Friedhelm Kruse, Manager bei hamburg.de, berichtet von der ersten Idee bis zum Start des Portals deutschland.de. Er entwirft hierbei ein kritisches Bild des gegenwärtigen Webauftritts und zeigt Verbesserungspotentiale auf.



politik-digital.de: Wie entstand die Idee zu ”
deutschland.de“?

Friedhelm Kruse: Aus meinen Erfahrungen seit 1995 für das Bundesland Hamburg beim Entwurf, dem Aufbau und dem Betrieb der „
Direkten Bürger-Information-Services“ „DiBIS®“ und des Internetauftritts „
hamburg.de“. Dabei entstand sehr schnell die Idee einer „zentralen Anlaufstelle für ausländische Interessierte an Deutschland“ im Internet, denn wir bekamen beim E-Mail-Service von DiBIS® zahlreiche Anfragen, die über rein hamburgische Themen hinausgingen. Letztlich gab die Nachfrage der User den Ausschlag für die Idee. Hinzu kam nach der Wiedervereinigung in Deutschland die klar zu beobachtende Tendenz, den Begriff „deutsch“ mehr zu betonen: Deutsche Post, Deutsche Bahn oder beispielsweise bei der Fußball WM 2002 in der Nachrichtensprache: Deutschland wurde Vizeweltmeister, nicht die Bundesrepublik Deutschland. Dieser Begriff ist zwar verfassungsrechtlich klar gesetzt, spielt aber für die meisten Menschen in der alltäglichen Praxis keine Rolle. Deutschland nennt man endlich wieder Deutschland.

politik-digital.de: Von der ersten Idee bis zum potentiellen Start am ersten September sind ja nun vier Jahre vergangen. Was ist in der Zeit passiert?

Friedhelm Kruse: Ich machte im Oktober 1998 erstmals in einer Sitzung der Presseabteilung des Deutschen Bundestages in Bonn zusammen mit einem Vertreter des Deutschen Städtetages den Vorschlag,
deutschland.de zu gründen und zu betreiben, wohlwissend, dass es Vorbilder in der ganzen Welt noch nicht gab. Ein Novum wurde damit diskutiert. Doch die damaligen Gesprächspartner, die Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl in Bonn und die sonstigen Beteiligten wollten nichts davon wissen. Es gab keinerlei Bewußtseinsbildung bei den Gesprächsteilnehmern, wirklichen Service online anzubieten, sondern dachte nur in Organisationszuständigkeiten der (eigenen) Bundesbehörde(n). So etwas ist aber der Informations-Tod für inländische wie auswärtige User. Außerdem wurde erschreckend klar, dass für das Thema Internet und Service niemand wirklich zuständig war. Dies änderte sich erst mühsam im Herbst 1999. Es entstanden nun die ersten intensiveren Kontakte zu den anderen Bundesländern und zum
Bundespresseamt (BPA), das ja direkt dem Kanzleramt zuarbeitet. Vom Herbst 1999 bis zum Eröffnungszeitpunkt im September 2002 sind allerdings wieder drei Jahre in einer schnelllebigen und auf Aktualität ausgerichteten Internetzeit vergangen. Leider ist dieser Zeitraum für „Behördenschnelligkeit“ auch im Internetzeitalter „normal“, ohne dass irgendjemand ein schlechtes Gewissen bekommt. Das Denken in Legislaturperioden fühlt sich einfach anders an, als wenn man Marketing mit Ausrichtung auf Kundenwünsche betreibt. Nicht umsonst hat bei den meisten Usern Bürokratie einen eindeutigen und anderen Beigeschmack.

politik-digital.de: Wie kam es, dass Sie „Ihr Projekt“ abgegeben haben?

