Über 16.000 Euro sammelte das Behandlungszentrum für Folteropfer durch einen per Mail verschickten Spendenaufruf an 70 Personen. Das Besondere: Der Aufruf war als Kettenbrief angelegt. Ein Interview mit dem Initiator Michael Langhof.
Frage: Wie kam es zu der Idee, E-Mails in Kettenbrief-Form für das Fundraising zu nutzen?
Michel Langhof: Ich habe im Herbst 2004 in der SZ über die Pro-Kerry-Initiative ”
move on” in den USA gelesen, die Anti-Bush-Anzeigen bzw. -Fernseh-Spots schaltete und per E-Mail um Geld bat, um die Kosten decken zu können. Angeblich kamen dabei innerhalb weniger Stunden bis zu 500.000 USD zusammen. Und das gleich mehrmals.
Frage: Wie wurde die Kampagne aufgesetzt?
Michel Langhof: Wenn man davon absieht, dass ich mir von der Buchhaltung des Behandlungszentrums für Folteropfer (
bzfo) eine Konto-Nummer geben ließ, die nur für diese Spendenaktion reserviert war, gar nicht. Ich habe den Text geschrieben und an Freunde und Bekannte gemailt. Dabei habe ich zwei Verteiler genutzt, an die ich sonst meine Weihnachts- bzw. Neujahrswünsche verschicke, jeweils 60 bis 70 Adressen. Basta!
Danach habe ich die Buchhaltung des bzfo informiert und gebeten, mir von Zeit zu Zeit den aktuellen Spendenstand mitzuteilen.
Die Bezeichnung “aufgesetzt” wäre für eine Arbeit von max. zwei Stunden also reichlich übertrieben.
Frage:
Welche strategischen und taktischen Überlegungen spielten bei der Konzeption eine Rolle?
Michel Langhof: Nix Strategie, nix Taktik, ich hab’s einfach ausprobiert, nachdem ich die höhere Mathematik bemüht habe und 30 mal 30 mal 30 mal 3 multipliziert habe, um auf den anvisierten Betrag von 81.000 Euro zu kommen. Denn was die Amis können, können wir schon lange … dachte ich wenigstens, bis ich eines Besseren belehrt wurde.
Frage: Welche Ergebnisse wurden erzielt?
Michel Langhof: Insgesamt wurden von 116 Spendern gut 16.500 Euro gespendet.
Drei Euro hat kein einziger gespendet, der Mindestbetrag waren fünf Euro, und selbst der kam eher selten. Es kamen aber auch zwei Spenden von über 1000 Euro … dabei vermute ich allerdings, dass diese Leute durch meine Mail nur erinnert wurden, also sowieso vorhatten, zu spenden. Nicht mein Verdienst demnach!
Frage: Wer hat gespendet, wie viel wurde gespendet?
Michel Langhof: Da das ganze als private Initiative “getarnt” war, habe ich absichtlich nicht kontrolliert, wer gespendet hat. Dadurch konnte ich auf Nachfrage, ohne zu lügen, jederzeit sagen, ich hätte keine Ahnung, ob eine bestimmte Spende eingegangen sei.
Ich weiß allerdings aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen, dass nicht nur Leute gespendet haben, die ich angeschrieben habe, sondern auch welche aus dem zweiten oder dritten “Kettenglied”
Frage: Wie lange dauerte es, bis die Spenden eingegangen waren?
Michel Langhof: Die letzte Spende vor meinem Dank und der Ergebnismeldung ging rund 3 ½ Monate nach der ersten E-Mail ein. Danach habe ich keine Ahnung.
Frage:
Wie haben die Angeschriebenen auf das Ansinnen reagiert, die E-Mail weiterzuschicken? Wie viele haben dies gemacht?
Michel Langhof: Bis auf wenige Ausnahmen weiß ich das nicht. Wenn aber jemand reagierte, dann meistens positiv. Echte negative Reaktionen gab es nicht, höchstens hin und wieder Unmut einiger Leute darüber, dass sie von anderen (also nicht von mir) eine E-Mail bekommen hätten, in der sämtliche Empfänger statt in die BCC-Zeile in die Adress-Zeile geschrieben worden waren. In Spam-Zeiten weiß man, was das zur Folge haben kann. So musste auch ich es eine Zeit lang büßen: während ich bis dahin – ungelogen – keine einzige Spam-Mail erhalten hatte, fand danach ziemlich regelmäßig ein Würmchen o. dgl. den Weg auf meinen Rechner, um gleich von Norton erbarmungslos platt gemacht zu werden. Hat sich aber wieder gelegt.
Frage: Warum haben nicht alle die E-Mail weiter geschickt?
Michel Langhof: Kann ich nur vermuten: z. B., weil nicht alle Leute wissen, wie man eine E-Mail an mehrere Adressen gleichzeitig verschickt. Und wenn man das nicht weiß, wird’s ziemlich mühsam.
