Wie steht es um die Modernität deutscher Internetportale? Wo liegen die Stärken und Schwächen und was können deutsche Anbieter von internationalen Vorbildern lernen? Jörn Lucke vom Verwaltungsforschungsinstitut Speyer zieht im Gespräch mit politik-digital.de Bilanz über das heimische Portalwesen.

politik-digital.de: Welche Deutschland-Portale kennen Sie und wie bewerten Sie diese?

Jörn von Lucke
: Der Begriff „Portale“ kann wie der Begriff „Deutschland-Portale“ sehr vielseitig interpretiert werden. Ich beziehe Ihre Frage deswegen explizit auf die im Internet positionierten Verwaltungsportale in Deutschland. Hier gibt es Behördenportale, etwa von Bundesbehörden, Bundesministerien, dem Bundestag oder des Bundespresseamts, die ihr Angebot für ganz Deutschland aufbereiten und sich somit als „Deutschland-Portale“ positionieren. Interessanter sind sogenannte „Cross-Agency-Portale“, also behördenübergreifende Angebote. Erwähnenswert ist zum Beispiel das Umweltinformationsnetz, das über die Website
www.gein.de Umweltinformationen von vielen Behörden aus ganz Deutschland erschließt. Ebenso wichtig sind Gebietskörperschaftsportale. Der Bund verfolgt mit dem Portal
www.bund.de einen interessanten Ansatz, der sich aber in den kommenden Jahren erst noch richtig entwickeln muss. Verwaltungsebenenübergreifende Portale sind dabei noch viel wichtiger. Zu dieser Gruppe gehört beispielsweise das Portal
deutschland.de des Bundespresseamts, das in Verbindung mit den Ländern lanciert wurde. Auf kommunaler Ebene lohnt sich bei verwaltungsebenenübergreifenden Portalen ein Blick auf
KommOn mit dem Kommunalnavigator zu werfen, wo sich deutsche Kommunen zusammengeschlossen haben. Der
Kreisnavigator des deutschen Landkreistag verfolgt eine Bündelung der Landkreise bei nationalem Fokus. Ansonsten gibt es diverse Portale aus der Privatwirtschaft, etwa wie
MeineStadt.de oder
Web.de, die sich ebenfalls in diesem Feld platzieren möchten.

politik-digital.de: Welche ausländischen Portale könnten in diesem Zusammenhang für Deutschland als Vorbilder dienen?

Jörn von Lucke
: In Bezug auf Cross-Agency-Portale gibt es einige Länder, an denen Deutschland sich ein Beispiel nehmen könnte. Zu nennen wären die
eCitizen-Centres in Singapur oder diverse Portale auf Bundesebene in den USA. Bei Gebietskörperschaftsportalen sollte auf das zentrale Einstiegsportal der
australischen Bundesverwaltung, das detailliert auf Themen bzw. Lebenslagen eingeht, auf das auf Zielgruppen ausgerichtete Bundesportal in
Kanada und den „
Service Public“ in Frankreich hingewiesen werden. Der österreichische „
Amtshelfer online“ verbindet Bund, Land und Kommunen vorbildlich in einem gemeinsamen verwaltungsebenenübergreifenden Portal. Bei den Lebenslagen-Portalen heben sich Ansätze aus Hongkong, Irland und Großbritannien ab. Bei Geschäftslagen trifft dies auf Portale aus Kanada und Australien zu. Bei der Umsetzung elektronischer Verwaltungsdienste über ein Portal sind „
Service Tasmania Online“ mit einem echten Portal- oder Mehrkanalansatz, bei dem die Kontaktaufnahme zwischen Bürger und Verwaltung über drei Kanäle erfolgen kann: elektronischer Kanal (Internet), sprach-telefonischer Kanal (Telefon und Call Center) oder persönlicher Kanal (Bürgerbüro),
ESDLife in Hongkong und die NIC-Portale in den US-Bundesstaaten
Indiana,
Utah und
Virginia hervorzuheben.

politik-digital.de: In welchen Bereichen sind andere Länder schon weiter, wo hat Deutschland die Nase vorn?

