Im folgenden dokumentiert politik-digital eine e-mail-Korrespondenz mit Joachim Bader,
dem für Contentstrategie und -implementierung von
Excite Deutschland zuständigen Producer des Portal-Services.
Christoph Bieber hat sich mit dem in London arbeitenden Bader über den wachsenden
Flexibilisierungsdruck im vernetzten Büro, die Kehrseiten der Informationsarbeit und die
Schwierigkeiten mit einer zwar "langsamen", aber noch immer unentbehrlichen Politik unterhalten.


politik-digital:
Joachim Bader, bereits in Ihrer Diplomarbeit an der FU Berlin
haben Sie sich mit der Thematik "Internet und Politische Kommunikation" auseinandergesetzt.
Haben Sie die Zukunftsträchtigkeit einer Aufgabenstellung aus diesem Bereich geahnt?

Joachim Bader: Eigentlich wollte ich in den klassischen Medien arbeiten, im Bereich
Marketing. Allerdings wurde ich durch ein Praktikum bei FOCUS im Sommer 1995 mit dem
Internet-Virus infiziert. Dort wurde gerade ein Online-Angebot aufgebaut und ich konnte
einige Wochen lang mitarbeiten. Darauf folgten dann einige andere Projekte im Bereich
Internet und letztendlich auch die Wahl des Diplomarbeitsthemas. Dabei habe ich festgestellt,
daß meine interdisziplinäre Ausbildung genau dem Anforderungsprofil
"New Media Production/Management" entspricht – Marketing, Redaktion und Medien-wissen müssen
kombiniert werden.


politik-digital:
Was war – und ist – für Sie die besondere "Faszination" der
neuen Medien?

Joachim Bader: Schnelligkeit, Überraschungen, Chancen, keine festgefahrenen Strukturen.
Und das Wissen, daß dieses Medium erst am Anfang der Entwicklung steht und noch viel
Potential hat. Excite ist mein zweiter Job in der Branche nach dem Studium. Spannend
für mich war die unterschiedliche Unternehmenskultur einer amerikanischen Firma im Vergleich
zu deutschen Firmen. Ich wurde schnell voll eingebunden und erhielt Verantwortung und
Kompetenzen. Natürlich gibt es eine Einführungsphase, die das Grundverständnis für das
Produkt und die Zusammenhänge erst ermöglicht. Danach steht dann "learning-by-doing" auf
dem Plan. Die Herausforderung ist dabei, nicht den Anschluß an neue Entwicklungen zu verlieren,
denn Partner, Produkte und Entwicklungen ändern sich laufend. Die Arbeit in einer
internationalen Firma bringt mit sich, daß sich Kompetenzen auch häufig verschieben.
Neben der Arbeit für Excite Deutschland und bis vor kurzem Italien leite ich zum Beispiel oft
Projekte für den englischen Markt oder pan-europäische Produktentwicklungen. Dies hilft, ein
"broader picture" zu erhalten und auch mal über den Tellerrand hinauszuschauen.


politik-digital:
Welchen Stellenwert haben die neuen Medien in der alltäglichen
Bürokommunikation? Hat sich Ihre Internet-Nutzung verändert, professionalisiert?

Joachim Bader: Meine Internet-Nutzung hat sich in den letzten Jahren schon
professionalisiert und auch ausgeweitet. Das Internet hat sich für mich zu einem Medium
entwickelt, das ich für alle Belange des täglichen Lebens einsetze, ob im Job-Kontext oder
für meine Freizeit. Ich teste dabei auch neue Anwendungen und überlege mir, ob diese für
die Excite-Dienste sinnvoll sein könnten. Die Herausforderung ist dabei für mich als
"hardcore-user", daß ich in der Lage bleibe, mich weiterhin in die Situation meiner
Zielgruppe zu versetzen und deren Wünsche und Belange zu verstehen.

Leben und Arbeiten im vernetzten Stadtviertel


politik-digital:
In den New Media-Metropolen der USA rücken junge Firmen aus
der Branche häufig auf engstem urbanen Raum zusammen, in sogenannten "wired neighbourhoods"
oder "cyberdistrics". Gibt es diesen Trend auch in Europa?

