"Die Politiker sehen keine Notwendigkeit, sich um das Internet zu kümmern" – meint Herbert Kircher,
Entwicklungschef der IBM Deutschland. Doch er und seine Firma möchten diesen Zustand ändern: IBM ist eines der
Gründungsunternehmen der
Initiative D21, der mittlerweile etwa hundert namhafte Unternehmen angehören.
politik-digital sprach mit Herbert Kircher über die Ziele dieser Initiative, seine Erwartungen
an die Politik und seine Vision von Demokratie im Informationszeitalter.
Herbert Kircher |
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politik-digital: Herr Kircher, im Interview mit online today sagten Sie:
"Die Politiker sehen keine Notwendigkeit, sich um das Internet zu kümmern". Welche Gründe
sprechen Ihrer Meinung
nach dafür, dass die Politik sich stärker mit diesem Thema auseinandersetzen sollte?
Herbert Kircher: Ich möchte hier nicht einseitig die Politiker auf der Anklagebank sehen.
Die zum Teil heute noch geringe Akzeptanz der modernen Informations- und
Kommunikationstechnologie ist in unserem Land ein gesellschaftliches Phänomen,an
dem auch die Hochgebildeten unserer Gesellschaft nicht unschuldig sind.
Gerade die Hochgebildeten stehen hierzulande der Technik als solcher mit besonders
großen Vorbehalten gegenüber. Diese Gruppe tritt nicht selten eher als Bremser auf.
Wer über etwas lamentiert, braucht sich schließlich nicht zu ändern. Doch Änderung
tut not. Denn die weltweite informationstechnologische Vernetzung gibt dem sogenannten
info age eine globale Dimension. Die aktive Nutzung von moderner Informations- und
Kommunikationstechnologie in allen Bereichen unserer Gesellschaft entscheidet in Zukunft
über viele neue und sichere Arbeitsplätze. Im internationalen Vergleich ist offensichtlich,
daß Deutschland beim Übergang in die Informationsgesellschaft nicht zu den führenden Nationen
zählt und sogar weiter an Boden verliert. Das zeigen einige wichtige Kennzahlen:
Laut Fachverband Informationstechnik betrugen die Pro-Kopf-Ausgaben für Informations- und
Telekommunikations-Technik (IuK) 1998 in der Schweiz 3.985 DM, in Dänemark 3.061 DM,
in Schweden 2.994 DM, in Großbritannien 2.463 DM, in Frankreich 2.134 DM, in Deutschland
nur 2.096 DM. Ein anderes Beispiel ist die Zahl der Internet-Nutzer. Nach Angaben des
Fachverbandes Informationstechnik wird die Zahl der Internet-Nutzer in Westeuropa von 24
Millionen in 1997 auf über 66 Millionen im Jahre 2001 steigen. Aussagekräftiger sind
entsprechende Prozentwerte im Verhältnis zu den Einwohnerzahlen: 1998 lag Deutschland
bei 9 %. Im Vergleich dazu lagen Frankreich bei 13 %, Großbritannien bei 14 % und die
USA bei 27 %. Diese Zahlen sollen bis 2001 auf ca. 20 % für Deutschland, 21 % für
Großbritannien, 21,5 % für Frankreich und knapp 40 % für die USA steigen. Einer Steigerung
in Deutschland 1998 gegenüber 1997 um drei Prozentpunkte stehen Zahlen für Großbritannien
um sechs Punkte und für die USA um neun Punkte gegenüber.
politik-digital: Was erwarten Sie konkret von der Politik?
Herbert Kircher: Deutschland fehlt eine übergreifende Strategie für den Übergang
ins Informationszeitalter. Es gibt seitens der deutschen Politik heute keine
passende Antwort auf die Frage, wie wir die Chancen der Informationstechnologie nutzen
oder wie wir mit den Risiken umgehen. Eine andere Frage ist, was auf der Grundlage von
demokratischer Grundordnung und sozialer Marktwirtschaft wünschenswert ist. Was müssen
welche gesellschaftlichen Gruppen eigeninitiativ unternehmen, um möglichst viele Chancen
zu realisieren? Welche politischen, gesellschaftlichen und legislativen Rahmenbedingungen
sind gefordert?
Wir brauchen einen Plan für den Aufbau der Informationsgesellschaft in Deutschland.
Keine gesellschaftliche Gruppe kann dies alleine leisten. Der Bundesregierung kommt
die herausragende Rolle zu, wenn es darum geht, diesen Wandel zu moderieren und aktiv zu
gestalten.
politik-digital: Was genau tut IBM, um Einfluß auf die Politik zu nehmen,
damit sich die Verhältnisse in Deutschland verbessern?
Herbert Kircher: Die IBM Deutschland hat die branchenübergreifende Initiative D21
ins Leben gerufen. Unserem Gründungsaufruf haben sich inzwischen mehr als 100
Chefs namhafter Unternehmen angeschlossen.
