Deutschlands erster Chief Information Officer im Interview: “eGovernment ist ein hervorragendes Werkzeug”, sagt der hessische Staatssekretär Harald Lemke, der eDemocracy erst als zweite Stufe bezeichnet.
politik-digital.de: Sie sind in Deutschland der erste Staatssekretär, der den Titel
“Chief Information Officer” (CIO) trägt. Was ist unter der Bezeichnung zu verstehen? Nur die neumodische englische Version von Staatssekretär?
Harald Lemke
: Hinter dem Begriff versteckt sich mehr als nur eine neue Bezeichnung. Als CIO bin ich wie jeder andere Staatssekretär vor allem das Bindeglied zwischen Politik und Landesverwaltung. Anders als ein “normaler” Staatssekretär, der als Amtschef eines Ressorts fungiert, arbeite ich weniger in der traditionellen Säulenhierarchie, sondern ressortübergreifend im Sinne einer Querschnittsaufgabe. Das Problem einer solchen Querschnittsaufgabe ist vor allem die ressortübergreifende Koordination. Dazu brauche ich die direkte und enge Kommunikation mit den anderen Amtschefs im Kabinett.
politik-digital.de: Wie sieht ihre eGovernment-Strategie aus?
Harald Lemke
: Mein strategisches Ziel ist die effizientere und medienbruchfreie Gestaltung von Verwaltungsprozessen. Ziel ist eine Modernisierung von Innen heraus, d.h. die Verwaltung internetfähig zu machen. Denn es macht keinen Sinn, das Internet an die Verwaltung anzuschließen, wenn die internen Strukturen der Verwaltung nicht an die Geschwindigkeit des Internetzeitalters angepasst sind. Was habe ich von Glasfaserverbindungen, wenn die Informationen dann in einer klassischen Laufmappe enden? Die Verwaltungsprozesse des 19. Jahrhunderts sind inkompatibel mit der Technik des 21. Jahrhunderts. Unser Ansatz modernisiert daher erst die Prozesse in der Verwaltung. Diese modernisierten Prozesse werden wir dann in einem zweiten Schritt an das Internet anschließen.
politik-digital.de: Beinhaltet ihre Strategie das Lebenslagen-Prinzip?
Harald Lemke
: Für den Bürger ist es nicht interessant, wie eine Behörde aufgebaut ist. Im Sinne des one-stop-agency Ansatzes wollen wir einen ressort- und organisationsübergreifenden Workflow schaffen. Das ist die Grundlage für ein wirkliches Lebenslagen-Prinzip. Zudem gilt es, alle Ressorts in eine gemeinsame eGovernment-Strategie einzubinden. Das Herz des eGovernment ist das Management von Informationen. Dass diese Informationen in der Folge dem Bürger in Form von Lebenslagen-Modulen zur Verfügung gestellt werden, ist sicher richtig, aber der zweite Schritt.
politik-digital.de: Wie beurteilen sie BundOnline 2005 und die Initiative des Bundes Deutschland Online?
Harald Lemke
: Bei aller Einigkeit über das Ziel, ich halte den Weg dahin für problematisch. Die Aktivitäten des Bundes sind zu stark auf das Internet fokussiert, die Prozesskommunikation zwischen Bund, Ländern und Kommunen wird nicht genügend priorisiert. Was fehlt, ist eine ressortübergreifende sowie bundesweite Architektur und Koordination, die Deutschland Online bzw. BundOnline 2005 nicht hinreichend erfüllen, z.T. aus verfassungsmäßigen Gründen nicht erfüllen kann. Das hat aber auch etwas mit Geld zu tun. Wer Standards schaffen will, muss zunächst zentral investieren. Hierfür benötigt Deutschland Online mehr Geld.
politik-digital.de: Kann Medi@Komm die gewünschten Impulse setzen?
