“war blogs”, “aljazeera.net”: Für viele war das Internet während des Irak-Kriegs die einzige Quelle authentischer Informationen. politik-digital chattete zu diesem Thema mit Dr. Christoph Bieber, wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Zentrum für Medien und Interaktivität der Universität Giessen.
politik-digital: Wer nutzte wie das Internet während des Irak-Kriegs?
Christoph Bieber: Während des Irak-Kriegs war eine gesteigerte Internet-Nutzung in den unterschiedlichsten Kriegsphasen durch ebenso unterschiedliche Akteure zu beobachten. Ganz ähnlich im übrigen zu den Ereignissen rund um “9-11”, als es eine Art “Arbeitsteilung” zwischen unterschiedlichen Medienumgebungen gegeben hat.
politik-digital: Welche Akteure meinen Sie?
Christoph Bieber: Politiker und Militärs haben bereits zur Vorbereitung der Kampfhandlungen Neue Medien eingesetzt, z. B. in Form von Simulationen als Vorbereitung auf konkrete Gefechtssituationen oder für die Entwicklung strategischer Optionen.
Aber auch “die Truppen” selbst nutzen IuK-Technologien, vom Mobiltelefon zum Heimatkontakt bis zum ausgefeilten Einsatz von Peer-to-Peer-Servern im Kampf gegen die Langeweile, indem Sie illegaler Weise Musikdateien kopierten. Aber nicht nur die Angreifer, auch die Angegriffenen haben stark auf das Internet gesetzt – für viele schien dieser Kanal eine der wenigen Möglichkeiten zur Weitergabe “ungefilterter”, wenn man so will “authentischer”, Informationen gewesen zu sein.
politik-digital: Wie und mit welcher Absicht nutzten Politiker bzw. die Regierung das Internet bzw. Neue Medien?
Christoph Bieber: Die Politiker haben vielleicht nicht direkt selbst Neue Medien genutzt, wohl aber die wichtigen Stabsstellen oder zum Beispiel einschlägige
Think Tanks, die zum Teil sogar Konsolen-kompatible Kriegsspiele und -simulationen entwickelt haben, um sich auf entsprechende Szenarien eines zweiten Golf- und Wüstenkriegs vorbereiten zu können. Eine zentrale Überlegung, die ja auch in die “Rumsfeld-Doktrin” eingeflossen ist, war ja die Ermöglichung “dezentraler, aber permanent vernetzter Kampfhandlungen” – und dies ist ohne den Einsatz moderner Medientechnologien nicht denkbar. Sehr interessant ist in dieser Hinsicht auch die Überlegung von
Mike Davis, der die Art der Kriegsführung mit der Führung des Walmart-Konzerns verglichen hat – Ziel war die Kontrolle und Steuerung einer perfekt aufeinander abgestimmten Maschinerie, die über sehr viele selbstständige Knotenpunkte verteilt ist, aber immer genau über die Aktionen der jeweils anderen informiert ist.
politik-digital: Und wie wurde das Internet von den Medien genutzt?
Christoph Bieber: Ein weiterer wichtiger Online-Akteur sind selbstverständlich die digitalen Filialen der etablierten Massenmedien. Auf Seiten wie spiegel-online, CNN, BBC u.a. wurde noch dauerhafter als in Fernseh- und Printpublikationen über den Krieg berichtet. Interessant ist hierbei, dass es offenbar eine wechselseitige Beeinflussung der medialen Aufbereitung der Ereignisse gegeben hat. Die “Tageszusammenfassung” etwa in der ARD-Sendung Tagesthemen sah eigentlich eher aus wie eine mit Ton unterlegte Flash-Animation und nicht wie ein “herkömmlicher” Fernsehbeitrag. Insgesamt haben aber auch die begleitenden Online-Angebote nicht zu einer Klärung der Lage beigetragen – mehr Information heißt nicht notwendiger Weise auch mehr Wissen.
politik-digital: Was also war der Mehrwert der Online-Medien und ihrer Berichterstattung? Die zeitnahe und aktuellere Berichterstattung? Oder eine verpasste Chance?
