geschützt werden. Der Kinder- und
Jugendschutz im Multimediazeitalter stellt deshalb neue nationale und
internationale Anforderungen. Nach meiner Überzeugung ist Medienkompetenz
neben den Vorschriften des gesetzlichen Jugendmedienschutzes und den Maßnahmen
der Freiwilligen Selbstkontrolle eine der wichtigsten Voraussetzungen
für einen effektiven Jugendschutz in diesem Bereich. Deshalb ist die Vermittlung
von Medienkompetenz an Eltern, Kinder und Jugendliche ein Schwerpunkt
der Arbeit meines Hauses. Junge Menschen sollen lernen, zu problematischen
Medieninhalten kritische Distanz zu wahren und zu einem eigen-verantwortlichen
Umgang mit ihnen zu kommen.


politik-digital:
Was könnten Ihrer Meinung nach sinnvolle Schutzmaßnahmen
sein? Sollten alle Provider zum Angebot von Filtersoftware verpflichtet
werden? Sollte es staatliche Cyberpolizisten geben, die das Angebot kontrollieren?
Oder sind andere Ansätze denkbar?

Bergmann:
Bei der Suche nach notwendigen Schutzmaßnahmen muß zwischen Straftaten
einerseits und dem Kinder- und Jugenschutz andererseits unterschieden
werden.Die Bekämpfung von Straftaten im Internet – und hier liegt mir
die Bekämpfung von Kinderpor-nographie ganz besonders am Herzen – ist
zu allererst Aufgabe der Strafverfolgungsbehör-den, das heißt, Aufgabe
der Länder. Das Bundeskriminalamt wird hier überwiegend in seiner Zentralstellenfunktion
tätig. Ihm obliegt unter anderem die Durchführung des nationalen und internationalen
Nachrichtenaustausches – z.B. mit EUROPOL, INTERPOL – sowie die zentrale
Sammlung und Auswertung aller verfügbaren Daten und Bilder aus dem In-
und Ausland. Hier sind sich Bund und Länder darüber einig, daß zu den
Aufgaben des Bundeskriminalam-tes als Zentralstelle auch gehört, im offenen
Bereich des Internet anlaßunabhängige Recherchen durchzuführen. Stößt
es bei seinen Recherchen auf konkrete Verdachtsfälle, so werden diese
zur Bearbeitung an die zuständigen Landespolizeidienststellen weitergeleitet.
Die Suche – z.B. nach Kinderpornographie – auch ohne eine Anzeige halte
ich für einen sehr erfolgversprechenden Weg zur Bekämpfung dieser abscheulichen
Verbrechen. Im übrigen tragen auch die Provider eigene Verantwortung,
und wir setzen darauf, daß sie Filtersoftware freiwillig verwenden.


politik-digital:
Die Zuständigkeiten für den Kinder- und Jugendschutz
im Internet sind unklar. Sowohl Polizei, als auch Bundesprüfstelle und
Jugendschutz.net befassen sich mit dem Thema. Halten Sie eine Neuordnung
der Kompetenzen für sinnvoll? Sollte es eine zentrale staatliche Institution
geben?

Bergmann:
Für den Bereich des Jugendschutzes im Internet hat der Bund mit dem Informations-
und Kommunikationsdienstegesetz aus dem Jahr 1997 bereits wichtige rechtliche
Änderungen vorgenommen. Die Bundesregierung wird dem Bundestag darüber
berichten, an welcher Stelle Anpassungs- und Ergänzungsbedarf besteht.
Der Abstimmungsprozeß innerhalb der Ministerien ist derzeit im Gange,
und ich möchte dem Ergebnis, das in 10 Monaten vorliegen wird, nicht vorgreifen.
Aber Sie können versichert sein, daß ich alles tun werde, um zu erreichen,
daß Kinder und Jugendliche vor jeder Art von Beeinträchtigungen und Gefährdungen
geschützt werden. Zeitgleich mit diesem Gesetz des Bundes haben die Länder
auf der Grundlage des Mediendienstestaatsvertrages in ihrem Zuständigkeitsbereich
eine zentrale Stelle – Jugendschutz.net – eingerichtet.


politik-digital:
Werden Sie als Ministerin sich mit einer eigenen
(gesetzlichen) Initiative in die Debatte einschalten?

Bergmann:
Als Jugendministerin gehört es zu meinen Aufgaben alles dafür zu tun,
daß unsere Kinder und Jugendlichen vor Gefährdungen geschützt werden.
Deshalb werde ich mich selbstverständlich in die Diskussion einschalten
und mich dort, wo Gesetzesänderungen notwendig werden, dafür einsetzen.


politik-digital:
Der ehemalige Compuserve-Geschäftsführer Felix
Somm ist wegen der Verbreitung von Kinderpornographie in erster Instanz
verurteilt worden. Das Urteil und seine Begründung haben in Deutschland
und vor allem im Ausland Widerspruch ausgelöst. Halten Sie die Verurteilung
für gerechtfertigt?

Bergmann:
In diesem Fall läuft das Verfahren noch. Eine Bewertung ist erst nach
Abschluß des Verfahrens möglich.


politik-digital:
Reicht angesichts der Globalität des Internets
ein nationales Vorgehen zum Kinder- und Jugendschutz im Internet aus?

Bergmann:
Angesichts des grenzüberschreitenden Mediums Internet reichen nationale
Maßnahmen natürlich nicht aus. Deshalb müssen sie durch internationale
Maßnahmen flankiert werden. Unser Ziel muß die Schaffung eines internationalen
Übereinkommens über Computer- und Datennetz-Kriminalität sein, in dem
strafrechtliche Mindeststandards und einheitliche Rechtshilferegelungen
weltweit verbindlich festgelegt werden. Weltweite Mindeststandards brauchen
wir auch zur wirksamen Bekämpfung jugendgefährdender Netzinhalte. Darüber
hinaus halte ich hier die Stärkung der Medienkompetenz, die Entwicklung
von Filter- und Bewertungssystemen sowie die freiwillige Selbstkontrolle
der Diensteanbieter für überaus wichtig.

Das Interview mit
Dr. Christine Bergmann führte Philipp Stradtmann