Harald Lemke
: Inhaltlich ja, ich habe aber starke Zweifel, was die angedachten Weiterverbreitungsstrategien angeht: eine Stadt wie Esslingen, Bremen oder Nürnberg als Multiplikator? Dazu haben einzelne Kommunen nicht ausreichend Vertriebskraft. Nach meiner Auffassung wären die kommunalen Gebietsrechenzentren für die Multiplikation gemeinsamer Lösung besser geeignet.
politik-digital.de: eDemocracy wird in der gegenwärtigen eGovernment-Debatte vernachlässigt. Welchen Stellenwert hat eDemocracy bei ihnen?
Harald Lemke: Erst mal ist eDemocracy ein schwieriger, weil unklarer Begriff. Ich verstehe darunter die Teilhabe am Willenbildungs- und Gesetzgebungsprozess. Unser Projekt “eGesetz” soll den kompletten Ablauf der Gesetzgebung elektronisch abbilden, d.h. vom Referenten- bzw. Kabinettsentwurf bis hin zu Parlamentsvorlagen. Hier könnte man z.B. in einem zweiten Schritt externe Stellungnahmen elektronisch einbinden. Dieser Prozess wird aber herkömmliche Beteiligungsprozesse nicht vollständig ablösen. Ich glaube nicht, dass das Medium Internet ein höheres Interesse an politischer Beteiligung weckt
politik-digital.de: Also eDemocracy nur ein ferne Vision?
Harald Lemke: Ich bin da ein hemmungsloser Pragmatiker. Wir wollen erst mal die Basisstrukturen einer modernen Verwaltung schaffen. eDemocracy sehe ich erst in einer zweiten Stufe, wenn in drei bis vier Jahren die IT-Strukturen dafür geschaffen sind. Jetzt setze ich unsere Energie vorrangig für die effizientere Gestaltung von Regieren und Verwalten ein.
politik-digital.de: In Zeiten leerer Kassen, wie viel Handlungsspielraum bleibt ihnen?
Harald Lemke: eGovernment ist ein hervorragendes Werkzeug, den öffentlichen Dienst effizienter zu gestalten. Es gibt ohne Zweifel erhebliche Rationalisierungspotentiale. Wenn ich einen Euro investiere, bekomme ich ihn mit dem Faktor 1,8 zurück, also eine sehr lohnenswerte Investition. Für diese Legislaturperiode hat Hessen 50 Millionen Euro für E-Government-Projekte budgetiert, zusätzlich zum Jahresbudget der IT von ca. 250 Millionen Euro. Damit kann man schon eine Menge bewegen.
politik-digital.de: Wie messen sie die Effizienz? Dazu gibt es kaum empirische Untersuchungen.
Harald Lemke: Für differenzierte Effizienzanalysen müsste man zunächst das Rechnungswesen von der Kameralistik auf die doppelte Buchführung, die Doppik, und eine aussagefähige Kosten-/Leistungsrechnung umstellen. Hessen hat bereits 75% seiner Dienststellen umgestellt. Bis zur flächendeckenden Einführung der Doppik werden wir uns – wie andere auch – mit projektbezogenen Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen behelfen, in denen Rationalisierungsgewinne gegen die Projektkosten gerechnet werden.
politik-digital.de: Sie formulieren ehrgeizige Ziele in Ihrer Strategie. Wie kommunizieren Sie diese in die Öffentlichkeit und in die Verwaltungen?
Harald Lemke: Wir sind im engen Kontakt mit unseren Kollegen in den anderen Bundesländern. Im Bereich der polizeilichen Anwendungen kooperieren wir bereits mit 13 Bundesländern. Dieses Jahr geht das Land Hessen erstmals mit einem eigenen Stand (H11,B40) auf die CeBIT und wir werden in Hannover unseren ressortübergreifenden und flächendeckenden Ansatz einem breiten Fachpublikum vorstellen.
politik-digital.de: Vielen Dank für das Interview, Herr Lemke.