politik-digital sprach mit
Dr. Uwe Jun, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Lehrstuhl für das Regierungssystem der BRD an der
Uni Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte sind Politische Kommunikation und Parteienforschung.
politik-digital: Noch genau 290 Tage bis zur
Bundestagswahl 2002. Hat der Wahlkampf schon begonnen?
Dr. Uwe Jun: Ja, er hat schon angefangen. Die Bundesparteitage, sowohl von der SPD als auch von der CDU, lassen eindeutig erkennen, dass sich beide Parteien schon im Wahlkampf befinden. Von den Parteitagen sollte das Signal ausgehen: Mobilisierung, innerparteiliche Geschlossenheit und Angriff auf den Gegner. Hier scheint der Wahlkampf eindeutig begonnen zu haben, zumal auch beide Parteien ihre Wahlkampfzentralen schon auf Hochtouren arbeiten lassen, sowohl ARENA 02 als auch KAMPA 02 sind mittlerweile voll eingerichtet und voll funktionsfähig.
politik-digital: Wie wichtig ist es, schon frühzeitig die Weichen zu stellen und für gute Rahmenbedingungen zu sorgen?
Dr. Uwe Jun: Die Parteien gehen immer mehr dazu über, das sogenannte "permanent campaigning" zu betreiben, also schon zwei bis drei Jahre vor der Wahl mit den Wahlkampfvorbereitungen zu beginnen, stetige Medienpräsenz zu zeigen, Images aufzubauen und entsprechend auch ihre Parteizentralen auf den Wahlkampf vorzubereiten. Hier ist in den letzten Jahren personell und technisch deutlich aufgerüstet worden. Die Parteien bemühen sich, langfristig angelegte Konzepte umzusetzen.
politik-digital: Hat momentan eine Partei, was die Vorbereitungen angeht, einen Vorsprung oder nehmen sich die Parteien nicht viel?
Dr. Uwe Jun: Wenn man sich den Wahlkampf 1998 anguckt, war die SPD lange Zeit im Vorteil, die Gruppe um
Müntefering und
Machnig hatte die KAMPA frühzeitig aufgebaut und war der CDU klar überlegen. Die CDU hat aus diesen Fehlern gelernt und hat sich jetzt auch frühzeitig positioniert. Die SPD hat nichts großartig verändert. Die KAMPA 02 entspricht im Wesentlichen dem Konzept der KAMPA 98. Auch die kleineren Parteien haben etwas stärker aufgerüstet. Gerade bei der FDP ist erkennbar, dass hier stärker nach außen kommuniziert werden soll.
politik-digital: Welches Medium wird die Wahl entscheiden? Immer noch das Fernsehen?
Dr. Uwe Jun: Das Fernsehen wird immer noch eine dominante Rolle spielen. Die meisten Menschen informieren sich immer noch via Fernsehen über politische Ereignisse. Auch die Kommunikationsmanager, die Strategen in den Parteizentralen, konzentrieren sich stark auf das Fernsehen. So wird das Fernsehen in der Politischen Kommunikation, auch in der Wahlkampfkommunikation das wichtigste Medium bleiben.
politik-digital: Die Parteien werden sicherlich auf unterschiedliche Themen setzen, um sich zu differenzieren. Können Sie schon abschätzen, welche Themen das bei den einzelnen Parteien sein werden?
Dr. Uwe Jun: Bei der CDU wird Wirtschaftspolitik eine entscheidende Rolle spielen, bei der FDP könnte Bildungspolitik eine entscheidende Rolle spielen. "Pisa", die Bildungsstudie, hat ja wieder deutlich gemacht, dass es Defizite in Deutschland gibt. Dies könnte die FDP benutzen, um stärker ihre Kompetenz in diesem Bereich, neben der Wirtschaftspolitik, hervorzukehren. Bei der PDS wird eindeutig die soziale Gerechtigkeit ein Thema werden. Die Grünen haben die meisten Probleme Themen zu finden, weil ihre ursprünglichen Themen Ökologie und Gleichstellung keine große Rolle mehr spielen. Die Grünen werden es schwer haben, sich im Wahlkampf zu positionieren. Ich sehe bei den Grünen die einzige Chance, sich über Fischer stärker zu personalisieren und die Popularität von Fischer stärker zu nutzen. Die SPD wird auf ihre Erfolge im Vergleich zur Kohl-Administration verweisen. Sie wird immer wieder mit Vergleichen arbeiten, was ihr in den letzten Jahren gelungen sei.
politik-digital: Die SPD hat im Wahlkampf 98 mit ihrer KAMPA für Aufsehen gesorgt. Ihr wurde ein sehr professioneller und moderner Wahlkampf nachgesagt. Kann man das diesmal von allen Parteien erwarten?
