Fragen an Willi Kaczorowski, Leiter des Geschäftsbereichs Public Services bei
Cap Gemini Ernst & Young Zentraleuropa.
Die Messe Moderner Staat hat es gezeigt: Der Kick bei eGovernment in Deutschland fehlt. Mit „Bündnis Deutschland Online“ zurück auf die Erfolgsspur. Im Interview erläutert er seinen Plan. Standardisierung und Koordination sind die Zauberworte.
politik-digital.de: In Ihrem Vortrag während der
Messe Moderner Staat stellten sie fest, dass Deutschland im eGovernment international nur auf einem
enttäuschenden Mittelplatz liegt. Welche Ursachen sehen Sie als ausschlaggebend dafür an?
Willi Kaczorowski: In erster Linie sind vier Hauptursachen zu nennen. Erstens haben wir in Deutschland eine Fülle von eGovernment-Projekten auf allen Ebenen der staatlichen und kommunalen Verwaltung. Leider sind sie bisher nur unzureichend miteinander verzahnt, so dass sich selten wirkliche Synergieeffektive ergeben. Es existiert bislang auch keine nationale Strategie. Viele Köche verderben nun einmal den Brei, wenn man sich nicht auf die Kochrezepte und die Zutaten einigen kann. Zweitens: Die Fragmentierung setzt sich inzwischen bei der Vielzahl der gegründeten bzw. in Gründung stehenden eGovernment-Institute fort. Wir haben allein in Deutschland fünf neue eGovernment-Zentren gegründet, die jetzt gegenseitig in Konkurrenz zueinander treten. Die dritte Ursache hängt mit den Finanzierungsproblemen von eGovernment-Projekten zusammen. Die klassische Haushaltsfinanzierung ist angesichts der dramatischen Finanzsituation von Bund, Ländern und Kommunen nicht mehr möglich, neue Finanzierungsformen sind also erforderlich. Und viertens fehlt es an einem koordinierten Wissensmanagement für eGovernment-Projekte. Deswegen erfindet jeder mit einem erheblichen Ressourceneinsatz das eGovernment-Rad immer wieder neu.
politik-digital.de: Was ist ihr Lösungsvorschlag, um die Situation in Deutschland zu verbessern und voranzutreiben?
Willi Kaczorowski: Die schrittweise Ablösung der offline durch die online-Verwaltung ist eine Aufgabe, die nur in einem breit angelegten Bündnis bewältigt werden kann. Deshalb regen wir ein Bündnis Deutschland Online an, in dem sich Bund, Länder und Kommunen sowie die Nutzer der eGovernment-Anwendungen mit den Herstellern von eGovernment-Lösungen und den Beratern zusammensetzen.
politik-digital.de: Sie haben die Gründung einer Agentur „Deutschland Online“ angeregt. Wo sollte sie angesiedelt und wie finanziert sein?
Willi Kaczorowski: Die Agentur Deutschland Online ist der organisatorische Kern dieses neuen Bündnisses. Damit unterscheidet es sich im übrigen auch von der dezentral organisierten
Initiative D21, die relativ viel Papier und Meetings produziert. Die Agentur nimmt die ebenenübergreifende Rolle des eGovernment Motors für Bund, Länder und Gemeinden wahr. Organisiert und finanziert als Public Private Partnership zwischen den Gebietskörperschaften und der Industrie soll sie im wesentlichen vier Aufgaben wahrnehmen.
politik-digital.de: Welche Aufgaben wären das?