Christoph Bieber: Im medialen Quervergleich hat das Internet gegenüber den Print-Medien sicher seine Zeitvorteile ausgespielt – gegenüber dem Fernsehen war zumindest in den ersten Kriegstagen jedoch nicht sehr viel zu holen. Die Vernetzung in den “news flow” der Kriegsnachrichten war im Netz sicher (noch) besser möglich, als in den alten Medien – aber trotz allem war der Fernsehbildschirm der bevorzugte Ort der Berichterstattung. Ich würde hier auch nicht unbedingt von einer verpassten Chance sprechen, denn die “Online-Medien” sind de facto einfach nicht so reichweitenstark und präsent wie vor allem das Fernsehen. Vielmehr dürfte sich bei einem fundierten Vergleich zeigen, dass es eben massive Unterschiede in der finanziellen Ausstattung zwischen Online- und Offline-Medien gibt und daher die Internet-Berichterstattung eher als “Annex” der Fernsehbilder existiert. Eine formale und insgesamt auch sehr auffällige Neuerung wären vielleicht Netz-Tagebücher (“war-blogs”) der TV-Korrespondenten oder anderer Journalisten gewesen.
politik-digital: Sind diese Netz-Tagebücher eine neue Form der Informationsquelle und halten sie etablierte Qualitätsanforderungen an solche Quellen ein?
Christoph Bieber: Das in den Medien am deutlichsten sichtbare Instrument waren sicherlich die so genannten “war-blogs” als neue Form des Kriegstagebuches – die direkt am Ort des Geschehens verfassten Erlebnisprotokolle greifen eine aktuelle Form des digitalen Publizierens auf. Sicher stellen die war-blogs eine Ergänzung zu etablierten Medienberichten dar, doch ist wohl die Frage nach der Authentizität solcher Websites (werden sie tatsächlich am Kriegsort produziert, oder nicht) eine Schlüsselstelle zur Einschätzung solcher Angebote. Allein die Tatsache, dass dieses “Nachrichtenformat” allein via Internet funktionierte, berechtigt meines Erachtens nicht zur pauschalen Infragestellung – wie man mit Blick auf den
Hörfunk-Korrespondenten sieht, der seine Berichte in einer Besenkammer in Swasiland produziert hatte. Vielmehr ist das Misstrauen in dieses Format ein unmittelbares Resultat der medialen Kriegsberichterstattung der letzten Jahrzehnte – Pool-Journalismus, Bild- und Journalistenkontingente und zuletzt der “embedded journalism” haben nachhaltig das Vertrauen in Nachrichtenproduktion und -distribution in Kriegszeiten untergraben. Kampfhandlungen geschehen heutzutage in einer Art “medialem Vakuum”, und die Spezialausrüstung zum Betreten dieses Raumes erhalten nur ganz wenige Auserwählte.
politik-digital: Wer misstraut scheint mir hier wichtig zu sein. Wenn etablierte Medien misstrauen, da sie ihre Regeln verletzt sehen, kann es da nicht sein, dass ein neuer Konkurrent ausgeschaltet werden soll? Und wird ein gängiges Vorurteil gegenüber Online-Medien wiedergenutzt?
Christoph Bieber: Glaubwürdigkeit ist seit jeher ein Kernproblem für Informationen “aus dem Internet” – die alten Medien besitzen hier einen Vertrauensvorschuss, von dem sie zehren und den sie natürlich auch wahren wollen. Und in der Tat, man könnte hier einen medialen Macht- und Verteilungskampf vermuten.
politik-digital: Gern zitiert wurde in Online-Medien die These, das was der Golfkrieg 1991 für CNN bedeutete, sei der Irak-Krieg 2003 fürs Internet. Ist das Internet ein Kriegsgewinner?
