MIt ihrer Website politix.nl zeigen Josta
und Niels de Hoog, wie Parteien im niederländischen Parlament
über Gesetzesentwürfe abstimmen. Wie sich die Nutzer auf
politix.nl können und wie es um eDemokratie in den Niederlanden
bestellt ist, erklärt Josta de Hoog im Interview mit politik-digital.de.
politik-digital.de: Fangen wir mal mit den Basisinformationen
an: Welche Idee steckt hinter politix.nl?
Josta de Hoog: politix.nl
zeigt, wie die politischen Parteien in der so genannten Tweden Kaamer,
dem niederländischen Parlament, über Gesetzesentwürfe
und ähnliche politische Vorschläge abstimmen. Wer stimmt
für ein bestimmtes Gesetz, wer dagegen? Jede Woche, nach den
Abstimmungen im Parlament, erneuern wir die Ergebnisse. Online sind
wir seit Mai 2006.
Ich hatte die Idee zu politix.nl vor einiger Zeit, als ich bemerkte,
dass es nicht einfach ist, im Internet an Informationen zum Abstimmungsverhalten
der Parteien zu kommen. Das fand ich ein wenig seltsam; schließlich
sollen Parteien die Bürger repräsentieren, aber dann haben
die Bürger keine Möglichkeit, ihre Handlungen nachzuvollziehen.
politix.nl
Wie können Nutzer sich beteiligen – und wie
viele machen tatsächlich mit?
Zunächst einmal können Nutzer online die Gesetzesentwürfe
und Programme diskutieren, die im Parlament zur Abstimmung stehen,
und diese auch bewerten. Und sie können eigene politische Vorschläge
machen. Während der Parlamentswahlen bekamen wir etwa 100.000
Wertungen, zwischen den Wahlkämpfen haben wir etwa 1000 Visits
am Tag.
Beteiligung war aber nicht unser eigentliches Ziel – das war Transparenz.
Politische Transparenz ist die Basis für eDemocracy: Wenn die
Bürger immer genau darüber informiert wären, was
vor sich geht, wäre das schon ein großer Schritt in Richtung
eDemocracy.
Sind Sie davon ausgegangen, dass Ihr Projekt so erfolgreich
wird?
Nein, das habe ich mir so nicht vorgestellt. Aber ich habe schon
bald gemerkt, dass es ein Bedürfnis nach diesen Informationen
gibt. Als wir die Seite starteten, gab es oft Fragen von Nutzern,
ob das Abstimmungsverhalten der Parteien denn nicht schon längst
online wäre. Nun, dass hätte es wohl sein sollen, war
es in der Form aber nicht.
Was war Ihre Motivation, politix.nl zu starten? Sie betreiben
die Website ja zusammen mit ihrem Bruder, Niels de Hoog, ist das
richtig?
Ja, das stimmt. Ich habe meine Master-Arbeit über die Beziehung
zwischen Medien und Demokratie geschrieben. Und dabei habe ich festgestellt,
dass ich Informationen, wie Parteien im Parlament abstimmen, nicht
einfach im Internet finden konnte. Da hatte ich die Idee zu politix.nl.
Beim Bruder ist technisch recht begabt und meinte: Okay, dann baue
ich diese Website für dich.
Sie stellen auch ein Programm bereit, das „De Nieuwe
Kieswijzer“ heißt, „Der neue Wegweiser“.
Was kann dieses Tool und wie funktioniert es?
„Der
neue Wegweiser“ ist ein webbasiertes Abstimmungstool,
das wir während des Wahlkampfes angeboten haben. Vor den letzten
niederländischen Parlamentswahlen am 22. November 2006 hatten
wir schon 750 Abstimmungsergebnisse in unserer Datenbank. Diese
bildeten die Basis für das Programm.
Mit dem „neuen Wegweiser“ können Nutzer über
Gesetzesvorschläge, die auch dem Parlament vorlagen, abstimmen.
Dabei können sie wählen, über wie viele Vorschläge
sie abstimmen wollen – mindestens 30 – oder auch nur
über ein bestimmtes Thema abstimmen. Das Programm vergleicht
dann am Ende die persönlichen Ergebnisse mit dem tatsächlichen
Abstimmungsverhalten der Parteien. So bekommt der Nutzer eine kleine
Anleitung, für welche Partei er stimmen könnte.
Ähnliche Programme gab es vorher schon – die basierten
aber auf den Wahlversprechen der Parteien. Mit dem „neuen
Wegweiser“ kann der Wähler jetzt Parteien danach beurteilen,
was sie tatsächlich getan haben
.
De nieuwe kieswijzer – Der neue Wegweiser
Wie viele Menschen arbeiten für politix.nl?
Wir haben jetzt eine Stiftung gegründet. Sechs Freiwillige
sitzen im Ausschuss und haben beratende Funktion. Wir arbeiten außerdem
mit einer politischen Agentur zusammen, von dieser sind auch Mitarbeiter
mit politix.nl beschäftigt. Zudem arbeiten wir mit den Universitäten
von Leiden und Wageningen zusammen.
