Ein Interview mit Dieter Otten,
Professor an der Universität Osnabrück und Leiter der
Forschungsgruppe Internetwahlen, über die Erfahrungen bei der
Durchführung von Online-Abstimmungen.
Ein Interview mit dem Leiter der Forschungsgruppe Internetwahlen, Prof. Dr. Dieter Otten

politik-digital: Wie lange hat die Forschungsgruppe Wahlen an dem System für i-vote gearbeitet, und wie viele Leute waren an der Entwicklung der Software beteiligt?

Prof. Dr. Dieter Otten:
Die Entwicklung der Wahlsoftware hat knapp ein Jahr gedauert. Innerhalb
der Forschungsgruppe Internetwahlen haben fünf Gruppen zu je zwei
Personen daran gearbeitet. Diese Wahlsoftware sorgt dafür, dass der
Wähler nichts weiter zu tun hat, als mittels des eigen entwickelten
Wahlfensters ins virtuelle Wahllokal zu surfen und dort seine Stimme
abzugeben.

politik-digital:
Richtet sich die Wahlwerbung ausschließlich auf den Wahlvorgang, oder
werden auch andere Elemente aus dem Umfeld von Wahlen "digitalisiert",
z.B. Wählerbildung, Wahlwerbung oder Umfragen?

Otten: Nein, bei dieser
Wahl nicht. Wir haben uns hierbei ganz auf die Wahl und die Entwicklung
der Software konzentriert. Grundsätzlich ist die Digitalisierung der
Elemente rund um die Wahl jedoch ganz klar vorgesehen. Mit zwölf
Kommunen und vier Unternehmen planen wir eine weitere Entwicklung
dieser Möglichkeiten, auch im Ausland. Beispielsweise arbeiten wir mit
Franzosen, Holländern und Griechen zusammen. Mit den Griechen, die
bekanntlich von jeher viel Wert auf direkte Demokratie legen, planen
wir eine digitale Agora, einen virtuellen Marktplatz sozusagen. Dieser
soll ein Forum sein für Diskussionen im Netz – auch auf internationaler
Ebene – basierend auf einem prä- und postelektoralen Diskussionssystem.
Bei der Osnabrücker Wahl zum Studierendenparlament stehen jedoch die
software-technologische Frage und die Sicherheit im Vordergrund.

politik-digital:
Verzerrt die Wählerschaft nicht das Ergebnis bzw. das Projekt?
Studierende sind jung, gut gebildet und überdurchschnittlich vernetzt.
Ist eine Online-Wahl in diesem Umfeld nicht ein Selbstläufer?

Otten: Natürlich. Jedoch
ist die Zielrichtung des Projekts nicht, das Ergebnis und die
Reaktionen der Studierenden auf die gesamte Wählerschaft zu übertragen,
sondern die Entwicklung und Anwendung der Software zu testen. Dafür
sind Studierende gerade wegen ihrer guten Bildung, ihrer
Experimentierfreude und der guten Vernetzung ideal geeignet.

politik-digital: Es werden Online-Wahlen durchgeführt, gibt es auch einen Online-Wahlkampf?

Otten: Während im letzten
Jahr keine der Hochschulgruppen im Netz Wahlkampf gemacht wurde, sind
heute die meisten Hochschulgruppen im Netz präsent. Diese Tatsache ist
zurückzuführen auf unser Projekt. Studenten, die via Internet wählen,
nutzen das Internet natürlich auch, um sich zu informieren. Das ist den
Hochschulgruppen in diesem Jahr klar geworden.

politik-digital: Erwarten Sie eine höhere Wahlbeteiligung als bei einer Offline-Wahl?

Otten: Wir erwarten eine
deutlich höhere Wahlbeteiligung. Bis zum Ausgabeschlusstermin gab es
einen Run auf die Chipkarten: knapp 500 Studierende haben sich
registrieren lassen und sich die Chipkarten zusammen mit dem Lesegerät
abgeholt. Ich gehe davon aus, dass ein Großteil dieser Studenten
Neuwähler sind.

politik-digital: Wer finanziert die Chipkarten und Lesegeräte, die für die Wahl notwendig sind?