Friedhelm Kruse: Das Land Hamburg fühlte sich, nachdem es die Startidee und die ersten, mehrfachen Anstöße und Konzeptionsvorschläge geliefert hatte, für die Realisierung von „deutschland.de nicht mehr alleine zuständig“. Es wurden von Hamburg auch die Bundesländer teil-aktiviert und als dann die Federführung durch das BPA ab Mitte 2000 von alleine immer klarer wurde, lehnten sich viele Bundesländer dankbar zurück, da es natürlich auch immer um die Frage der gemeinsamen Finanzierung gegangen war. Solche fiskalischen Diskussionen bremsen dann sehr schnell jedes Engagement in den Bundesländern schlagartig. Hinzu kam die Tatsache, dass die Adresse deutschland.de in „fremder Hand“ war und eine juristische Auseinandersetzung unter Federführung des Bundes vermutlich bessere Erfolgschancen hatte, als wenn die Gemeinschaft der Länder hier vorgegangen wäre. Es sind aber durchaus Vorschläge aus dem ersten (hamburgischen) Konzept durch das BPA übernommen worden, so auch die einfache Navigation nach Kategorien (ursprünglich in sechs Bereichen, die jetzt schon zu 9 angewachsen sind) und die Einrichtung eines E-Mail-Services („Formular Kontakt“). Verzichtet wurde allerdings auf die Nennung der wirklichen Ideengeber (
im Impressum). Deutschland.de wurde zum alleinigen, selbst initiierten Projekt des BPA; hier jedoch stimmt eben die historische Wahrheit nicht mehr. Scheinbar ist es aus der Sicht des BPA nicht einfach, auch Länderinitiativen als solche zu würdigen. Einen wirklichen Grund für diese „vornehme Verschwiegenheit“ vermag ich nicht zu erkennen, denn niemand will die inzwischen erfolgten Aktivitäten des BPA bis hin zum Start in irgendeiner Weise mindern.

politik-digital.de: Wie bewerten Sie das heutige Konzept und was ist dabei herausgekommen?

Friedhelm Kruse: Was heute dabei herausgekommen ist, wollten wir vor vier Jahren auch schon auf die Beine stellen. Es gab damals sogar ein Angebot von hamburg.de auf eine Linksammlung dieser Art. Eine Mehrheit der Länder und das BPA waren dann sehr schnell für eine perfektere, größere – und damit teurere – und erkennbar verzögerte Lösung, so dass das Hamburger Erstangebot, das schnell und einfach umsetzbar gewesen wäre, keine Mehrheit fand. Ein gutes Argument des Bundespresseamtes war natürlich dann auch der Streit um den fremdbelegten Domainnamen. Es war allen klar, dass dieser juristische Streit Jahre dauern würde, und so kam es ja auch.

Trotzdem: Über den langen (Internet-)Zeitraum von vier Jahren ist insgesamt zu wenig passiert, weil zum Beispiel nie Druck aus dem Bundeskanzleramt gemacht wurde und sich ein für Verwaltungen typischer Selbstläuferprozess eingestellt hatte, der durch den juristischen Streit um den Domainnamen mental verstärkt wurde. Der strategisch wichtige und marketingmäßig wertvolle Ansatz der Internetadresse „deutschland.de“ für den Standort Deutschland wurde wohl von vielen verantwortlich Handelnden bisher nicht erkannt. Ein Alleinstellungsmerkmal im Vertrieb Deutschland wurde da eventuell verspielt bzw. kommt zeitlich zu spät.

Ziel von deutschland.de müßte es unbedingt sein, aus der Service-Wüste Deutschland durch Düngung mit guten Informationen und Anwendungen eine ‘Service-Oase’ erblühen zu lassen. Das wäre die beste Standortpolitik.

Eine weitere Anmerkung: Die ähnlichen Domainnamen wie z.B. deutschland.gov, org, com usw. mit redirect auf deutschland.de werden wohl bis heute nicht ernsthaft zur Übernahme durch das BPA bearbeitet. Das gilt genauso für die fremdsprachlichen Bezeichnungen, wie germany. Es erstaunt immer wieder, wie einfach gesamtheitliche Dinge in ministeriellen Umgebungen plötzlich stoppen und nicht wirklich optimalen Lösungen zugeführt werden, obwohl man sie sehr klar sehen kann.

politik-digital.de: Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Kriterien für einen gelungenen Auftritt von deutschland.de, was wurde noch nicht ausreichend beachtet?

Friedhelm Kruse: Deutschland muss unbedingt unter der einen Internet-Adresse, einer E-Mail-Adresse, beispielsweise Service-Line@deutschland.de und einer dazugehörigen Telefonnummer erreichbar sein. Der Zugang zu Deutschland ist im wahrsten Sinne ein sehr zentraler Punkt. Hierbei handelt es sich um aktives Marketing, nämlich die konsequente Ausrichtung auf User-Bedürfnisse. Die Frage sei jedoch erlaubt: Kann behördliche Planung wirklich marketingreife Angebote produzieren? Beim jetzigen Konzept von deutschland.de ist zwar von T-Systems ein E-Mail-(Call)-Center vorgesehen, doch reicht das nicht aus, da die Telefonnummer des Call-Centers fehlt. Sie ist im Moment nicht gewollt! Ganz oft stehen User vor Problemen, bei denen Links einfach nicht weiterhelfen können. Wünschenswert wäre also eine einfache Telefonnummer, zum Beispiel +49 49 49 oder 00800 49, unter der jeder User die passenden Ansprechpartner für sein Anliegen genannt bekommt (oder sogar dorthin verbunden werden könnte). Dies ist so wichtig, weil vor allem auswärtige User die Strukturen der deutschen Verwaltung und deren Zuständigkeiten nicht kennen – deutsche Bürger aber oft auch nicht.