Willi Kaczorowski: Zunächst hat sie die Aufgabe, Standards für eGovernment-Lösungen zu erarbeiten und die Lösungsanbieter dann auch zu zertifizieren. Das schafft vor allem auf kommunaler Ebene eine Investitionssicherheit. Des weiteren soll sie als Transferstelle dienen und eGovernment-Projekte auf allen Ebenen – d.h. auch international – identifizieren, analysieren und daraus Referenzmodelle entwickeln. Zusätzlich soll sie ein deutschlandweites, nicht von Unternehmensinteressen getriebenes Benchmarking regelmäßig durchführen. Darüber hinaus muss sie sich der Aufgabe widmen, die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter für die Online-Verwaltung zu konzipieren und durchzuführen. Allein auf kommunaler Ebene sind es ca. 400.000 Ratsmitglieder, die sich auf die neue Kulturtechnik des eGovernment einstellen müssen. Und schließlich soll die Agentur ein Netzwerk aller eGovernment Profis organisieren. Über eine zentrale eGovernment-Internetseite, Vernetzung und Erfahrungsaustausch sollen die Profis gemeinsam an einer künftigen Online-Verwaltung arbeiten die mehr leistet und weniger kostet. Dabei braucht die Agentur für ihre Aufgaben keinen großen Personalapparat. Vielmehr soll sie in erster Linie koordinieren und die konkreten Projekte durch Dritte ausführen lassen.
politik-digital.de: Neben der Koordination fordern sie eine stärkere Standardisierung von Geschäftsprozessen auf allen Ebenen. Welche Vorteile hätte das und können sie uns ein Beispiel nennen?
Willi Kaczorowski: Es ist inzwischen eine Binsenweisheit, dass eGovernment aus mehr besteht als aus einer bunten Internetseite Es geht im Kern um die Reorganisation der Verwaltungsprozesse. Sie können im digitalen Zeitalter erheblich vereinfacht und somit beschleunigt werden. Ziel muss es sein, Standardprozesse zu entwickeln, die das Zusammenspiel der verschiedenen kommunalen und staatlichen Verwaltungsebenen medienbruchfrei möglich machen. Ein Beispiel, das erhebliches Einsparpotenzial birgt, ist die elektronische Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen. Nun hat der Bund zwar mit dem Projekt „eVergabe“ eine Plattform geschaffen, die alle nutzen könnten. Aber bei den Ländern regt sich schon jetzt das übliche Syndrom „not invented here“. Wenn wir so weitermachen, werden wir jeden Prozess mit viel Geld und jeder für sich neu kreieren und umsetzen. Die einzigen, die das erfreuen wird, sind die Berater und die Lösungsanbieter.
politik-digital.de: Wird die geforderte Standardisierung in Zukunft noch wichtiger, da die EU dazu auffordert? Ist Deutschland für diese Situation vorbereitet?
Willi Kaczorowski: Es hat den Anschein, als würde die EU da jetzt reingrätschen. Die Kommission hat nicht aufeinanderabgestimmte Verwaltungsprozesse als einen wesentlichen Hinderungsgrund für das Funktionieren des europäischen Binnenmarktes identifiziert. Deshalb hat Brüssel eine Debatte angestoßen, wie diese Verwaltungsprozesse, die ja von einfachen Auskunftsverfahren bis hin zu Genehmigungs- und Förderverfahren reichen, harmonisiert werden können. Das eGovernment erinnert in Deutschland eher an einen Flickenteppich als an ein gut durchdachtes, koordiniertes und umgesetztes Konzept. Aus diesem Grund plädieren wir für das Bündnis Deutschland Online. Als großes Management- und IT-Beratungsunternehmen ist Cap Gemini Ernst & Young bereit, an einem solchen Bündnis mitzuwirken.
politik-digital.de: Wie schätzen Sie die politischen Chancen eines solchen Bündnisses ein?
Willi Kaczorowski: Für das Bündnis Deutschland Online wäre jetzt der richtige Zeitpunkt. Das „windows of opportunity“ steht nach der Regierungsbildung offen. Personell und konzeptionell muß die Bundesregierung das Thema „eGovernment“ neu ordnen. Zusätzlich könnte die Finanznot der Länder und der Kommunen ein weiteres Argument sein, um die etablierten verwaltungsorganisatorischen Wege zu verlassen und etwas Neues zu wagen. Auch beim eGovernment muss ein Ruck durch das Land gehen.
politik-digital.de: Beinhaltet die Initiative des Innenministeriums „
Bund Online 2005“ denn nicht die Entwicklung einer nationalen Strategie und macht damit ihr angedachtes Bündnis Deutschland Online überflüssig?
Willi Kaczorowski: Das vermag ich bisher nicht zu erkennen.
politik-digital.de: Vielen Dank für das Interview!
Erschienen am 05.12.2002
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