Mit Sicherheit waren aber auch unter denen, die’s gewusst hätten, einige, die hartleibig geblieben sind, weil sie so etwas einfach blöd finden: “Jetzt gehen solche Kettenbriefe, noch dazu Bettelbriefe, auch schon übers Zwischennetz los!”. Insofern kann die Kettenbrief-Rechnung 30 mal 30 mal 30 nie und nimmer aufgehen.
Frage:
Für welche Form von Kampagnen kann man so ein System nutzen? Wann verspricht eine derartige Kampagne Erfolg?
Michel Langhof: Im Prinzip für alle Kampagnen, siehe Anti-Bush.
Frage:
Wie kann der Prozess optimiert werden?
Michel Langhof: Z.B. durch Nachhilfeunterricht bei der Benutzung von Outlook et al. … Empfänger unbedingt in die BCC-Zeile (s.o.), Anlegen eines E-Mail-Verteilers u. dgl. mehr Basiswissen.
Und vielleicht auch eine beruhigende Erklärung, dass eine Online-Spende (!) nicht direttamente in den Bankrott führt, sondern nix anderes als eine per E-Mail erteilte und obendrein einmalige Einzugsermächtigung ist.
Dann wird die E-Mail allerdings ziemlich umfangreich und beladen mit Ballast, der mit dem eigentlichen Anliegen nix mehr zu tun hat. Das habe ich in einer zweiten Welle hinterher geschoben – als getarnte Erinnerung. Dass das hilfreich war, bezweifle ich jedoch.
Frage:
Würde ein emotionalerer Appell größere Wirkung erzielen?
Michel Langhof: Weiß ich nicht und kann man vermutlich auch gar nicht verallgemeinern. Gilt es auszuprobieren, kostet ja außer ein bisschen Zeit nix!
Frage:
Wirkt diese Form der Kampagne durch die quasi private Ansprache?
Michel Langhof: Wahrscheinlich schon. Dagegen spricht allerdings, dass ich die Ketten-Mail nicht nur an Duz-Freunde geschickt habe, sondern über einen zweiten Verteiler (s.o.) auch an mehr oder weniger flüchtige Bekannte, Geschäftspartner etc., mit denen ich per Sie bin, sie manchmal noch nicht einmal persönlich kenne. Aber selbst aus diesem Kreis kamen zwei positive Reaktionen per E-Mail.
Frage:
Welches Resümee lässt sich ziehen?
Michel Langhof: Wenn man bedenkt, dass mit den erwähnten 2 Stunden Arbeit ein solches Ergebnis erzielt wurde, ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis gewaltig und nicht zu vergleichen mit jeder anderen Kampagnen-Form.
ALLERDINGS finde ich das Ergebnis trotzdem enttäuschend, weil sich nämlich nur 116 Menschen beteiligt haben statt der 27.000, die es hätten sein müssen, um bei einem Betrag von je 3 Euro auf € 81.000 zu kommen.
An Erklärungen dafür gibt es m.E. mehrere: die schon erwähnten Unsicherheiten mit der E-Mail-Software, aber auch grundsätzliche Vorbehalte gegen Online-Spenden (“Was passiert da?” “Räumen die dann mein Konto leer?” “Wer weiß, ob die auf diesem Weg nicht meinen PIN-Code ausspionieren?!” etc. etc.), die man – in Deutschland, heute – nicht unterschätzen sollte.
Aber auch schlichtes Vergessen gab es: “Ich hab immer noch nicht gespendet. Ist es jetzt schon zu spät?” Und wie wir aus den Zeiten der verblichenen Kettenbriefe wissen, ist das tödlich für die Kette. Wenn das schon im ersten Durchgang passiert, sind es auf einen Schlag 900 Leute weniger, die die E-Mail erhalten.
Andererseits weiß natürlich kein Empfänger, an welcher Stelle der Kette er steht, so dass es rein theoretisch auch denkbar ist und vielleicht sogar vorkommt, dass die Kette an manchen Stellen aus 4, 5 oder mehr “Gliedern” besteht. Ob das aber zur Kompensation der Abreißer reicht, ist eine andere Frage.
Und schließlich: Bei weitem nicht alle haben einen E-Mail-Verteiler von mindestens 30 (privaten) Adressen, so dass die Rechnung nicht einmal dann aufgeht, wenn man, wie ich, nicht an nur 30 Adressen, sondern an rund 120 geschrieben hat.
Deutschland ist vielleicht noch nicht reif für diese Form der Spendenwerbung. Dennoch: 16 1/2 Tausend sind auch nicht schlecht! Und neue brandheiße Spenderadressen gab es obendrein. Also nicht jammern und picheln, sondern hammern und sicheln!
Wenn es Nachahmer gibt, was ich hoffe, würde mich interessieren, welche Erfahrungen die machen.
Wir danken Michel Langhof für diese interessante Form der Spendenwerbung per E-Mail. Michel Langhof erreichen Sie über das
bzfo
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Der Autor Kai Fischer ist Herausgeber des Newsletters
Online Fundraising und Geschäftsführer der
AMM GmbH.
Zuerst erschienen im Newsletter von fundraising.de vom 16.03.2005