Soziale Medien, Internet- und Kommunikationstechnologien beeinflussen zunehmend die Arbeit der Polizei. Eine Studie des EU-Projekts COMPOSITE geht der Frage nach, welche Technologien bei Europas Polizeien zum Einsatz kommen.
Gegenstand der vergleichenden Studie – COMPOSITE steht für Comparative Police Studies in the EU – war u.a. die Frage, wie sich die eingesetzten Technologien in den untersuchten Ländern unterscheiden, welche kulturellen und organisatorischen Gründe dafür verantwortlich sind und welche Gemeinsamkeiten und länderübergreifenden Kooperationen es gibt. Außerdem wird untersucht, welche Perspektiven sich durch die neuen Technologien und Social-Media-Kanäle für die Polizeiarbeit ergeben. Über die bisherigen Erkenntnisse sprach politik-digital.de mit Sebastian Denef vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT), das an der Studie beteiligt ist.
Herr Denef, wie ist die Gesamtstudie angelegt, welche Untersuchungen folgen noch?
Unsere Studie fand im Rahmen des von der Europäischen Kommission geförderten Projekts ‘COMPOSITE’ statt, das Veränderungsprozesse bei Polizeiorganisationen in zehn europäischen Ländern untersucht. Dieses Projekt begann im August 2010 und ist für eine Laufzeit von vier Jahren geplant.
In der durchgeführten Studie befragten wir Polizisten aus den beteiligten Ländern nach aktuellen und geplanten Projekten und sprachen mit Industrievertretern über die neuesten technischen Entwicklungen. Ziel der Studie war es, Themenfelder von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) bei den Polizeien zu identifizieren.
Auf der Basis der Ergebnisse werden wir zunächst Workshops organisieren, bei denen Polizisten und Technologieentwickler sich austauschen. Im Anschluss wird es darum gehen, die Themenfelder vor Ort zu studieren und dabei auch die Sichtweisen der Bürger auf die neuen Technologien bei den Polizeien zu untersuchen.
In der Studie sprechen Sie von zu berücksichtigenden kulturellen und sozialen Unterschieden der Länder. Können Sie das näher erläutern?
Die Veränderungen, die in den beteiligten Ländern anstehen, sind unterschiedlich. Schon in Deutschland gibt es da große Unterschiede. In Brandenburg etwa sinkt die Bevölkerungszahl und die Polizei muss sich entsprechend verkleinern und daher Dienstleistungen mobil in Polizeifahrzeugen anbieten, die vorher nur auf Wachen durchgeführt werden konnten, ein Problem, das in anderen Regionen Deutschlands nicht besteht. Im europäischen Vergleich steht z. B. die deutsche Bundespolizei vor der Herausforderung, einen wachsenden Reiseverkehr zu bewältigen, wohingegen in den neuen europäischen Staaten die Grenzpolizeien damit beschäftigt sind, die Richtlinien des Schengen-Abkommens umzusetzen.
Welche Technologien werden in anderen Ländern stärker oder ausschließlich eingesetzt, welche primär in Deutschland?
Nur ausgewählte Projekte, etwa die Entwicklung von mobilen Körperscannern in den Niederlanden, fanden sich nicht in anderen Ländern. Auffällig war auch, was den Einsatz von Social Media als Mittel der Kommunikation angeht, dass besonders die Polizeien in Großbritannien und den Niederlanden damit schon umfangreiche Erfahrungen gesammelt haben.
Welche künftigen Techniken erwarten Sie und die von Ihnen befragten Firmen?
Die neuen Systeme sollen dem Polizisten Informationen in Echtzeit, d.h. unmittelbar, ortsbezogen und mobil zur Verfügung stellen. Der Polizist wird so so vor Ort bei seiner Arbeit unterstützt und kann auch Berichte zeitnah verfassen.
Wie stark werden soziale Medien zur Öffentlichkeitsarbeit in den untersuchten Ländern eingesetzt?
In den Niederlanden können sich die Bürger online aktuelle lokale Informationen von der Polizei abonnieren, die sie per SMS erhalten. Zudem wird die Bevölkerung mittels Twitter über aktuelle Ereignisse informiert, etwa vor Autodieben gewarnt oder um Mithilfe bei der Personensuche gebeten. In Großbritannien versteht die Polizei soziale Medien als einen Kanal, über den die Polizei bürgernäher und transparenter werden kann. Erste Tests mit der intensiven Nutzung von Twitter wurden dort durchgeführt, bei der die Polizei umfassend und nahezu kontinuierlich über ihre Arbeit berichtet. Andere Polizeien in Europa verwenden soziale Medien wie YouTube lediglich als weiteren Kanal, auf dem allgemeine Informationsvideos über die Polizeiarbeit veröffentlicht werden.