Joachim Bader: Ich arbeite in Soho, West-London, der "media central" der Stadt:
TV, Film, Print, Werbung und Neue Medien haben sich in diesem zentralen Stadtteil angesiedelt.
Sicher gehört die große Mehrheit der hier ansässigen Firmen immer noch zu den klassischen
Medien, aber von lastminute.com bis zu
Yahoo!, von British Telecom bis zu Jupiter
Communications ist die ganze Bandbreite internationaler und nationaler Internet-Firmen
hier präsent. Man könnte deshalb Soho durchaus als "wired neighbourhood" bezeichnen. Durch
die Dichte der hier ansässigen Medienfirmen entstehen vielfältige Synergien – der nächste
Partner oder Kunde ist meistens nur einen kleinen Spaziergang entfernt. Oder man trifft sich
einfach mal zum Lunch und tauscht sich informell aus.


politik-digital:
Viele Pilotprojekte zielen in eine ganz andere Richtung und
versuchen einen Arbeitstransfer aus dem urbanen Umfeld heraus – Stichwort "telecottages".
Was halten Sie davon?

Joachim Bader: Ich produziere ein redaktionelles Produkt, mit dem ich möglichst viele
Leute erreichen will. Wie bei vielen redaktionellen Jobs spielt es schon eine große Rolle,
früh mitzukriegen, wenn Neues entsteht oder Trends sich formen. Dies in London mitzubekommen,
ist doch recht einfach. Style-Metropole, Sitz wichtiger Internetfirmen, Medienstadt – dies ist
ein guter Mix, der hilft, auf dem Laufenden zu bleiben. Sicher könnte ich meine Arbeit auch in
der Provinz erledigen. Intranet, e-mail, Instant Messaging, Video-Konferenzen lösen (fast)
alle logistischen Probleme. Doch trotz aller "telecottage"-Ideen sollte man nicht vergessen,
daß Arbeit nicht nur aus Arbeit im engeren Sinne besteht, sondern aus persönlicher
Kommunikation, Meetings, Lebensgefühlen etc. Hier hat ein "telecottage" sicher nicht viel zu
bieten. Und außerdem: mir würde es einfach weniger Spaß machen, irgendwo auf dem Land zu
sitzen und relativ abseits über Produkten und Ideen zu brüten.


politik-digital:
Beim Blick auf die noch junge Internet-Ökonomie stehen meist
die erfolgreichen Mitglieder der "Info-Elite" im Mittelpunkt, allerdings gehört auch monotone
und schlechtbezahlte Arbeit wie etwa die Erfassung großer Datenmengen zum Alltag in der
Informationswirtschaft. Zeichnet sich hier eine Teilung in digitale Fließbandarbeit und
gutbezahlte "white-collar"-Jobs ab?

Joachim Bader: Wie in allen Branchen gibt es auch in den Neuen Medien interessante
und weniger interessante Jobs – die Informationswirtschaft ist da keine Ausnahme. Allerdings
ist zu bemerken, dass aufgrund des relativen Arbeitskräftemangels in den Neuen Medien immer
die Chance besteht , aus einem Praktikum eine Anstellung oder aus einem Datenerfassungsjob
mehr zu machen.


politik-digital:
Führt der weitgehend problemlose räumliche wie zeitliche Transfer
auch zu einer globalen Arbeitsteilung?

Joachim Bader: Ganz klar. Auf der persönlichen Ebene arbeite ich mit Partnern in
Deutschland, mit Design und Programmierung in London und den USA und bei pan-europäischen
Projekten mit den verschiedenen Excite-Producern für die einzelnen Länder. Verallgemeinernd
kann ich für meine Branche sagen, dass es keine richtige Rolle mehr spielt, in welchem Land
oder Zeitzone der Partner oder Kunde sitzt – das Geschäft wird gemacht. Allerdings ist dies
keine spezielles Kennzeichen der Internet-Industrie, die Globalisierung der Wirtschaft
schreitet in allen Branchen voran.


politik-digital:
Ist eine für die Beschäftigten die Trennung von Arbeitswelt und
privatem Lebensbereich überhaupt noch möglich?

Joachim Bader: Ja, dies ist möglich. Natürlich kann man Tag und Nacht von überall
auf alle Daten, Projekte, Mails etc.zugreifen. Aber man muss es nicht. Hier muss jeder einzelne
selbst festlegen, wie er seinen Arbeitsalltag organisiert, wo Prioritäten gesetzt werden und
wo die Grenzen liegen.
Es gibt immer Phasen, wo eine solche Trennung schwierig ist, vor allem bei Productlaunches.
Auf der anderen Seite eröffnet die weitgehende Unabhängigkeit von Zeit und Raum auch neue
Chancen der Arbeit: "teleworking" ist sicher ein Fortschritt, ebenso die Möglichkeit, den
Arbeitstag flexibel zu gestalten, nicht immer in der "nine-to-seven"-Routine.