Am 27. Juli 1999 wurde in Stuttgart von 27 Gründungsmitgliedern die "Initiative D21 e.V."
ins Leben gerufen. Neben IBM gehören zu den Gründungsmitgliedern unter anderem Alcatel SEL,
AOK Baden-Württemberg, Arthur D. Little, Canto Software AG, debis, Dresdner Bank,
Hewlett-Packard, Siemens und Preussag. Zum Vorsitzenden der Initiative wurde Erwin Staudt,
Vorsitzender der Geschäftsführung der IBM Deutschland GmbH, gewählt. Sitz des Fördervereins
Initiative D21 ist Berlin. Der Ehrenvorsitz soll dem früheren Bundespräsidenten Roman Herzog
angetragen werden. Zur Übernahme des Beiratsvorsitz hat sich Bundeskanzler Schröder (SPD)
bereiterklärt.
politik-digital: IBM ist Teil der Initiative D21. Welche Ziele hat diese Initiative,
und wie sollen diese Ziele erreicht werden?
Herbert Kircher: Wir, die Mitglieder der Initiative D21 fordern die Bundesregierung auf,
dem Thema Informationsgesellschaft höchste Priorität einzuräumen. Wir fordern die
Bundesregierung auf, mit wegweisenden Projekten selbst eine Vorreiterrolle einzunehmen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, die gesetzlich-regulatorischen Rahmenbedingungen
so zu gestalten, daß sie sich vorteilhaft auswirken. Die Initiative D21 ist bereit, die
Bundesregierung bei diesen Vorhaben zu unterstützen.
politik-digital: Worum geht es bei den Gesprächen der Initiative D21 mit dem Kanzleramt?
Herbert Kircher: Als Leitfaden für die Kooperation zwischen Politik und Wirtschaft hat sich D21 vier zentrale Ziele gesetzt:
- Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft entwickeln optimale
Rahmenbedingungen für den Wandel ins Informationszeitalter. - Der Staat und seine Einrichtungen sind Vorbild bei der Nutzung moderner
Technologien. - Bildung und Qualifikation sind Grundlage für Leben, Arbeiten und die
Wertschöpfung in der Wissensgesellschaft. - Staat und Wirtschaft fördern die Akzeptanz von Technik und den neuen
Informations- und Kommunikationstechnologien.
In den Gesprächen mit dem Kanzleramt geht es um die Umsetzung dieser Ziele.
politik-digital: Die USA haben Al Gore, Deutschland hat…? Welche Politiker machen sich
Ihrer Meinung nach in Deutschland für die Neuen Medien stark, bzw.
gibt es bestimmte Politiker, von denen Sie diesbezüglich besonders enttäuscht sind?
Herbert Kircher: Es geht nicht darum, ob einzelne Politiker mehr oder weniger viel
für die Informationsgesellschaft tun. Durch diese Gesellschaft muß ein Ruck gehen.
Noch einmal: Auch viele von den sogenannten Multiplikatoren, Hochgebildete, selbst
Journalisten, stehen den neuen Medien immer noch reserviert gegenüber. Dabei müssen
vor allem diese Gruppen eine Vorreiterrolle übernehmen, wenn es darum geht, die Chancen
der Informations- und Kommunikationstechnologie zu erkennen und zu kommunizieren, nur so
lassen sich breite Bevölkerungsschichten gewinnen.
politik-digital: Beschreiben Sie Ihre Vision von Deutschland im 21. Jahrhundert, und wie stellen
Sie sich zum Beispiel die Demokratie in 5 Jahren vor?
Herbert Kircher: Ich sehe vor allem die Chancen, die das Internet einer Demokratie bietet.
Diktaturen haben es im Informationszeitalter immer schwerer, zu überleben. Vor fünfzig
Jahren konnten in Deutschland Printmedien, aber auch der Rundfunk, leicht kontrolliert
werden, kritische Blätter wurden verboten und der Bevölkerung vorenthalten.
Heute und in Zukunft kann über das World Wide Web jeder mit jedem kommunizieren und
interagieren. Die Welt wird zum globalen Dorf, auf dessen Marktplatz Menschen aus den
verschiedensten Kulturen und Völkern zusammenarbeiten, Güter und Dienstleistungen produzieren,
Handel treiben, und nicht zuletzt Informationen und Wissen austauschen und verarbeiten.
Dazu kommen Mobiltelefone, die Möglichkeit via Satellitenantenne Fernsehsendungen aus
der ganzen Welt zu empfangen. Eine Diktatur ist dank der modernen Informationstechnologie
schon heute kaum noch in der Lage zu verhindern, daß sich die Bevölkerung aus den
verschiedensten Quellen informiert und diese Informationen untereinander oder weltweit
austauscht.
politik-digital: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Jana Schröder.