Wie finanzieren Sie das Projekt?
Für politix.nl arbeiten fast nur Freiwillige. Für das
Abstimmungsprogramm „De Nieuwe Kieswijzer“ haben wir
finanzielle Förderung von Digital
Poineers bekommen (eine niederländische Stiftung, die Projekte
für digitale Demokratie fördert, Anm. d. Red.). Die Universität
Leiden hilft, die Website zu betreiben.
Kennen Sie das Projekt thepublicwhip.org.uk
aus Großbritannien? Das ist politix.nl recht ähnlich:
Hier erfahren Nutzer, wie einzelne Parlamentsmitglieder abstimmen.
Warum beobachtet politix.nl nur das Abstimmungsverhalten der Parteien
und nicht auch das einzelner Abgeordneter?
Ja, ich kenne die Website, ich halte es für ein ziemlich cooles
Projekt. Tatsächlich wusste ich aber nichts davon, als ich
politix.nl startete.
Es ist wirklich sehr schade, dass wir das Abstimmungsverhalten einzelner
Abgeordneter nicht verfolgen können. In den Niederlanden ist
die Fraktionspflicht sehr strikt, fast 99 Prozent der Parlamentarier
halten sich daran. Sollte doch mal einer abweichen, bekommt man
seinen Namen nicht so leicht raus – und es kommt auch einfach
zu selten vor.
Wie haben die niederländische Regierung und einzelne
Politiker auf politix.nl reagiert?
Am Anfang waren die Reaktionen aus der Politik nicht ganz so positiv,
aber nun, wo sie sehen, wie die Datenbank funktioniert, sind sie
generell sehr davon angetan. Zum Start von politix.nl habe ich mit
einigen Politikern darüber gesprochen. Einer hat dann den Link
in seinem Weblog veröffentlicht. Das hat zu Beginn sehr geholfen,
Nutzer auf unsere Seite aufmerksam zu machen. Tatsächlich nutzen
sehr viele Politiker politix.nl selbst, wahrscheinlich, weil sie
keine eigene Datenbank für diese Informationen haben. Das Innenministerium
hat mich zudem gefragt, ob ich einem beratenden Ausschuss zum Thema
eDemocracy beitrete.
Arbeiten Sie mit Ministerien oder dem Parlament zusammen,
um an die Informationen zum Abstimmungsverhalten zu kommen?
Nein. Diese Informationen bekomme ich schon aus dem öffentlichen
Informationssystem. Aber das ist nicht so gestaltet, dass Bürger
es einfach verstehen und nutzen können: Man findet den Inhalt
der Gesetzesentwürfe in einem Dokument, Infos über das
Abstimmungsergebnis in einem anderen und Infos über die Stimmen
aus den einzelnen Parteien in wieder anderen. Die Informationen
gibt es also, aber sie sind nicht gut aufbereitet.
Wie beurteilen Sie die „eDemocracy-Szene“ in
den Niederlanden? Wie viel Aufmerksamkeit bekommt das Thema von
der Politik, von den Bürgern? Was könnte als Vorbild für
andere Staaten dienen?
Ich denke, es gibt schon viel Aufmerksamkeit für eDemocracy
und die Menschen interessieren sich für das Thema. Manchmal
wünschte ich mir nur, es würde ein bisschen weniger geredet
und ein bisschen mehr getan.
Ich glaube nicht, dass die Regierung der Online-Beteiligung mehr
Aufmerksamkeit schenken sollte als anderen Formen der politischen
Beteiligung. Aber politische Institutionen passen nicht mehr ins
Informationszeitalter, wenn Informationen nicht für alle verfügbar
sind.
Als Vorbild schaut natürlich jeder nach Großbritannien.
Die Projekte von MySociety
sind eine große Inspiration. Das bedeutet nicht, dass man
die Ideen kopieren sollte – schließlich funktionieren
politische Systeme in unterschiedlichen Staaten jeweils anders.
Es muss nicht unbedingt eine direkte Verbindung geben, aber man
kann sich hier durchaus Anregungen holen.
Wie soll es in Zukunft mit politix.nl weitergehen?
Zusammen mit dem Innenministerium planen wir regionale Ausgaben
von politix.nl in zwei Gemeinden. Diese sollen das Abstimmungsverhalten
in den kommunalen Parlamenten auflisten. Auf lange Sicht sollen
diese Ergebnisse in die Datenbank von politix.nl einfließen.
Zudem arbeite ich gerade mit einer anderen Organisation, Het
Nieuwe Stemmen („Das neue Wählen“) an einer
niederländischen Version von WriteToThem
von MySociety. (Nutzer können ihre Postleitzahl eingeben und
so die Abgeordneten auf ihrem Wahlkreis finden und ihnen E-Mails
schreiben, Anm. d. Red.). Das ist ein konkretes Beispiel für
Inspirationen aus Großbritannien.
Übersetzung aus dem Englischen: Simone Gerdesmeier