Dr. Uwe Jun: Auf jeden Fall von der CDU, sie hat aus den Fehlern, die sie 1998 gemacht hat, gelernt.
Laurenz Meyer hat viele Ideen in die ARENA 02 hineingesteckt. Man kooperiert mit einem sehr professionellen Partner, einer weltweit führenden Werbeagentur…
politik-digital:
McCann-Erickson
Dr. Uwe Jun: …und man hat sich entsprechend personell und technisch im Adenauerhaus in Berlin verbessert. Auch bei der FDP sind deutliche Professionalisierungstendenzen erkennbar. Auch hier wurden mehr Ressourcen hineingesteckt, in die Öffentlichkeitsarbeit, in das Medienmanagement der Partei. Zusätzlich hat die Partei auch mit Westerwelle einen Kandidaten, der ein positives Medienimage hat und in den Medien entsprechend vermarktet und dargestellt werden kann. Bei der PDS und bei den Grünen sehe ich keine wesentlichen Veränderungen zu 1998.
politik-digital: Wahlkampf ist ja auch eine Frage des Geldes. Was kostet so ein Wahlkampf eigentlich?
Dr. Uwe Jun: Das ist natürlich schwer zu veranschlagen, weil wir sehen müssen, dass die Parteien eben langfristig diese Wahlkampfkonzepte anlegen und viele ihrer Mitarbeiter in den jeweiligen Wahlkampfzentralen Mitarbeiter der Partei sind und dadurch die Personalkosten deutlich verringert werden können. Ich denke, dass die großen Parteien rund 100 Millionen DM in den Wahlkampf stecken.
politik-digital: Das liegt ja deutlich über dem, was bisher bekannt wurde.
Dr. Uwe Jun: Da stecken natürlich, wie gesagt, die hohen Personalkosten nie drin. Das sind alles Leute, die beim Parteivorstand arbeiten und entsprechend gering veranschlagt werden. Dann gibt es langfristige Verträge mit Marketingagenturen, mit Meinungsforschern, die eben auch rausgerechnet werden, weil sie schon lange für die Parteien arbeiten. Wenn wir uns aber die Gesamtkosten angucken, die sich hinter verschiedenen Posten verstecken, dann würde ich schon von einen Betrag so um 100 Millionen DM ausgehen.
politik-digital: Nochmal zurück zu den Wahlkampfphasen. Wann wird die heiße Phase des Wahlkampfes eingeläutet?
Dr. Uwe Jun: Ich denke, dass wir ab Mai/Juni mit dieser Phase rechnen müssen.
politik-digital: Kommen wir zu DEM neuen Medium, dem Internet. Welche Rolle wird das Internet im nächsten Wahlkampf spielen?
Dr. Uwe Jun: Es wird schon mehr als in der Vergangenheit eine Rolle spielen, aber nach wie vor keine besonders große Rolle. Das liegt einfach daran, dass nach wie vor die Nutzung nicht so weit ausgeprägt ist. Ich denke, dass das Internet primär als innerparteilicher Kommunikationskanal dient. SPD und CDU nutzen das Internet, um Werbematerialien, Statements, Konzepte und Leitlinien an die Parteigliederungen zu verschicken. Das Internet wird aber nicht nur einseitig genutzt. Beide Parteien betonen immer wieder, dass man auch versucht, die Anregungen von der Parteibasis und von den Kreisgeschäftsstellen aufzunehmen und in den Wahlkampf zu implementieren. Nebenbei wird das Internet auch als Werbemittel dienen für diejenigen, die sich auf den Parteiseiten einfinden.
politik-digital: Stichwort Wählermobilisierung. Kann das Internet bei der Wählermobilisierung unterstützen?