Otten: Unsere Sponsoren
sind TC Trustcenter, eine Hochsicherheitsvergabestelle für digitale
Signaturen, Secude, das Softwarehaus der Deutschen Bank für
Netzsicherheit und Siemens, das die teuren Lesegeräte zur Verfügung
stellte.

politik-digital: Gab es bei bisherigen Projekten, z.B. bei der Sozialwahl, auch Betrugsversuche?

Otten: Nein, keinen
einzigen, obwohl das System damals einem niedrigen Sicherheitsstandard
entsprach. Es gab nur zwei Transaktionsnummern, die man leicht hätte
manipulieren können. Doch ich bin der Meinung, dass selbst bei
hartgesottenen Hackern die Hemmschwelle bei Internet-Wahlen höher ist,
da Wählen ein demokratischer Akt ist.
Das jetzige System ist jedoch nicht knackbar, bis zur nächsten Woche,
in der die Wahlen stattfinden werden, wird es auch niemandem gelingen,
es zu manipulieren.

politik-digital: Wann ist mit einer "Serienreife" für "echte" Wahlen, z.B. auf kommunaler Ebene zu rechnen?

Otten: Technisch ist das
heute kein Problem. Das Problem ist ein juristisches. Bei einer
Uni-Wahl ist die Internet-Wahl relativ leicht durchzuführen, da die
Regelungen dafür schnell verabschiedet sind. Bei Wahlen auf kommunaler
Ebene müssten die Wahlgesetze geändert werden. Jedoch gibt es unter
Juristen die aberwitzigsten Vorstellungen, was eine Internetwahl alles
anrichten könnte, dabei sind Urnenwahlen nicht sicherer als
Internet-Wahlen. Technisch gehen wir davon aus, dass in spätestens drei
Jahren jeder Computer ein integriertes Lesgerät für Chipkarten mit
Wahlsignaturen besitzt. Dadurch würde sicher auch die Wahlbeteiligung
steigen, eine Wahl via Internet ist einfach bequemer.

politik-digital:
Gibt es nicht viele Skeptiker, die einer elektronischen Stimmabgabe
kritisch gegenüber stehen? Welche Probleme und Hindernisse sehen Sie
bei der Implementierung in den politischen Prozess?

Otten: Es gibt
grundsätzlich Einwände gegen die Fernwahl: Das Grundgesetz sagt, dass
der Bürger zur Wahlurne gehen muss. Die Gründe für eine Briefwahl
müssen angegeben werden, damit sie genehmigt wird. Doch das
Wahlverhalten hat sich geändert: Briefwählen ist zu einer
"Volkssportart" geworden. Bei der letzten Bundestagswahl haben 20% der
Hamburger und fast 30% der Münchner per Brief gewählt. Und dies nicht,
weil sie krank sind. Viele Fürsprecher fanden wir im Ausland, die
e-mails schickten, in denen sie eine Internetwahl befürworten. Endlich
hätten im Ausland lebende Deutsche eine einfache, unkomplizierte
Möglichkeit die Politik in ihrer Heimat zu bestimmen.
Es gibt drei unterschiedliche Gruppen von Kritikern: Es gibt die Leute,
die den technischen Ablauf nicht nachvollziehen können und vor allem
Sicherheitsbedenken haben. Dann gibt es die Menschen mit dem
technischen Know-How, die jedoch den Sinn der allgegenwärtigen
Digitalisierung hinterfragen und in Bezug auf Wahlen auch den
demokratischen Akt des Zur-Wahl-Urne-Schreitens als Argument aufführen.

Die dritte Gruppe der Kritiker sagt, dass Internet-Wähler genau wie
Briefwähler manipulierbar sind. Doch der typische Internetwähler ist in
meiner Vorstellung politisch überzeugt, jung und in seiner
Willensbildung nicht leicht beeinflussbar, wie zum Beispiel Senioren im
Altersheim, die per Brief wählen.
Internet-Wahlen sind nicht trivial. Wenn Leute Mobilität und Wählen
verbinden möchten, kann man es ihnen nicht einfach verbieten. Auf allen
Ebenen wird das Netz genutzt, und warum sollte ein User, der im
Internet seine Bankgeschäfte tätigt, nicht auch seine Stimme abgeben?