Im vorliegenden Angebot liegt außerdem eine klare Überbewertung von Internet-Seiten der Ministerien vor. Unter fast allen Rubriken werden an erster Stelle Ministerien aufgeführt. Auch wenn es weh tut: Das Interesse an ministeriellen Angeboten und auch an Politik hält sich bei den Normalbürgern nun einmal in Grenzen.

Die Erfahrungen zeigen aber, dass Interessenten aus dem Ausland vor allem die Bereiche Tourismus, Kultur und Wirtschaft und Services suchen. In diesem Zusammenhang wäre eventuell auch zu überlegen, ob es nicht sinnvoller wäre, die Bereiche „Kultur“ und „Tourismus“ in einem gemeinsamen Bereich zu bündeln (Kultour), da sich z.B. Theaterbesucher gar nicht in Touristen oder Bürger der gleichen Region trennen lassen; sie tun beide das gleiche.

Auch braucht deutschland.de unbedingt eine Rubrik Services. Neben den bereits angedachten Webcams (unter der Rubrik Tourismus gibt es zwar die Kategorie webcams: diese enthält aber keine Verlinkungen mit webcams, sondern nur fixe Bilder von verschiedenen deutschen Standorten) wäre es sehr angebracht, Informationen über das Wetter, die Verkehrslage oder deutschlandweite Fahrplanauskünfte (DELFI, ab Januar 2003 online) gleich auf der Startseite zur Verfügung zu stellen. Das ist schließlich das, was ausländische Gäste an Deutschland interessiert, wenn sie sich beispielsweise eine Fahrt durch Deutschland überlegen.

politik-digital.de: Wo liegt die größte Herausforderung für das Projekt deutschland.de?

Friedhelm Kruse: Die größte Herausforderung wird sicherlich sein, das Versprochene zu realisieren: die Kritiken der User ernst zu nehmen und in Veränderungen des Angebots umzusetzen. Dies könnte mit politischen Zielvorstellungen kollidieren, doch handelt es sich bei deutschland.de ja nicht um eine regierungseigene Seite, sondern um eine regierungsferne. Des weiteren muss die (staatliche?) Finanzierung langfristig abgesichert werden. Im Falle der Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel könnte das Angebot auch noch in erheblich mehr Sprachen verfügbar gemacht werden.

Ein „Runder Tisch“ innerhalb Deutschlands wäre ebenfalls anzudenken. Hier könnten sich Vertreter der Bundesländer, der Wirtschaft, der Wirtschaftsförderer und verschiedener gesellschaftlicher Gruppen gemeinsam über das Konzept von deutschland.de unterhalten und sicher auf Dauer auch einen Konsens finden. Schließlich sollte deutschland.de auch vielen Bundesländern als Vorbild dienen (Verbesserung der Content-Organisation im Internetangebot). Außerdem würde ich es sehr begrüßen, wenn auf verschiedenen Gebieten Kooperationen zwischen den Ländern entstünden. Eines davon wäre der Bereich Veranstaltungen. Hier gibt es bisher eine große Anzahl kleiner Anbieter, was fehlt ist eine zentrale, topaktuelle Veranstaltungsorganisation für Deutschland mit einem einfachen Ticketverkauf.

politik-digital.de: Ein Blick in die Zukunft von deutschland.de. Was wäre eine sinnvolle Weiterentwicklung?

Friedhelm Kruse: Ein wirklicher Ausblick: Irgendwann (oder eigentlich doch bald) müsste ein solches Angebot dann auf die gesamte EU ausgeweitet werden (europe.eu). Momentan fehlt bei vielen Verantwortlichen einfach noch das übergeordnete Denken. Dabei würden mehr und notwendige Kooperationen vor allem den Kunden nutzen. Wie plant ein Australier, ein Japaner oder US-Bürger denn seine Reisen? Er fährt doch nicht durch Deutschland, sondern besucht Europa, heute Paris, morgen London, übermorgen Berlin, Dresden und Wien! Versuchen Sie einmal, die notwendigen Informationen im Internet zu sammeln. Das könnte leicht länger dauern, als die Reise selbst.

politik-digital.de: Ich bedanke mich für das Interview.

Friedhelm Kruse ist Manager der
Direkten-Bürger-Informations-Services

(DiBIS®) bei hamburg.de Gmbh & Co. KG.