Rechnen Sie in Deutschland mit "Verbrechensreport-Apps", Tweets wie in den Niederlanden, wo auch über den Einsatz von Skype nachgedacht wird, oder mit YouTube-Berichten wie in Mazedonien?
Obwohl wir in unserer Studie auf große Übereinstimmungen zwischen den Ländern stießen, lernten wir auch, etwa aus Großbritannien, dass es Technologien gibt, die in Deutschland in dieser Breite nicht eingesetzt werden. Dort steigt etwa durch eine umfassende automatische Erfassung von Autokennzeichen die Anzahl der Personenüberprüfungen. IKT bei der Polizei ist also durchaus länderspezifisch und man kann nicht zwingend von der Nutzung oder Einführung in einem Land auf ein anderes Land schließen. Wie genau die Zukunft von Social Media bei der deutschen Polizei aussehen wird, welchen Nutzen, welche Akzeptanz der Einsatz haben wird, kann ich nicht vorhersehen. Klar scheint aber, dass es ein Thema ist, das die Polizeien in der Zukunft beschäftigen wird.
Welches Maß an Transparenz der Polizeiarbeit wird durch die sozialen Medien notwendig – und ist dieses angesichts ermittlungstaktischer Beschränkungen überhaupt leistbar?
Wie unsere Studie zeigt, wird der Einsatz von Social Media oft als Mittel der Kommunikation verstanden, um die Arbeit der Polizei transparenter und bürgernäher zu gestalten. Inwieweit dies möglich oder erfolgreich ist, ist Teil der weiteren Forschung.
Ganz unabhängig vom Einsatz dieser Medien durch die Polizeien nutzen aber auch die Bürger selbst diese neuen Medien und bringen die Arbeit der Polizei ins Licht der Öffentlichkeit – ebenfalls eine Veränderung für die Polizeiorganisationen.
Wie sehr sind soziale Medien auch als Ermittlungsgrundlage relevant? Wohin geht Ihres Erachtens der Trend?
Auch dies ist ein Thema, dass die Polizeien derzeit beschäftigt. Vorgehensweisen für die Ermittlung werden definiert, Softwareanbieter entwickeln Systeme für Polizeien, die die Beamten in der Ermittlung online unterstützen sollen. Wie die Ermittlung online aber genau ausgeprägt sein wird, ist noch offen. Die wachsende Vernetzung des gesellschaftlichen Lebens mit Social Media macht die Relevanz dieses Themas für die Polizei deutlich. Wir verstehen das große Interesse an unserer Forschung, sowohl von Seiten der Öffentlichkeit, als auch von Seiten der Polizei, als einen positiven Indikator dafür, dass ein Dialog darüber notwendig und gewünscht ist.
Welche Probleme, die erst durch den Einsatz der IKTs generiert werden, sehen Sie für die Polizei? Zu denken wäre da bspw. an Hackerangriffe auf zentrale Rechner oder Intranets.
Die Sicherheitsanforderungen an polizeiliche Informationssysteme sind zweifelsohne hoch, gerade im europäischen Kontext. Wir fokussieren unsere Arbeit aber vor allem auf sozio-technische Herausforderungen, denn neue IKT muss in die bestehende Organisation und Arbeitsabläufe integriert werden. Die Bedienerfreundlichkeit der Geräte im Einsatz, die Schulung der Mitarbeiter und die Berücksichtigung der Kultur und Identität der Polizeien stellen hohe Anforderungen an die Entwicklung dieser Technologien.
Sebastian Denef arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer Institut für angewandte Informationstechnik (FIT) in Sankt Augustin und leitet im europäischen Projekt COMPOSITE zu Veränderungsprozessen in Europäischen Polizeiorganisationen das Arbeitspaket “Technology Adaptation”. Sein Forschungsinteresse gilt der Gestaltung von Computertechnologie in sozialen Kontexten. Sebastian Denef studierte Media System Design an der Hochschule Darmstadt und promoviert derzeit an der Technischen Universität Delft.