Dr. Uwe Jun: Für die eigene Basis gilt das sicherlich. Ich würde aber den Effekt nicht so hoch einschätzen.
politik-digital:: Wozu nutzen denn die nicht parteigebundenen Wähler das Internet? Zur Informationsbeschaffung, zur Meinungsbildung?
Dr. Uwe Jun: Da haben wir natürlich bisher relativ wenig Daten. Was wir sagen können ist, dass wir, gerade was die politischen Informationen angeht, ein deutliches "information-gap" zugunsten der Besser-Verdienenden und -gebildeten haben. Das heißt, Personen mit höherer formaler Bildung und einem höheren Einkommen nutzen eher politische Informationen im Internet als die mit geringer formaler Bildung und geringem Einkommen, die eher die Unterhaltungsangebote des Internets nutzen.
politik-digital:: In den letzten Jahren waren die meisten Neuerungen im Wahlkampf aus früheren Wahlkämpfen in den USA oder Großbritannien abgekupfert. Haben die deutschen Parteien keine eigenen Ideen?
Dr. Uwe Jun: Sie haben bestimmt auch eigene Ideen und sie versuchen ja auch das, was in den USA und Großbritannien eingesetzt wird, zu modifizieren und auf die deutschen Verhältnisse zu übertragen. Es ist aber natürlich richtig, dass die Professionalisierung der Wahlkampfkommunikation in den USA am weitesten vorangeschritten ist. Wir zentrieren uns in Deutschland sehr auf die Parteien. Die meisten, die Wahlkampfkommunikation in Deutschland professionell machen, sind in den Parteien sozialisiert. Sie müssen in den Parteien auch andere Aufgaben wahrnehmen und sind natürlich deswegen allein schon arg begrenzt in dem, was sie an zeitlichen, aber auch an kreativen Ressourcen haben.
politik-digital: Können Sie beim diesjährigen Wahlkampf in Großbritannien schon von einem Internet-Wahlkampf sprechen oder war dort das Internet auch nur ein Ergänzungsmedium?
Dr. Uwe Jun: Es war eindeutig nur Ergänzungsmedium. Mehrere Studien zum Wahlkampf 2001 in Großbritannien liegen vor und dort wird einhellig die Meinung vertreten, dass das Internet noch keine besonders bedeutsame Rolle gespielt hat, sondern eben lediglich als Ergänzungsmedium diente.
politik-digital: Das Internet verzeichnet immer höhere Nutzerzahlen. Annähernd 50% der wahlberechtigen Bevölkerung nutzen das Internet wenigstens gelegentlich. Wird es zur Bundestagswahl 2006 eine größere Rolle spielen?
Dr. Uwe Jun: Wir müssen abwarten, wie das Internet im Einzelnen genutzt wird, ob tatsächlich politische Informationen im Vordergrund stehen werden oder nicht. Davon wird auch abhängen, inwieweit die Parteien es für Wahlkampfkommunikation, für Politische Kommunikation nutzen. Die Parteien sind ja sehr stark in Verbindung mit Meinungsforschungsinstituten und werden darauf reagieren. Sollte es sich herausstellen, dass tatsächlich politische Informationen im Internet stärker abgefragt werden, wie wir es partiell in den USA beobachten, dann könnte ich mir vorstellen, dass auch 2006 das Internet an das Fernsehen heranrücken könnte. Ich glaube, dass auch 2006 das Fernsehen weiter bedeutend bleiben wird, aber aufgrund auch der Multimedialität und der zunehmenden Verschränkung der verschiedenen Medien, wird das Internet sicher eine immer bedeutsamere Rolle spielen.
politik-digital: Um das Internet in seiner Wirkung besser beurteilen zu können, braucht man also detailliertere Umfragen zur Nutzung von politischen Informationen?
Dr. Uwe Jun: Ja, dies ist von großem Interesse, nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die Politik selbst und zunehmend mehr Erhebungen werden in diese Richtung gehen.
politik-digital: Vielen Dank für das Interview.
Das Gespräch mit Dr. Uwe Jun führte Mortimer Treichel.
Erschienen am 06.12.2001
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