Christoph Bieber: Das Internet wird sich durch diesen Krieg weiter fest in der Medienlandschaft platzieren. Ich denke, dass das Internet die (alte) Medienberichterstattung durchaus auch durch die Hintertür beeinflusst – und sei es auch “nur” durch den Einsatz von “Flash-Animationen” in renommierten Nachrichtensendungen. Mein Eindruck beim Anschauen der Kriegsnachrichten war, dass sich das Internet als Sekundär- und Vertiefungsmedium noch nachhaltiger in der “alten Medienwelt” eingegraben hat. Auch wenn die etablierten Medienvertreter es oft “nur” als Lagerplatz für überschüssiges Material verwendet haben und – wie so oft – nicht die “interaktiven” Möglichkeiten genutzt haben. Die großen Medien-Websites wären ein idealer Ort zur Einbindung alternativer und etablierter Medienkanäle gewesen – ob in Korrespondenten-Chats, Zuschauersprechstunden, Experten-Diskussionen oder dem Abwägen unterschiedlicher Informationsquellen.
politik-digital: Sie sprechen ausgelassene Chancen an. Gibt es noch weitere bzw. positive Beispiele?
Christoph Bieber: In wenigen Fällen konnte das Internet auch einmal andere Bildwelten als die gängigen TV-Reportagebilder liefern – das Projekt
“wartime” versuchte sich als Plattform für die ästhetische Auseinandersetzung mit Krieg und Kriegsbildern. Zu sehen waren und sind Kunstprojekte, die auf unterschiedlichste Art und Weise mediales Bild-, Text- und Tonmaterial mischen, um so eine völlig neue Sicht auf die Ereignisse erlauben. Entstanden ist dabei ein avancierter Ort der Kritik – der allerdings im (Main-)Stream der Fernsehbilder so gut wie völlig untergegangen ist.
politik-digital: Zurück zu den Netz-Tagebüchern (Web-Blogs): Kann man von einer Politisierung der Blogging-Szene durch den Krieg sprechen?
Christoph Bieber: Die Politisierung der Blogger-Welt ist sicher ein natürliches Medien-Phänomen – die Live-Reportage vor Ort war auch nicht unbedingt als Blaupause für Kriegsberichterstatter gedacht. Insofern halte ich das für ein recht logisches Phänomen, das sich auch in anderen Zusammenhängen politischer Kommunikation wieder zeigen wird.
politik-digital: Wie kann ich mir das vorstellen? Meinen Sie etwa ein Roland-Koch-Tagebuch im Bundestagswahlkampf 2006?
Christoph Bieber: In den abgelaufenen Online-Wahlkämpfen hat es durchaus so etwas wie eine “Sparversion” von Politiker-Blogs gegeben, denkt man etwa an die Schröder-Tour-Website oder nicht zuletzt das Guidomobil samt medialen Begleiterscheinungen. Das waren durchaus “wesensverwandte” Formen der Darstellung tagesaktuellen Wahlkampfhandelns – wobei die Inhalte selten “politisch” im Wortsinne waren. Spannender – und “authentischer” wären Politiker-Blogs eigentlich in entscheidungsrelevanten Phasen von Politik. Ein Kanzler-Blog, der die Entscheidungsfindung der SPD zur “Agenda 2010” zwischen Regierungserklärung und Parteitag dokumentiert – das wäre mal ein medialer Durchbruch.
politik-digital: Letzte Frage: Während des Krieges sei laut der englischen Tageszeitung
Guardian bei Lycos dreimal mehr nach dem Begriff „al-Jazeera“ als “Sex” gesucht worden. Zeigt das den gewachsenen Stellenwert des Internets als Informationsquelle?
Christoph Bieber: Hurra ;-). An solchen Resultaten kann man allmählich das “Erwachsenwerden” des Internet beobachten – es ist nämlich längst nicht mehr nur die Schmier- und Schmuddelecke der Medienwelt, sondern wird inzwischen weitaus normaler und selbstverständlicher in den Medienalltag der Benutzer integriert. Und dann ist eine solche Nachfragehäufigkeit nur logisch.
politik-digital: Vielen Dank für das Interview!
Das Interview mit Dr. Christoph Bieber führte Clemens Lerche.