Jörn von Lucke
: In Spanien gibt es die vorbildliche Möglichkeit, über das Internet einen Einblick in seine private Steuerakte zu bekommen. Die Personalisierung von Verwaltungsportalen ist in verschiedenen Bundesstaaten und Kommunen in den USA am weitesten fortgeschritten. In den USA gibt es zudem Verwaltungsportale mit tragfähigen Geschäftsmodellen, die auch langfristig einen Ertrag versprechen. In diesem Zusammenhang sollte auch
ESDLife aus Hongkong erwähnt werden. Eine speziell deutsche Stärke ist das hohe Datenschutzniveau. In jedes Konzept auf Verwaltungsseite werden Datenschutzbeauftragte frühzeitig mit eingebunden. Doch haben sich in Deutschland entwickelte Anwendungen noch nicht in der gewünschten Breite durchgesetzt, wie man dies beispielsweise bei den Überlegungen zur Bürger- und Unternehmensakte bzw. zum Unternehmenskonto exemplarisch beobachten kann. Dieses Modell wurde beispielsweise von der
SAP entwickelt und umgesetzt, hat sich aber momentan noch nicht durchgesetzt.

politik-digital.de: Was ist Ihre Meinung zu Deutschland.de als perfektes Deutschland-Portal?

Jörn von Lucke
: Bei der Vorstellung des Portals konnte ich eine Diskrepanz zwischen dem ursprünglichen Konzept und der Umsetzung feststellen. Begrüßenswert ist auf jeden Fall die Mehrsprachigkeit des Angebots, mit Beiträgen in Englisch, Französisch, Spanisch und Russisch, die für Deutschland echten Vorbildcharakter hat. Deutschland.de ist aber leider kein echtes Verwaltungsportal geworden, sondern in erster Linie für die Außendarstellung (Zielgruppe Ausländer) konzipiert. Deutschland und die deutsche Kultur sollen mit Deutschland.de im Ausland präsentiert werden. Dies gelingt oberflächlich durch Verweise auf Ministerien, Verbände und Dachorganisationen, reicht vielfach als erster Einstieg in die Thematik, aber in der Tiefe muss noch erheblich nachgebessert werden, wenn Interessenten das Portal dauerhaft nutzen sollen. Jedoch wäre dies mit erheblichen weiteren Anstrengungen verbunden, die auch von jemandem zu finanzieren wären. Leider wurde nicht die Chance genutzt, aus Deutschland.de ein perfektes Deutschland-Portal im Sinne eines Idealtyps von Verwaltungsportal zu machen, das die öffentliche Verwaltung für alle Bürger und Unternehmen erschließt.

politik-digital.de: Sie sagen, die Interessen der Bürger stünden nicht im Vordergrund. Wie

könnte das Portal diese besser und angemessener einbinden? Gibt es dazu etwa Beispiele bzw. Best Practices?

Jörn von Lucke
: Zunächst sollte eine Analyse der Bürgeranforderungen und – bedürfnisse bzgl. Staat und Verwaltung gemacht werden (
Accenture/Bayerische-Staatskanzlei Studie 2002). Dann werden die Portalangebote auf diese Wünsche ausgerichtet (siehe Beispiel
help.gv.at). Dies sollte auch mit Rückkopplungsmechanismen verbunden werden (Feedback-Funktion oder Customer/Citizen Relationship Management).

Meiner Meinung nach sollte für die Interessen der Bürger bzgl. der Verwaltung in Deutschland ein eigenes Portal geschaffen werden (zum Beispiel unter dem Name Verwaltung.de, wo ich sämtliche Informationen, Dienstleistungen, Prozesse und Angebote der deutschen Verwaltung finde, egal ob diese vom Bund, einem Land, einem Kreis, einer kreisfreien Stadt, einer Gemeinde oder der EU bzw. UNO angeboten werden. Die Zuständigkeiten der Anbieter interessiert mich als Bürger überhaupt nicht. Ich möchte das Angebot, das in meiner derzeitigen Situation auf meine individuelle Problem- und Lebenslage zugeschnitten ist, jetzt erhalten und mich nicht nur informieren und kommunizieren, sondern ich möchte dies mit einer Transaktion (rechtsgültige Abwicklung eines Vorgangs) abschliessen. Dabei ist es vollkommen unerheblich, ob ich über Bund, Land, Kommune, etc. in das Portal einsteige oder wessen Portal ich nutze, denn ich kann immer auf den Gesamtbestand an Angeboten aller Verwaltungen über jeden Einstiegspunkt zugreifen. Dies wäre natürlich ein sehr ehrgeiziges Vorhaben.

politik-digital.de: Vielen Dank für das Interview.

Dr. rer. publ.
Jörn von Lucke (Diplom-Wirtschaftsinformatiker) ist

Sektionsreferent am
Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer.

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