(Interview) Auf
protestnote.de kann jeder loswerden, was ihn an der aktuellen Politik stört. Mit seinem neuen Projekt will Stephan von Orlow direkte Demokratie fördern. Im Interview erzählt er von politischem Desinteresse, regionalen Initiativen und Politik als Spiel.
Wogegen protestieren Sie?
Ich rege mich eher auf. Zum Beispiel darüber, dass so viele Menschen mittlerweile gar nicht mehr ans Wählen denken. In Berlin hatten wir ja gerade die Landtagswahlen mit weniger als 59 Prozent Wahlbeteiligung, das ist einfach zu wenig.
Woran liegt das?
Ich glaube, die Politik hat sich zu weit von den Bürgern entfernt, wenigstens in deren Wahrnehmung. Politiker sehen das vielleicht anders. Es braucht ein Medium, um erfolgreich direktdemokratisch arbeiten zu können. Deswegen protestnote.de, “gemeinsam für die gerechte Sache” ist der Slogan. Hier können Bürger direkt Forderungen an die Politik stellen. Man entdeckt einen Missstand, und man bekommt das Gefühl, etwas muss da passieren. Also einfach eine Protestnote schreiben.
Ist protestieren allein nicht zu wenig?
Der Begriff Protest wird oft falsch verstanden. Es stammt von dem Wort protestare, das für die Überprüfung einer Sache steht, also einen konstruktiven Hintergrund hat. Insofern verstehen wir uns eher als konstruktives Portal.
Auf Ihrer Seite vergleichen Sie den Protest mit einem Spiel. Politik ist für Sie ein Spiel?
Es soll ein Spiel sein, das hoffentlich in der Realität Auswirkungen hat, dank des Votums der Nutzer. Onlinespiele kennt fast jeder, aber kaum jemand arbeitet heute noch ehrenamtlich. Wenn wir die Menschen spielerisch erreichen, engagieren sie sich vielleicht ja auch wieder.
Ist protestnote.de nicht einfach nur ein weiteres Web 2.0-Konzept?
Was versteht man heute nicht alles unter Web 2.0? Wenn es darum geht, dass der Inhalt überwiegend durch die Nutzer generiert wird, kann man, wenn man will, dieses Modewort auch für protestnote.de verwenden – als “politisches Web 2.0” Aber wir sind andererseits auch kein Forum. Protestnote.de bildet einen Prozess ab, indem dort Forderungen, Diskussionen und Lösungen gleichermaßen nachvollziehbar sind. Wer eine Protestnote erstellt mit Vorschlägen, um die Dinge besser zu machen, muss auch Menschen suchen, die einen mit ihrer Stimme unterstützen. Und genau da liegt der Unterschied zu den Foren.
Und wer soll mitmachen?
Wir unterscheiden vier Typen von Nutzern: Zum einen die, die völlig desinteressiert an Politik sind und sich gar nicht einmischen. Die zweite Gruppe nimmt zwar politische Themen wahr, aber macht nichts daraus und partizipiert somit auch nicht an politischer Willensbildung. Die dritte Gruppe nimmt politisch teil: Sie diskutiert ernsthaft mit, sie verarbeitet Inhalte weiter und zieht ein Fazit daraus. Diese Gruppe ist allerdings eher selten in der Lage, diese Inhalte zu aktiver Politik zu machen. Zu der letzten Gruppe gehören die Menschen, die aktuelle Politik durchführen, bestimmen und gestalten. Diese Gruppe nimmt somit auch Einfluss auf die anderen Gruppen. Mit protestnote.de wollen wir alle vier Gruppen erreichen.
Knapp 700 Stimmen zu 55 Protestnoten und 170 angemeldete Benutzer in vier Monaten. Das ist nicht gerade viel.
Wir sind immer noch in der Entwicklungsphase und könnten uns kein schnelleres Wachstum leisten. Momentan sind es bis zu 250 Besucher mit etwa 700 besuchten Klicks am Tag. Wir finanzieren uns ausschließlich privat, es gibt keinen Sponsor. Wir wollen damit einen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Wir wollen zunächst einmal wissen, was überhaupt machbar und denkbar ist. Wir tasten uns noch an die optimale Funktionalität ran und werden erst dann in die Breite gehen. Wir lassen uns bewusst Zeit, weil wir erst diesen Lernprozess durchlaufen wollen, bevor wir uns einem größeren Publikum präsentieren.
Wann soll das sein?
Geplant ist, dass wir ab Januar „öffentlich“ werden. Momentan bereitet ein Team von fünf ehrenamtlichen Mitgliedern diesen Start vor. Wie gesagt befinden wir uns zum aktuellen Zeitpunkt noch in einer, wenn auch öffentlich sichtbaren, Entwicklungsphase.
Wie geht es konkret weiter?
Wir wollen uns regionale Partner suchen, die ihre Portale mit Informationen von protestnote.de füttern, und damit den Einfluss von regionalen Entscheidungen beeinflussen. Wir wissen: Proteste haben entweder einen regionalen oder einen überregionalen Bezug. Das Element der Politikkarte auf unser Seite ermöglicht es, das Interesse lokal zu filtern. Man kann somit die Informationen regional auswählen. Denn mal ehrlich: Was interessiert den Berliner, wenn in Stuttgart ein Sack Reis umfällt?
Glauben Sie ernsthaft, dass die Protestnoten bei den jeweiligen Entscheidungsträgern Gehör finden werden?
Wenn die Mitgliederzahl hoch genug ist und der Prozess angenommen wird, sollte auch die Akzeptanz seitens der Entscheidungsträger steigen. Besonders im regionalen Fokus könnte protestnote.de auch die Entscheidungsfindung nachhaltig fördern und den Bürger dabei mehr mit einbinden. Auf der regionalen Ebene erhoffen wir uns auch die stärkste Wirkung unseres Projekts. Die Bürgerinnen und Bürger können nun nicht mehr nur alle paar Jahre ein vages Parteiprogramm wählen, sondern täglich direkt Stellung zu aktuellen Themen nehmen. Unser Motto: 10 Minuten in der Woche reichen, um politischen Einfluss auszuüben. Und der Einzelne hat das Gefühl, wirklich dabei zu sein.